Diese schrecklichen Zahlen. Sie sind so leicht zu missbrauchen. Wenn man sie nicht zu lesen versteht. Oder wenn die wichtigsten fehlen. Das mussten eine ganze Reihe Journalisten erleben, die sich in den vergangenen Tagen mit einer Studie des Forschungsverbundes des Deutschen Jugendinstituts (DIJ) und der Technischen Universität Dortmund (TU DO) befassten, in der es um das Betreuungsgeld ging. Befragt worden waren mehr als 100.000 junge Eltern. Das musste doch nun mal ein Bild ergeben.

Immerhin hält die Bundeskanzlerin an diesem Projekt fest, von Parteien aus dem grünen und roten Spektrum hagelt es heftige Kritik dafür. Vor allem, weil es das eigentlich gewünschte Ziel, möglichst alle Kleinkinder in eine Betreuungseinrichtung und damit in ein Programm frühkindlicher Bildung zu bekommen, unterläuft. Und nun diese erste Erkenntnis, die zahlreiche Medien in die Welt hinausposaunten: Gerade Eltern mit geringem oder gar keinem Bildungsabschluss nähmen lieber das Geld als den Betreuungsplatz für ihr Kind.

Ein paar Tage später wurde die Zahl korrigiert. Da hatten ein paar Leute einfach zwei Prozentwerte addiert, die man nicht addieren kann.

Das wurde dann in der letzten Woche auch mit einer Pressemeldung korrigiert. Aber so ganz richtig war es noch immer nicht, wie Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) nun feststellt. Rechnen ist seine Leidenschaft. Und was nicht direkt zur Arbeitsmarktstatistik gehört, packt er in die Rubrik “Büro für absurde Statistik”. Und was da nun beim Betreuungsgeld herauskam, packt er unter die Überschrift “Unkorrekte Korrekturen: Betreuungsgeld und Betreuungsentscheidung”.

Den Ansatzpunkt setzt er hübsch in Fragezeichen: “Für wie viele Eltern ist das Betreuungsgeld Grund für deren Betreuungsentscheidung? Was sagen die Ende Juli 2014 in diversen Medien zitierten Prozentanteile (Quote) aus einer Studie des Forschungsverbundes des Deutschen Jugendinstitut (DIJ) und der Technischen Universität Dortmund (TU DO) aus?”

“Bemerkenswert”, stellt er dann fest: “Auch die in den Medien verbreiteten Korrekturmeldungen sind nicht korrekt. Der vermittelte Eindruck, 31 Prozent der Eltern ‘ohne Bildungsabschluss’ bzw. 23 Prozent der Eltern ‘mit Hauptschulabschluss’ hätten sich wegen des Betreuungsgeldes gegen eine ‘außerhäusliche Betreuung’ ihrer Kinder (ein bis unter drei Jahre) entschieden, trifft offensichtlich nicht zu. Die Studie belegt diese Zahlen jedenfalls nicht. In den ‘Korrekturmeldungen’ zur ersten Berichterstattung über die Studie (…) wird zitiert: ‘Von den Familien, in denen kein Elternteil einen Bildungsabschluss besitzt, stimmen 31 % der Aussage zu, das Betreuungsgeld sei Grund für die Betreuungsentscheidung gewesen; bei einem Hauptschulabschluss sind es 23 %.”

Die Vorgeschichte schildert Schröder knapp so: “Zunächst war in den Medien, wesentlich häufiger als die oben zitierte Korrekturmeldung, berichtet worden: ‘In der Studie nannten von jenen Eltern, die keine Berufsausbildung oder nur einen Hauptschulabschluss haben, 54 Prozent das Betreuungsgeld als Grund dafür, dass sie ihre Kleinkinder nicht in eine Kita schicken.’ In einer nicht-autorisierten Fassung waren die 31 Prozent und 23 Prozent addiert worden.”

