Florian spricht ruhig, seine Gedanken sind überlegt und fundiert. Der junge Mann, der Anfang 30 ist und in Wirklichkeit anders heißt, arbeitet seit einigen Jahren mit Leidenschaft als Ethiklehrer an einer Privatschule in Sachsen, unterrichtet verschiedene Klassenstufen. Und trotz der Unterschiede einer Privatschule zu staatlichen Bildungsstätten kennt auch er viele Facetten seines Berufs aus erster Hand, von denen er gern anonym erzählen möchte – nicht zuletzt mit Blick auf den grassierenden Lehrermangel in Sachsen.
Die nackten Zahlen jedenfalls sprechen eine klare Sprache. Schon vor einem Jahr hatte Sachsen 1.500 neue Lehrkräfte gesucht, konnte aber nur etwas mehr als 1.000 Stellen tatsächlich besetzen. Auch zum Start des Schuljahres 2023/24 musste Kultusminister Christian Piwarz (CDU) kürzlich verkünden, dass man mit insgesamt 1.120 Neueinstellungen unterhalb des Ziels von 1.300 blieb. Die Absicherung des Unterrichts bleibe schwierig, räumte der Minister ein.
Die Folgen sind bekannt: überfüllte Klassen, hoher Stundenausfall, massive Belastungen der Lehrkräfte, worunter auch die Bildungsqualität leidet. Im ländlichen Raum, aber auch zum Teil in den Großstädten des Freistaats ist die Situation ernüchternd und schnelle Besserung nicht in Sicht. Aber warum?
Der Stressfaktor ist gewaltig
Ethiklehrer Florian hat da so seine Theorien. Er selbst ist Seiteneinsteiger, hatte eigentlich nicht geplant, Lehrer zu werden. Nach seinem erfolgreichen Master in Philosophie schlug er sich zunächst als Freiberufler mit verschiedenen Projekten durch, die zwar Spaß machten, aber wenig Geld brachten. Sein Wunsch, fachliches Können, Sinnhaftigkeit und mehr finanziellen Rückhalt zu verbinden, führte ihn zur Berufsberatung, wo es rasch hieß: „Können Sie sich vorstellen, Lehrer zu werden?“
Nach der Stellenrecherche, einer Bewerbung und dem Vorstellungsgespräch an einer Privatschule kam schnell die Zusage zur Einstellung, erinnert sich Florian.
Und er hatte Glück: Seinen Arbeitgeber schätzt er sehr, vor allem für das alternative Bildungskonzept, den guten Umgang miteinander und das angenehme Kollegium. Trotzdem hat er in der relativ kurzen Zeit seines Lehrerdaseins schon einige Kolleginnen und Kollegen kommen und gehen sehen, sagt Florian.
Neben dem finanziellen Aspekt – Florian verdient an der Privatschule aktuell etwas unter Tarifgehalt – sieht er einen Grund im hohen Stressfaktor des Berufs. Ein früherer Kollege, der auch den Seiteneinstieg wählte, kam aus dem Bereich Naturwissenschaft, war fachlich super, scheiterte aber an seinem perfektionistischen Anspruch beim Unterricht. Der Mann warf am Ende entnervt das Handtuch.
Doch auch unter Lehramtsstudenten, die eigentlich auf den Lehrerberuf hinarbeiten, ist die Abbrecherquote hoch. Florian kennt aus anderen Schulen üble Geschichten von „destruktiver Kritik“ an Referendaren, bei denen die Kombination von wenig Geld, viel Verantwortung und hohem Workload vor allem für miese Stimmung sorgt.
Ein Kommilitone aus Florians Studienzeit, der ursprünglich gern Lehrer werden wollte, musste im Praktikum ernüchtert feststellen, dass ihn die Arbeit mit Kindern tatsächlich total überfordert. So zog er nach dem Abschluss dann lieber einen Job in der Privatwirtschaft vor.
Lehrerdasein im Wandel der Zeit
Das war bei Florian anders. Aber auch er kann generell gut nachvollziehen, dass es frustrierend ist, wenn der Idealismus beim Berufseinstieg als Lehrerin oder Lehrer auf ein System trifft, das an vielen Schulen immer noch starr und hierarchisch daherkommt. Und besonders die Funktion der Lehrkräfte hat sich, verglichen mit früher, deutlich aufgefächert, weiß der Ethiklehrer: „Der Lehrer hat ganz, ganz viele Aufgaben. In seiner Rolle und der Schule als Institution bündeln sich viele gesellschaftliche Einflüsse.“
Es fängt beim Schüler, seiner Familie und seinem Milieu und Umfeld an, dann kommen andere Schüler mit wieder anderen Hintergründen und Charakteren dazu. Die einzelne Lehrkraft soll im Kern Bildung und Wissen vermitteln, muss dazu aufwendig Unterrichtsstunden vor- und nachbereiten, Leistungen bewerten, dabei die ganze Klasse im Blick haben, zugleich aber individuell differenzieren, indem Schwächere gefördert und Stärkere gefordert werden.
Oft genug wird die Lehrkraft zur einfühlsamen Vertrauensperson, wenn es um Kinder und Jugendliche etwa mit psychischen Problemen oder einem problematischen Familienhintergrund geht. Auch schwierige Schüler gibt es immer mal wieder, mit denen professionell umzugehen ist. Verlaufspläne und Dokumentationsaufgaben wollen erledigt und Arbeiten korrigiert sein, dann sind da noch die Organisation und Durchführung von Dienstberatungen, Schulfesten, Exkursionen, Elternabenden und Klassenfahrten.
