Im Oktober erregte der Hilferuf von der Schule am Auensee bundesweites Aufsehen. Der Klasse 4b war über die Sommerferien die Klassenlehrerin abhandengekommen. Einen Ersatz gab es nicht. Der Lehrermarkt war und ist leer. Und so wurden die Schüler auf die anderen 4. Klassen aufgeteilt und arbeiteten vorwiegend Arbeitsblätter ab.
Die Schulleiterin kümmerte sich um den Mathematik-Unterricht und versuchte so gut es geht, die Klassenlehrerin zu ersetzen. Das war manchem Schüler allerdings nicht genug. Die Lust an Schule schwand.
Zur etwa selben Zeit plakatierten Schüler einer Oberschule in Lengenfeld im Vogtland die Straßen, um selbst nach neuen Lehrern zu suchen.
Roman Schulz, Pressesprecher des Landesamts für Schule und Bildung, ist in seiner Rolle nicht zu beneiden, denn er muss den Mangel öffentlich vertreten. Seine Aussagen werfen kein gutes Licht auf die Situation in sächsischen Klassen- und Lehrerzimmern.
„Wir haben in diesem Jahr durchaus Probleme mit der Unterrichtsversorgung im Freistaat Sachsen. Das liegt daran, dass wir im Sommer unser Einstellungsziel nicht erreicht haben, und zwar nicht, weil wir nicht wollten oder lieber sparen wollten, sondern weil uns Köpfe, also Menschen fehlen. Statt der avisierten 1.500 haben wir nur 1.000 Lehrer einstellen können.“
Und so kommt es zur Unterdeckung. Eine Schule in Pause. Im Vogtland lässt man sogar bestimmte Klassen zweimal die Woche zu Hause lernen, um dem Unterrichtsausfall durch häusliche Lernzeit zu entgegnen. An der Artur-Becker-Oberschule Delitzsch waren im September schon 300 Unterrichtsstunden ausgefallen.
Der Schülerrat schrieb dem Kultusminister Piwarz und dem Leiter des Landesamts für Schule und Bildung, Ralf Berger, in der vergangenen Woche sogar einen Brief, in dem sie den Mangel genau auflisten. Viele Schüler kamen nur für ein bis zwei Stunden in die Schule, manche gar nicht.
„9 Klassen haben kein Mathe, da es nur zwei Mathelehrer an unserer Schule gibt.“ Früher habe man sich noch über Ausfall gefreut. „Heute hat man nur Angst um seine Prüfungen.“ Der Lehrermangel ist nun nicht mehr nur im ländlichen Raum anzutreffen, er ist auch in den Städten und deren Randgebieten angekommen. Laut Schulz geht man davon aus, dass deutschlandweit derzeit 40.000 Lehrer fehlen. Wobei dies allerdings auch damit zu tun hat, dass nicht bedarfsorientiert ausgebildet wird.
Während beispielsweise Geschichtslehrer eher nicht gesucht werden, sind Lehrer von naturwissenschaftlichen Fächern umso gefragter.
Im März 2022 hat die Kultusministerkonferenz eine Dokumentation mit dem Titel „Lehrkräfteeinstellungsbedarf und -angebot in der Bundesrepublik Deutschland 2021–2035“ veröffentlicht, in der sie sich den genauen Versorgungszahlen annähert. Dabei hat man festgestellt, dass die vorangegangene Studie, die erst 2020, also nur zwei Jahre zuvor erstellt worden ist, bereits deutlich überholt werden musste.
