LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 84, seit 23. Oktober im HandelDas deutsche Schulsystem und damit auch das sรคchsische ist heterogen. So weit, so bekannt. Heterogenitรคt ist wichtig, lรคsst der Sรคchsische Kultusminister der โ€žLeipziger Zeitung (LZ)โ€œ ausrichten. Dass Heterogenitรคt die รผber 6.300 Lehrer an den 406 freien Schulen in ihren Karrierechancen benachteiligt, ist ihm allerdings nicht so wichtig.

Dass Lehrer sich oft benachteiligt fรผhlen, ist bereits oft genug in diversen Medien und auf unterschiedliche Art und Weisen thematisiert worden. Auch, dass Lehrer innerhalb eines Kollegiums unterschiedlich behandelt werden, sollte seit der Verbeamtung von Kollegen im Alter von 42 und jรผnger nicht mehr neu sein. Seitdem das sรคchsische Kultusministerium Lehrkrรคfte รผber den Beamtenstatus locken beziehungsweise binden mรถchte, geht ein Riss durch die Lehrerzimmer des Landes.

Auf der einen Seite diejenigen, die in den letzten Jahrzehnten zwangsweise in Teilzeit gehen mussten, weil es zu wenige Schรผler gab und spรคter nicht immer aus der Teilzeit entlassen wurden, obwohl es mehr zu tun gab. Auf der anderen Seite die jรผngeren Kollegen, die mehr Sicherheit und mehr Netto fรผr die gleiche Arbeit bekommen wie ihre Kollegen auf dem Nachbarstuhl.

Das Titelblatt der LEIPZIGER ZEITUNG Nr. 83, Ausgabe September 2020. Foto: Screen LZ
Das Titelblatt der LEIPZIGER ZEITUNG Nr. 83, Ausgabe September 2020. Foto: Screen LZ

Aber dass es auch Benachteiligungen zwischen staatlichen und freien Schulen gibt, wird selten thematisiert. Dabei ist nicht die Rede von dem hinlรคnglich thematisierten Wettbewerbsnachteil, den freie Schulen durch die Verbeamtung haben, denn diese ist ja bekanntermaรŸen an eben diesen nicht mรถglich. Insofern wรคre auch eine Statistik zur Binnenwanderung der Lehrerschaft zwischen staatlichen und freien Schulen interessant. Diese kรถnnte nรคmlich darรผber hinaus aus einem anderen Grund stattfinden.

Lehrern an freien Schulen ist es nicht erlaubt, sรคchsische Studien-Referendare an den Lehrerausbildungsstรคtten zu unterrichten. Diese Stรคtten, kurz Seminar genannt, besuchen Referendare einmal wรถchentlich in ihrer 18-monatigen Ausbildung, die sie nach dem Studium absolvieren.

Der Laie wird jetzt vielleicht fragen: Warum sollen auch Lehrer an freien Schulen, Referendare ausbilden? Die Antworten darauf sind recht simpel: Es arbeiten zahlreiche Referendare wรคhrend ihres Vorbereitungsdienstes an freien Schulen, freie Schulen nehmen der Universitรคt genauso Praktikanten wie staatliche Schulen ab und Lehrer an freien Schulen haben im Zweifel genau das gleiche Studium absolviert wie Lehrer an staatlichen Schulen โ€“ vorausgesetzt es sind keine Quereinsteiger.

Die Situation ist dem Sรคchsischen Kultusministerium bekannt. ร„ndern will es der Minister nicht. โ€žDie Gestaltung des Referendariates ist eine hoheitliche Aufgabe des Staatesโ€œ, heiรŸt es lakonisch aus Dresden und genauso nichtssagend, denn es geht ja nicht um die Gestaltung, es geht um die Ausformung.

Selbst in den letzten Jahren, als Sachsen aufgrund des massiven Lehrermangels neue Ausbildungsstรคtten erรถffnet hat, eine hohe Zahl an Referendaren zum Dienst zugelassen wurden und Seminargruppen wochenlang ohne Betreuer waren, hat sich Sachsen nicht seiner Ressourcen an freien Schulen entsonnen.

Warum ist das signifikant? Es gibt im Lehrerberuf Aufstiegschancen. Es gibt sie in der Schule: vom Lehrer zum Fachschaftsleiter oder zum Fachleiter, bis hin zum Oberstufenberater, stellvertretenden Schulleiter oder Schulleiter. Die Reihenfolge ist dabei beliebig und nicht verpflichtend.

