Das Buch hat Nicole Joens 2013 geschrieben und veröffentlicht. Mit Wut im Bauch und Schalk im Nacken. Sie sitzt schon am nächsten und das wird nicht weniger bissig werden. Und es beschäftigt sich ebenfalls wieder mit einem System, das man in Deutschland "Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk" (ÖRR) nennt. Auch wenn das Buch auf den ersten Blick wirkt wie ein exotischer Roman. Bei den "Zitronen" geht es nicht um Zitrusfrüchte.

Die Metapher “Dance Of The Lemons” hat Nicole Joens aus den US-Dokumentarfilm “Waiting For Superman”. “Lemons” steht dort für miese Lehrer mit unkündbaren Verträgen, die man einfach nicht los wird und trotzdem einsetzt, so dass Generationen von Schülern unter ihnen leiden. Es ist also ein “Tanz der Nieten”, den man auch in Deutschland kennt – aus Ämtern und Behörden und Einrichtungen, die irgendwie ebenfalls so etwas sind, aber so tun, als wären sie kreative Großkonzerne, die auch noch mit Freuden den “Rundfunkstaatsvertrag” erfüllen.

Dass sie Letzteres schon lange nicht mehr tun, ist eines der Themen, die Nicole Joens anrührt, obwohl die Anregung, das Buch zu schreiben, auch ihrer ganz persönlichen Begegnung mit einem ganz speziellen Teil des ÖRR entstammt. 20 Jahre lang hat sie als Drehbuchautorin für deutsche Rundfunkanstalten gearbeitet, hat auch erfolgreiche Drehbücher geschrieben und an einigen recht erfolgreichen Serien mitgearbeitet. Letztere sind selten geworden im alimentierten deutschen Fernsehen, genauso selten wie gute Kindersendungen, gute Reportagen und Dokumentarfilme, kluge politische Sendungen und all die anderen Formate, die der zur Zahlung von über 17 Euro verdonnerte deutsche Fernsehnutzer eigentlich erwartet und erwarten darf.

Die öffentlichen Rundfunkanstalten sind ja nicht geschaffen worden, um nur das Unterhaltungsbedürfnis der Massen zu befriedigen oder gar mit  privaten Sendern um Einschaltquoten zu ringen. Das Thema Unterhaltung ist ihnen zusätzlich eingeräumt worden – in einer Zeit, als es in Deutschland keinen anderen Rundfunk gab als den öffentlich-rechtlichen. Das ist über 50 Jahre her. Heute findet man fast nur noch mit “Unterhaltung” bis zum Rand vollgestopfte Programme. Die eigentliche Aufgabe, ein informatives und ausgewogenes Programm zu senden, das den Zuschauern eine mediale Grundversorgung gewährleistet, erfüllen die Öffentlich-Rechtlichen kaum noch.

Und das, was als “Unterhaltung” über die abendlichen Kanäle flimmert, hat mit Tiefgang, Spannung, Erzählfreude und Entdeckungslust nichts mehr zu tun. Wer wüsste das besser als eine, die jahrelang für das Abendprogramm schrieb und noch die Zeiten kennengelernt hat, als das ZDF genauso wie die ARD-Landesanstalten zumindest noch Bedarf an gut geschriebenen Fernsehfilmen und Serien hatten, als “Marienhof” noch ein Format mit lebendigen Menschen war und keine kaputtgeschriebene Serie von blassen Schemen ohne jegliches Blut.

Es hat sich etwas geändert im System. Und das nicht zum Besseren. “Zum Guten” kann man ja nicht schreiben, denn die Fehler im System gab es auch schon vor 20 Jahren. Sie haben auch damals schon dafür gesorgt, dass viele Dinge, die politisch nicht gewollt waren, in den öffentlichen Sendern nicht stattfanden. Auch damals stand die selbe Frage, wie sie 2010 und 2013 hochkochte: Wie staatsfern ist der Rundfunk eigentlich? Wie viel Einfluss hat Politik auf die Sender? Nimmt die Politik nur über Rundfunkräte Einfluss oder greift sie direkt ins Programm ein? Und wenn ja: Wie tut sie es?

Alles Fragen, die 2010 wieder hochkochten, als der Vertrag von ZDF-Intendant Nikolaus Brender nicht verlängert wurde, weil es der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) nicht wollte.

Da es von keinem einzigen Sender eine transparente Berichterstattung über Personalfragen und Geldverteilung gibt, erfährt die Öffentlichkeit immer nur Häppchen. Und das, obwohl Legionen freier Mitarbeiter in den Sendeanstalten tätig sind und den Betrieb am eigenen Leib erfahren. Oder wie Nicole Joens Drehbücher schreiben für die Anstalten und dabei mit den Redakteuren der Häuser in Kontakt kommen. Denn ohne Redakteure läuft nichts. Sie sind eine Art Sieb und Kontrollinstanz, die die Stoffe prüft, die für die Sender produziert werden. Sie entscheiden, ob Drehbücher angenommen werden und in welcher Form sie produziert werden.