Es stellte sich heraus, dass „sich der durchschnittliche jährliche Lehrkräfteeinstellungsbedarf bei nahezu unverändertem Lehrkräfteangebot in fast allen Lehramtsbereichen erhöhen wird.“
Hauptursache hierfür sind die Folgen veränderter Geburtenzahlen und weiterer Zuwanderung sowie „der erweiterten Anforderungen an Schule im Zusammenhang mit der Inklusion, dem Ausbau des Ganztagsangebots und der Sprachfördermaßnahmen.“
Laut diesen Berechnungen werden Gymnasiallehrer in dem Prognosezeitraum gute Einstellungschancen im Schulsystem vorfinden, wenn sie sich flexibler „hinsichtlich ihrer regionalen Präferenzen in dem jeweiligen Bundesland zeigen“. Diese Schulform stellt mithin kein großes Problem für die kommenden Jahre dar – zumindest theoretisch.
„Das mittlere Einstellungsangebot übersteigt den Bedarf am höchsten bei den Lehrämtern für den Sekundarbereich II (allgemeinbildende Fächer) oder für das Gymnasium. Der durchschnittliche Deckungsgrad über den gesamten Zeitraum hinweg beträgt 110,8 %. In Deutschland sind dies jährlich etwa 1.100 Personen, die über Bedarf für dieses Lehramt bereitstehen. Für Deutschland insgesamt kann bei Lehrämtern für den Sekundarbereich II (allgemeinbildende Fächer) oder für das Gymnasium generell von einem Bewerberüberhang ausgegangen werden.“
Doch eine Einschränkung gibt es schon. Die Fächerwahl ist entscheidend für die individuellen Einstiegschancen. In Mathematik, Informatik, Musik, Kunst, Chemie und Physik sind größere Chancen vorhanden. Für „Latein, Sozialkunde/Gesellschaftslehre/Politik, katholische Religionslehre, Erdkunde und Geschichte, ist die Nachfrage bis 2035 voraussichtlich eher gering.“
Während auch für die Grundschulen und Sonderschulen kein größeres Problem für die Zukunft erwartet wird, sollte es, nach aktuellen Berechnungen, zukünftig vor allem an den Berufsschulen Leere geben. „Bei den Lehrämtern für den Sekundarbereich II (berufliche Fächer) oder für die beruflichen Schulen ist bundesweit bei durchschnittlich 2.700 kalkulierten Neubewerbern im Verhältnis zu fast 4.400 nötigen Einstellungen in den Jahren 2021 bis 2035 die Situation sehr angespannt. Der Einstellungsbedarf kann demnach im Durchschnitt nicht gedeckt werden.“
Nur 62,3 Prozent der Stellen können, Stand 2022, besetzt werden. In Sachsen ist Roman Schulz Realist. Er kennt die Zahlen und als langjähriger Pressesprecher auch die Gründe, warum Sachsen schon jetzt ein größeres Problem hat.
„Das ist ein Ergebnis unserer Einstellungspolitik der vergangenen Jahrzehnte. Wenn ich daran denke, was wir in den 00er Jahren und 10er Jahren nicht eingestellt und nicht genommen haben … das fällt uns nun auf die Füße. Seit 2014/15 bilden die Universitäten noch stärker Lehrer aus. 2.600/2.700 Schüler schreiben sich in so ein Studium ein. 18 Prozent aller Abiturienten in Sachsen studieren Lehramt. Da geht nicht mehr.“
Bleibt nur die Hoffnung auf ein Wunder, einen Rechenfehler oder kreative Lösungen.
Selbst der Markt an Quereinsteigern ist laut Roman Schulz leer. Wenn es keinen Zimmermann in der Nähe gibt, baut ja aber auch nicht der Bäcker den Dachstuhl. Warum sollten dann überhaupt Nicht-Pädagogen in die Klassenzimmer kommen?
„Schule in Sachsen: Der Lehrermangel zeigt sich nun auch im Detail“ erschien erstmals am 25. November 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 108 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
Es gibt 2 Kommentare
Dem Kultus-Piwarz (CDU) fiel auch nichts besseres ein, als Lehrkräfte in Teilzeit zu bitten, mehr zu arbeiten.
“Bleibt nur die Hoffnung auf ein Wunder, einen Rechenfehler oder kreative Lösungen.” Genau(!)