Man kann aber auch auรŸerhalb der Schule weiterkommen indem man sich am Seminar als Fachausbilder oder Hauptausbilder bewirbt. Fachausbilder รผbernehmen die konkrete Ausbildung in den Fachdidaktiken der Fรคcher, Hauptausbilder die Ausbildung in Pรคdagogik. Wer am Seminar arbeitet, fรถrdert Referendare intensiv und ist vor allem qua Amt auch verpflichtet, eng am Puls der Zeit und der Forschung zu sein.

Darรผber hinaus verringert sich die Anzahl der eigenen Unterrichtsstunden wie sich die Zahl der Stunden an der Ausbildungsstรคtte vergrรถรŸert. Referendare kรถnnen auch im Unterricht besucht werden. Wenn dem Land Sachsen Heterogenitรคt wichtig wรคre, mรผssten hier doch eigentlich die Tรผren offen stehen, oder? Nun lassen sich Lehrer an freien Schulen vielleicht vertrรถsten, dass diese Karriere-Option nicht fรผr sie existiert, wenn ihre Rolle im sรคchsischen Schulsystem klar definiert wรคre. Das ist sie aber nicht.

Denn zwar dรผrfen diese Lehrer nicht an diese Ausbildungsstรคtte, weil das ja eine โ€žhoheitliche Aufgabe des Staates istโ€œ. Das Abitur evaluieren oder Abituraufgaben fรผr den Aufgabenpool dรผrfen sie allerdings fรผr den Staat. Beides wird nicht extra vergรผtet, beides ist enorm zeitaufwendig. Fรผr Abituraufgaben mรผssen beispielsweise im Bereich Englisch Texte gesucht werden, Aufgaben dazu angepasst, erstellt und Erwartungsbilder entworfen werden. Der zusรคtzliche Zeitaufwand betrรคgt weit รผber drei volle Arbeitstage.

Vor dem Hintergrund dieser Gemengelage entsteht der Eindruck, dass Lehrer an freien Schulen Pflichten, aber keine Rechte haben. Konfrontiert mit der Frage: โ€žWelche Rechte haben Lehrer an freien Schulen im Vergleich zu Lehrern an staatlichen Schulen nicht?โ€œ antwortet das Sรคchsische Kultusministerium derart: โ€ž Grundsรคtzlich trifft jeder Lehrer selber die Entscheidung, ob er an einer staatlichen Schule oder an einer freien Schule unterrichten mรถchte. Beides hat Vor- und Nachteile. Eine freie Schule hat z. B. die Vorteile, dass die Klassen zum Teil viel kleiner sind und andere Konzepte ausprobiert werden kรถnnen. Insofern kann ich den Eindruck, Lehrer hรคtten an einer freien Schule nur Pflichten und keine Rechte nicht nachvollziehen.โ€œ

Eine Antwort, die zynischer kaum sein kann. Jahrzehntelang hat der Freistaat Sachsen nur wenige Lehrer eingestellt, freie Schulen blieben fรผr diese Bewerber, so sie denn in Sachsen bleiben wollten, als einzige Alternativen รผbrig. Im Kultusministerium meint man ob des Zulaufs von Lehrern an รถffentliche Schulen aufgrund der Verbeamtung, dass freie Schulen ja jahrelang von dieser nicht vorhandenen Einstellungspraxis profitiert haben und nun eben der Staat mal profitieren wรผrde.

Die nicht vorhandene langfristige Planung des Landes gilt also als Feigenblatt fรผr die Dysbalance in den Aufgaben. Aber, die Frage sei erlaubt: Was wรคre eigentlich, wenn alle freie Schulen plรถtzlich schlieรŸen wรผrden? Eine Stadt wie Leipzig, die ohnehin fรผr mindestens 12.000 Schรผler in Zukunft weitere Schulen bauen muss, hรคtte ein noch grรถรŸeres Problem, fรผr alle eine Lernstรคtte zu finden.

Schon am 15.11.2013 hat der Sรคchsische Verfassungsgerichtshof in seinem Urteil festgestellt, dass das รถffentliche Schulwesen und das Privatschulwesen gleichermaรŸen Adressaten des Bildungsauftrages der Verfassung des Freistaates Sachsen sind. Ein Vorrang des einen oder des anderen besteht nicht. Das Kultusministerium tut sich seitdem bereits schwer, freie Schulen gleichermaรŸen zu finanzieren. Lehrer an freien Schulen in ihren Karrierechancen gleichzustellen, scheint da ein frommer Wunsch zu bleiben.

Zur Einordnung: Die 406 freien Schulen sind etwas weniger als ein Viertel der Schulen in Sachsen, die rund 6.300 Lehrer stellen ein Sechstel der Gesamtlehrerzahl. Mit rund 72.000 Schรผlern lernt รผber ein Sechstel der sรคchsischen Schรผler an den freien Schulen Sachsens.

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