Ist ja verführerisch, wenn von 3.965 befragten Eltern mit Hauptschulabschluss 896 ankreuzten, das Betreuungsgeld sei kein Grund für die Entscheidung gewesen, sich gegen eine Betreuung des Kindes zu entscheiden (22,6 %). Bei Eltern (noch) ohne Schulabschluss waren es 182 von 584 befragten Personen (31,2 %). Das ergab dann zusammen die ominösen 53,8 Prozent, die manche dann einfach auf 54 Prozent aufrundeten.

“Die Korrekturmeldungen sind aber weiterhin unkorrekt. Sie erwecken den Eindruck, dass sich die genannten Prozentanteile (Quoten) auf die Betreuungsentscheidung aller Eltern (noch) ohne Schulabschluss (31,2 Prozent) bzw. aller Eltern mit Hauptschulabschluss (22,6 Prozent) beziehen. Dies ist jedoch nicht der Fall”, stellt Paul M. Schröder fest. “Die genannten Prozentanteile beziehen sich ausschließlich auf die Eltern (noch) ohne Schulabschluss bzw. aller Eltern mit Hauptschulabschluss, die ‘keine außerhäusliche Betreuung wünschen’.”

Letzteres waren, wenn man die ominöse Tabelle 8.1 richtig liest, um die 30.000 Personen. Von 100.000 wären das also rund 30 Prozent der befragten Eltern, die keinen außerhäuslichen Betreuungsplatz wünschen. Und von denen wieder sagten dann im Schnitt rund 13 Prozent, dass das Betreuungsgeld der Grund dafür war, auf eine außerhäusliche Betreuung zu verzichten. Womit der Anteil der Eltern, die das sagten, schon einmal auf knapp 4 Prozent schrumpfte. (Freilich nur für den Fall, dass die Gesamtmenge um 100.000 lag. Wenn es deutlich mehr befragte Eltern waren, schrumpft dieser Prozentwert noch weiter.)

“Die Prozentanteile der Eltern (noch) ohne Schulabschluss bzw. der Eltern mit Hauptschulabschluss insgesamt, die wegen des Betreuungsgeldes ‘keine außerhäusliche Betreuung’ ihrer Kinder wünschen, wird in der Tabelle 8.1 der Studie nicht genannt”, stellt Schröder denn auch trocken fest. “Die jeweiligen Prozentanteile müssten, wenn sich das Büro für absurde Statistik (BaSta) nicht irrt, deutlich unter den genannten 31,2 Prozent und 22,6 Prozent liegen. Dies sollte vom Forschungsverbund des Deutschen Jugendinstitut (DIJ) und der Technischen Universität Dortmund (TU DO) klargestellt werden.”

Der Forschungsverbund DJI/TU Dortmund hat dann am 1. August auch so etwas Ähnliches wie eine Richtigstellung veröffentlicht. Es dürfte nur all den Journalisten, die sich in den vergangenen Tagen mit der Meldung herumgeschlagen haben, nicht allzu viel nützen. Denn jetzt erfährt man zwar endlich eine Bezugsgröße der befragten Eltern (“über 100.000”).Aber die konkreten Zahlen zu befragten Eltern mit Hauptschulabschluss oder (noch) ohne Schulabschluss liefern die Autoren nicht, vertrösten lieber auf den September, wenn die ganze Studie vorgelegt werden soll. Was zumindest zeigt, dass die beiden Einrichtungen nicht wirklich viel darüber wissen, wie man Fehler, die einmal in die Welt posaunt sind, transparent und auch für Journalisten nachvollziehbar wieder korrigiert.

Dazu hätte eine Gesamtzahl der beiden diskutierten Elterngruppen gehört. Die für Paul M. Schröder recht vertraute Gruppen sind, denn sie tauchen in der Regel öfter in den Bilanzen von Jobcentern und Arbeitsagenturen auf. Und dort muss man, wie Paul M. Schröder zu recht betont, angeben, ob man Betreuungsgeld beantragt hat. Das gibt es nämlich für Empfänger von ALG II (oder “Hartz IV”) nicht obendrauf.

Paul M. Schröder: “Eltern, die auf Arbeitslosengeld II angewiesen sind und sich gegen eine ‘frühkindliche Förderung in Tageseinrichtungen oder in Kindertagespflege’ entscheiden, müssen das Betreuungsgeld als ‘vorrangige Leistung’ beantragen … um damit ihren Anspruch auf ‘Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts’ nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II und Sozialgeld) zu reduzieren.” Das Betreuungsgeld wird mit ihrem ALG II verrechnet. Was übrigens einer der wichtigsten Kritikpunkte an dieser staatlichen Gabe war.

Aber auch wenn die Tabelle 8.1 die Zahlen der Eltern (noch) ohne Schulabschluss und mit Hauptschulabschluss, die sich an der Befragung beteiligten, nicht ausweist, lassen sich Rückschlüsse ziehen.

Zum Beispiel über die Anteile der Bildungsabschlüsse, wie sie das Bundesamt für Statistik ausweist für die Altersgruppe der 25- bis 30-Jährigen, die wir hier nur als Vergleich heranziehen. In dieser Altersgruppe haben Menschen mit Fachhochschul- oder Hochschulreife einen Anteil von 45 Prozent, Menschen mit Realschulabschluss einen von 31 Prozent, solche mit Hauptschulabschluss sind mit 19 Prozent vertreten und solche (noch) ohne Schulabschluss mit 4 Prozent.

Ein Blick auf die Tabelle 8.1 aber zeigt, dass Eltern (noch) ohne Schulabschluss und mit Hauptschulabschluss hier deutlich unterrepräsentiert sind. Eltern (noch) ohne Schulabschluss machen nur 1,8 Prozent der Eltern aus, die sich gegen einen Betreuungsplatz ausgesprochen haben (statt 4 Prozent).

Eltern mit Hauptschulabschluss machen nur 12,5 Prozent aus – statt 19 Prozent, wie man eigentlich erwarten könnte. Was ja wohl im Klartext heißt: Eltern aus diesen beiden Gruppen entscheiden sich überdurchschnittlich oft FÜR einen Betreuungsplatz und nicht dagegen.

Bei Eltern mit Fachhochschul- oder Hochschulreife ist der Anteil wie erwartet bei 45 Prozent.

Und damit rückt der Blick auf eine ganz andere Gruppe: die Eltern mit Realschulabschluss, die hier mit 41 Prozent vertreten sind, obwohl sie in der Alterskohorte 25 bis 30 Jahre nur 31 Prozent ausmachen. Diese Eltern entscheiden sich augenscheinlich überdurchschnittlich oft für das Betreuungsgeld, obwohl von ihnen wieder nur 14 Prozent angeben, das Betreuungsgeld selbst wäre der Grund dafür.

Der Verweis auf die Altersgruppe 25 bis 30 Jahre ist natürlich nur ein Vehikel. Wirklich belastbare Zahlen bekommt man erst, wenn die Verfasser der Studie das Werk komplett veröffentlichen. Aber irgendjemand wollte da wohl noch mitten in der Saure-Gurken-Zeit noch ein bisschen Aufsehen erregen, auch wenn die lancierten Meldungen am Ende das Gegenteil behaupten von dem, was wahrscheinlich wirklich der Fall ist.

Die viel zitierte Tabelle 8.1 mit den Antworten der Eltern, die “keinen Betreuungswunsch” haben: http://biaj.de/images/stories/Auszug_aus-Studie_zum_Betreuungsgeld.pdf

www.biaj.de

Die Stellungnahme von DJI und TU Dortmund vom 1. August: www.dji.de/fileadmin/user_upload/dasdji/news/2014_08_01_Stellungnahme_Forschungsverbund_DJI-TuDortmund.pdf

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