Das war auch schon früher heikel für Drehbuchautoren, die Geschichten anboten, die nicht in die – ja: politischen – Erwartungshaltungen von ARD und ZDF passten. Auch vor 20 Jahren schon übten die verantwortlichen Redakteure Kontrolle darüber aus, ob Geschichten nach den eigenen politischen Maßstäben opportun waren. Und diese Maßstäbe haben noch nie das gesamte politische Spektrum abgebildet. Es war – beim ZDF ganz offensichtlich – immer eine konservative politische Haltung, die im Grunde Moralvorstellungen aus einem vergangenen Jahrhundert konserviert hat, die mit der gelebten Realität der Gegenwart nichts zu tu haben: heile Familien in heiler Landschaft mit erfolgreichen Männern als Ernährer der Familie und einem Typus Frau, der vielleicht auch mal in einem toughen Beruf arbeiten darf, aber in der Regel in einer herzrührenden Geschichte vom Mann und Geliebten erlöst werden muss.

Übrigens eine Weltsicht, die mit der Gründung 1992 auch in die MDR-Formate hineinsuppte. Egal ob diverse Arztserien oder Krimi-Formate: Der Zuschauer landet in einer Welt von Luxuswohnungen und Luxusautos und Luxusproblemen, die mit ihrer eigenen Realität nichts zu tun hat.

Das ist gewollt: “Wohlfühlfernsehen” heißt das. Nicht nur in Bayern glauben die Programmverantwortlichen felsenfest daran, sie müssten ihr Publikum vor der Realität schützen und ihnen gerade am Wochenende ein Heile-Welt-Fernsehen vorsetzen, das die Gemüter beruhigt.

Dass sie damit mittlerweile nur noch das Publikum 60plus erreichen, scheint in den Senderleitungen niemanden zu stören. Im Gegenteil: Man hat die ganzen vergangenem 20 Jahre genutzt, eifrig bei den privaten Sendern abzukupfern und ähnlich anspruchslose Bespaßungsformate zu entwickeln. Und das dann meist mit der faulen Begründung: “Quotendruck”.

Lange hat Nicole Joens das Spiel mitgespielt, hat auch 2010 noch darauf vertraut, dass Anstalten wie das ZDF durchaus Interesse an starken Geschichten fürs Abendprogramm haben könnten. Immerhin hatte sie eine solche Geschichte in petto, die auch deshalb schon sehr lebendig war, weil ein gutes Stück eigener Familiengeschichte drinsteckte. Also bot sie die Geschichte an. Die Geschichte wurde angenommen.

Und dann passierte ihr genau das, was sie so nie erleben wollte: Der Stoff sollte an eine Produktionsfirma gehen, vor der selbst im Internet schon gewarnt wurde. Und kaum war das eingefädelt, wurden ihr Änderungswünsche präsentiert, die die Geschichte nicht nur verflacht, sondern verhunzt hätten. Ein Ansinnen, gegen das sie sich natürlich wehrte. Denn auch wenn die Sendeanstalten über ihre Redakteure schon lange massiv Einfluss auf das (politische) Weltbild in ihren Produktionen nahmen (und damit ganz eindeutig auch eine politische Zensur ausübten), waren und sind Drehbuchautoren bis heute keine Angestellten der Sender, sondern freischaffende Künstler. Sie müssen mit ihrem Stoff nicht alles machen lassen, was ihnen zugemutet wird.

Doch in diesem Fall ging es augenscheinlich nicht (nur) um unzumutbare Eingriffe der Redakteure, sondern um etwas anderes, was – für den Gebührenzahler all die Jahre kaum wahrnehmbar – im Sendergeflecht gewachsen ist: eine ausgewachsene Amigo-Wirtschaft.

Das betrifft nicht nur Schauspieler und Drehbuchautoren, die immer wieder Aufträge bekommen, egal wie schlecht ihre Leistung ist.

Das betrifft auch eine Unzahl von Produktionsfirmen, die im Schatten der Sendeanstalten entstanden sind. Und da ist man bei der Frage, die mittlerweile nicht nur Nicole Joens umtreibt: Warum schaffen es die ÖRR in Deutschland nicht, mit 7, 7,5 oder 8 Milliarden Euro im Jahr hauszuhalten? Warum sind die Gebühren in den vergangenen Jahren kontinuierlich angewachsen, obwohl die Programme für jeden sichtbar immer flacher, niveauloser, schlechter wurden?

Teil 2 der Besprechung gleich an dieser Stelle.

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