Das alles wird vom mitunter hohen Erwartungsdruck seitens der Schülerschaft, der Eltern, des Kollegiums und der Schulleitung begleitet. „Es ist schon extrem vielseitig, was da auf einen zukommt.“
Das könnte man als spannende Herausforderung auffassen. Aber will man es umgedreht jemandem verübeln, wenn er oder sie vor einem solchen Berg an Aufgaben zurückschreckt, auf Dauer den Burnout fürchtet?
Überstunden und Work-Life-Balance
Florian persönlich betreffen diese Fragen weniger, zumal er gerade noch nebenher eine schulpraktische Ausbildung absolviert, die ihm viel Spaß macht und hilft, seinen Fokus aktuell auf die Hauptaufgabe des Lehrers zu richten.
Doch das Gefühl, permanent extrem gefordert zu sein, ständig kommunizieren zu müssen, kaum noch Zeit für den Kernauftrag als Lehrkraft zu haben, kennt er aus vielen Gesprächen. Ohne Überstunden, die im Lehrerberuf oft – explizit oder stillschweigend – erwartet werden, funktioniert es schon lange nicht mehr. Trotzdem ist die Arbeitsbelastung, was seine eigene Schule betrifft, derzeit noch im Rahmen und der Lehrermangel, jedenfalls momentan, nicht akut, meint Florian. Doch es gab in der Vergangenheit durchaus auch schon Engpässe im Personalpool seines Arbeitgebers.
Die Frage, ob er im Kopf viel aus der Schule mit nach Hause nehme, kann Florian bis jetzt verneinen. Abseits der Ferien sind es die Freitage und Samstage, an denen der junge Ethiklehrer auch mal abschaltet, sein Privatleben genießt. „Ich versuche, eine Work-Life-Balance aufrechtzuerhalten, das klappt ganz gut.“ Sonntags beginnt dann für ihn faktisch und mental schon die Vorbereitung auf die neue Schulwoche.
Vorschläge und Erwartungen Richtung Politik
Ein Extrembeispiel für die Belastungen des Lehrerdaseins mag Florian nicht abgeben. Aber auch in seiner Erzählung schälen sich zumindest Erklärungsansätze heraus, warum die Anziehungskraft des Berufs offenbar stark nachgelassen hat. „In letzter Instanz kann man niemanden zwingen, Lehrer zu werden“, betont Florian. Die Politik nimmt er aber zumindest in die Pflicht zur Schaffung besserer Konditionen.
Der monetäre Anreiz sei vielleicht gar nicht ganz entscheidend dabei: So müsse sich die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern viel mehr an frühzeitiger Praxis orientieren, wie sie in skandinavischen Ländern üblich ist. Unser System dagegen sei veraltet, in Deutschland könne „gefühlt jeder Lehrer werden“, der sich Illusionen von gutem Geld und viel Freizeit mache, spitzt Florian seine Kritik zu. Das aber sei fatal.
Auch plädiert er für mehr Inklusion und längeres Lernen im gemeinsamen Verbund, die frühzeitige Auftrennung nach der 4. Klasse sieht er als völlig verkehrt an. Konkret schlägt er außerdem die Schaffung von neuen Stellen für Sozialarbeit und administrative Schultätigkeiten vor, um hier Entlastung für jetzige und künftige Lehrer zu schaffen.
Die Welt verändert sich – und die Schule auch
Kurzfristig werde sich die Schieflage sicher nicht bessern, befürchtet Florian, zumal sich gerade Sachsen oft auch noch durch abschreckende Bürokratie und Engstirnigkeit hervortue. Die mitregierende CDU und die gerade erstarkende AfD seien nicht gerade durch große Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Schulformen bekannt. Doch die sind Florians Meinung nach unabdingbar, um den Herausforderungen des Jahrhunderts gerecht zu werden.
Auch der Freistaat werde sich den Konsequenzen des Klimawandels, dem Vormarsch von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz sowie der verstärkten Migration jedenfalls nicht entziehen können, was zwingend auf das Konzept Schule zurückwirken muss, ist sich Florian sicher. „Die Welt wird sich viel stärker verändern, als wir das in unserem kleinen Land fassen können.“
Eine Lanze für den Lehrerberuf
Sich selbst sieht er auch zukünftig weiterhin in der Rolle des Lehrers, wobei er sich derzeit keine Tätigkeit an einer staatlichen Schule vorstellen kann. Bei allem Stress liebt Florian seinen Beruf, zählt viele Vorteile auf: das stabile Einkommen, die Auslebung seiner Interessen, den Freiraum der Unterrichtsgestaltung, die direkte Arbeit mit Schülerinnen und Schülern, die Möglichkeit, etwas zu bewirken. Man arbeite eng mit jungen Menschen zusammen, könne ihnen ein Vorbild sein und sie auf ihrem Lebensweg weiterbringen.
Natürlich habe man nur bedingt Einfluss auf Elternhaus und Erziehung, schätzt Florian realistisch ein, aber: „Man kann als Lehrer einen ganz entscheidenden Push in die richtige Richtung geben.“ Und das macht ihn auch ein wenig stolz.
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