Wer ein wenig nachdenkt über das, was aus dem Internet in den letzten Jahren geworden ist, dem wird schon angst und bange. Nicht nur Eltern haben ihre Sorgen mit Kindern und Jugendlichen, die auf die Angebote im Netz geradezu süchtig reagieren. Ob es schon eine Sucht ist, ist oft nicht zu unterscheiden. Aber wenn Angebote genau so gestaltet sind, dass sie Jugendliche über Stunden und Tage okkupieren, ist der Verdacht nicht weit.

Und weil das so ist, hat sich die Krankenkasse DAK des Themas einmal angenommen und eine kleine Umfrage gestartet.

Für die repräsentative Untersuchung hat das Forsa-Institut 1.000 Mütter und Väter umfassend zum Internet- und Computergebrauch ihrer 12- bis 17-jährigen Kinder befragt. Es ist die erste Eltern-Studie, die neben der Dauer und der Art der Internetnutzung auch mögliche krankhafte Folgen für die Jungen und Mädchen untersucht.

Die Hauptergebnisse der DAK-Studie sind eigentlich nicht überraschend: Laut der Hälfte der befragten Eltern bleibt das Kind länger online als vorgenommen. Was nicht anders zu erwarten war, wenn man sieht, wie sehr die Spiel-, Quatsch- und Musik-Abteilungen im Netz genau auf die Bedürfnisse der jungen Leute abgestimmt sind. Wenn man eine ganze Angebotspalette online so punktgenau, personalisiert und interaktiv strickt, dass sich junge Leute hier angelockt fühlen – warum sollten sie ausschalten, bloß weil die Eltern sich für sie noch ein bisschen gesunden Schlaf wünschen?

Dumm nur, dass die Abenteuer im Netz rein digital sind. Die Kinder bewegen sich ja nicht. Das Abenteuer bleibt in der Regel fiktional – aber trotzdem sorgt es für Adrenalinstöße.

Nächstes Ergebnis: 22 Prozent der 12- bis 17-Jährigen fühlen sich ruhelos, launisch oder gereizt, wenn sie ihre Internetnutzung reduzieren sollen. Deutliches Zeichen dafür, dass sie in der realen Welt kaum noch gleichwertige Kompensation für ihre digitale Abenteuerwelt finden. Es kommt zu echten Entzugserscheinungen.

Und wo die Wirklichkeit auf einmal als anstrengender und konfliktbeladener erlebt wird, kommt es zu Fluchterscheinungen: Etwa jedes zehnte Kind nutzt das Internet, um vor Problemen zu fliehen.

Bei elf Prozent der Befragten hat das Kind mehrfach erfolglose Versuche unternommen, seine Internetnutzung in den Griff zu bekommen. Bei sieben Prozent der Kinder gefährdet die Onlinewelt eine wichtige Beziehung oder eine Bildungschance, wobei die Jungen doppelt so häufig betroffen sind.

Es ist wie mit allen anderen Suchtmitteln im menschlichen Leben: Der schönere Schein macht abhängig.

Und so führt intensive Computernutzung in vielen deutschen Familien zu Problemen, zieht die DAK Bilanz aus dieser Studie.

Marlene Mortler, Drogenbeauftragte der Bundesregierung: „Das Internet bietet Kindern und Jugendlichen große Möglichkeiten und Chancen. Gleichwohl dürfen die Risiken nicht unterschätzt werden. Experten gehen davon aus, dass in Deutschland bereits bis zu einer Million Menschen onlinesüchtig sind. Die Vermittlung einer frühen Medienkompetenz ist der entscheidende Schlüssel zur Prävention gesundheitsschädlicher Auswirkungen des Internetgebrauchs und der Computernutzung. Die aktuellen Zahlen geben uns brauchbare Anregungen und wichtige Hinweise für die Präventionsarbeit. Das Thema Onlinesucht habe ich zu meinem Schwerpunktthema in 2016 gemacht.“

„Die aktuelle Befragung macht deutlich, dass Suchtgefährdung auch im Kinderzimmer besteht“, erklärt Professor Dr. Rainer Thomasius, Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). „Die Daten deuten darauf hin, dass etwa fünf Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland unter krankhaften Folgen ihrer Internetnutzung leiden.“

Laut Studie der DAK-Gesundheit haben die Kinder im Durchschnitt im Alter ab zwölf Jahren begonnen, das Internet selbstständig zu nutzen. Bei etwa einem Zehntel der befragten Eltern waren die Jungen und Mädchen aber jünger als zehn Jahre.

Häufig vereinbaren Eltern mit ihren Kindern keine Regeln für den Umgang mit dem Computer: 71 Prozent der Eltern haben keine Regeln, an welchen Orten ihr Kind das Internet nutzen darf. 51 Prozent der Eltern haben keine Regeln, wie lange ihr Kind das Internet nutzen darf. 32 Prozent der Eltern haben keine Regeln, welche Inhalte ihr Kind im Internet nutzen darf.

Auch wenn es Regeln zur Internetnutzung gab, so wurden diese nur von 42 Prozent der befragten Eltern auch „voll und ganz“ umgesetzt.

Nach der Befragung schätzen die Eltern die private Internetnutzung der Kinder an einem normalen Werktag auf rund zweieinhalb Stunden. Am Wochenende steigt die verbrachte Zeit im Durchschnitt auf vier Stunden an. 20 Prozent der Jungen und Mädchen sind am Samstag oder Sonntag sechs Stunden und mehr am Computer. Während Jungen die meiste Zeit mit Online-Spielen verbringen, nutzen die Mädchen das Internet für das sogenannte Chatten. In jeder dritten Familie sorgt die Internetnutzung manchmal bis sehr häufig für Streit. Dies ist vor allem bei Kindern im Alter zwischen zwölf und 13 Jahren der Fall.

“Unsere Studie zeigt, dass bei vielen Eltern offenbar eine große Verunsicherung bei der Internetnutzung ihrer Kinder herrscht“, sagt Herbert Rebscher, Vorstandschef der DAK-Gesundheit. „Wir nehmen die Ergebnisse zum Anlass, um die Prävention beim Thema Internetsucht zu verstärken und den Betroffenen neue Hilfsangebote aufzuzeigen.“

Es deutet also einiges darauf hin, dass Eltern aktiv werden müssen, wenn der Internetkonsum ihrer Kinder beginnt, die Grenzen zu sprengen und sichtlich auf die Konzentrationsfähigkeit der Kinder rückwirkt. Man sollte vielleicht nicht nur Grenzen vereinbaren, sondern auch über das Konsumierte öfter reden. Denn die Suchtgefahr beginnt augenscheinlich da, wo das Internet beginnt, die Welt der Kinder ganz in Beschlag zu nehmen.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar