Für FreikäuferDas ist mal ein Beitrag aus dem Kosmos der Uni Leipzig. Auch dort macht man sich Gedanken darüber, warum und wie Menschen denken oder auch nicht. Und warum Bildung in Deutschland irgendwie nicht richtig funktioniert. Möglich, dass jetzt in Leipzig ein kleiner Schritt getan wird, die falsche Denkweise, die unser Bildungssystem zerstört hat, aufzulösen. Denn dass ausgerechnet die naturwissenschaftlichen Fächer immer unbeliebter werden, hat Gründe. Und es ist eine Katastrophe.
Dass es den „Blütenfächern“ (Deutsch, Musik, Philosophie …) nicht besser geht, hat auch damit zu tun. Nämlich mit jener neoliberalen Orgie der Politik, jeden Teil unserer Gesellschaft dem Diktat der Nützlichkeit unterzuordnen. Oder im neoliberalen Wortgebrauch: „effizienter zu machen“. Schulen als Durchlauferhitzer, als Fertigungsmaschinerie für Fachkräfte, die nach Abschluss des Fertigungsprozesses sofort einsetzbar sind als perfekte Erfüllungsgehilfen.
Alles, was in diesem Fertigungsprozess stört, wurde herausoperiert aus dem auf Auslese getrimmten System. Und weil auch Lehrer stören, die sich die Zeit und die Freiheit nehmen, Kindern und Jugendlichen die Schönheit des Denkens und die Freude am Die-Welt-Erlernen beizubringen, wurden erst die dafür nötigen Puffer aus den Lehrplänen gestrichen und der Rest mit „Wissen“ zugestopft. Jeder Menge abfragbaren Wissens, als wenn jugendliche Köpfe nur Speichermaschinen sind, die Informationen fressen und auf Knopfdruck wieder ausspucken können.
Dass sich Arbeitgeber hinterher wundern, dass diese Fertigungsprodukte des deutschen Schulsystems zu nichts zu gebrauchen sind und immer unfähiger, Verantwortung zu übernehmen, gar Arbeit als kreativen Lernprozess zu begreifen, ist die Folge. Etliche verzweifeln auch daran. Denn Berufseinsteiger, die nicht mal Lust haben, Verantwortung zu übernehmen und Neues zu lernen, sondern nur zur Abarbeitung von Schema F erzogen sind, die sind am Ende sogar nur eine Belastung für das Unternehmen.
Aber eine kleine Konferenz in Leipzig soll jetzt so ein kleines Türchen öffnen.
Denn schon mit den Lehrern beginnt es. Lehrer, die sich für das, was sie tun und vermitteln, nicht mehr begeistern können, sind natürlich ein wesentlicher Teil dieser Katastrophe.
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Europäische Experten für Lehrerbildung im Fach Biologie wollen jetzt bei einem Workshop in Leipzig gemeinsam mit Lehrern des Fachs ein internationales Netzwerk etablieren, das das Nachdenken im Biologieunterricht fördern soll.
Sie stutzen zu Recht: Wer denkt denn über Biologieunterricht nach? Oder Physik? Oder Geografie? Oder Chemie?
Alles faszinierende Fächer. Aber wer hat sie in der Schule als aufregende Entdeckung der Welt und der Wissenschaft erlebt?
Die mit völlig unverbundenen Wissensklötzern vollgestopften Lehrpläne haben dazu überhaupt keinen Raum gelassen. Lernt eure verdammten Aminosäuren auswendig, die Klassifikation der Wirbeltiere und den Aufbau der Mitochondrien – aber fehlerfrei, sonst: Sechs.
Der Wissenschaftler Harald Lesch fragt in seinen Clips zu Recht, warum Kinder Schule nicht mehr als einen Ort erfahren, an dem sie Freude am Lernen empfinden. Da ist verdammt viel zerstört worden durch das todtraurige Effizienzdenken der politisierenden Betriebswirtschaftler.
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Die Teilnehmer der Konferenz „Thoughtfulness in Biology Education“, die vom 16. bis 19. November an der Universität Leipzig stattfindet und vom Institut für Biologie veranstaltet wird, richtet sich an wissenschaftliche Fachdidaktiker, Biologen, Biologielehrer aus dem In- und Ausland, sowie andere Akteure der Lehrerbildung im Bereich der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik), teilt die Universität mit.
Die wichtigste Gruppe hat man mal wieder vergessen: Die deutschen Bildungspolitiker. Genau die Leute, die den Quatsch angerichtet haben, der uns heute als Bildungssystem dargeboten wird, diese hässliche Maschine, die am Ende lauter junge Menschen (egal, ob mit Abitur oder Bologna-Zertifikat) ausspuckt, die nicht einmal mehr verstehen, wie man neugierig sein kann, phantasievoll und neugierig. Denn das Wichtigste wurde ihnen mit bescheuerten Multiple-Choice-Tests längst ausgetrieben: Das Verständnis dafür, wie in unserer Welt alles miteinander zusammenhängt.
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Studierende, Lehrer und Wissenschaftler wollen künftig gemeinsam in dem europäischen Netzwerk „Thoughtfulness in Biology Education“ an der Qualitätsentwicklung im Biologieunterricht arbeiten, heißt es weiter. Und dann kommt es zum Kern, zu dem, was in sächsischen Schulen längst nicht mehr stattfinden darf.
„Das Kernstück unseres Projektes bildet die Idee, dass Momente des Innehaltens, sich Wunderns und Nachdenkens über Naturphänomene einen besonderen Wert für Bildungsprozesse haben“, sagt Prof. Dr. Jörg Zabel vom Institut für Biologie, der die Tagung gemeinsam mit Alexander Bergmann organisiert hat. Der naturwissenschaftliche Unterricht sei in verschiedener Hinsicht in einer Phase des Umbruchs und in einer Krise. „In der biologischen und medizinischen Forschung entstehen ständig neue Erkenntnisse und Technologien mit teilweise gravierenden Auswirkungen für unser zukünftiges Leben, während gleichzeitig das Interesse der Schüler an den Naturwissenschaften nachlässt“, erklärt Zabel.
Und dann beschreibt er im Grunde dasselbe Phänomen, das auch Harald Lesch geradezu bescheuert findet: Es entstehe der Eindruck, immer mehr Fakten müssten in kurzer Zeit vermittelt werden. Dabei bleibe im Unterricht keine Zeit zum Nachdenken, für eine vertiefte Bildung, die auch die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler berührt.
Das ist – ganz vorsichtig – eine Generalkritik an dem, was deutsche Bildungsplanwirtschaftler an Murks angerichtet haben.
Die Freude am Lehrerberuf haben sie damit übrigens gleich mit zerstört.
Und dabei zeigen sich draußen vor der Schule längst die Folgen dessen, wenn Schmalspur-Denker die Politik und die Wirtschaft im Griff haben: Ihnen sind die Folgen ihres Tuns weder bewusst, noch begreifen sie irgendeine Art Verantwortung dafür.
Als Beispiel nennt der Biologie-Didaktiker Zabel das rasante Tempo, mit dem sich die biologische Artenvielfalt verringert. Gleichzeitig wächst die Bedrohung durch Bakterienstämme, die gegen Antibiotika resistent sind. Beide Entwicklungen gehen auf menschliches Handeln zurück.
„Man benötigt grundlegendes Fachwissen, um all diese Prozesse zumindest in ihren Grundzügen verstehen und einordnen zu können. Wir müssen uns also die Zeit nehmen, gemeinsam mit den Schülern über diese Fragen und Entwicklungen nachzudenken. Es reicht nicht aus, ihnen nur die Fakten zu präsentieren“, erläutert Zabel.
Man ahnt, was für einen Marathonlauf die Didaktiker gerade starten wollen. Denn damit rennen sie gegen Windmühlen und Mauern an, die andere Leute mit wesentlich mehr Einfluss aufgebaut haben, weil man mit Menschen, die komplexes Denken nicht gelernt haben, natürlich rücksichtslos umspringen kann. Sie wehren sich nicht, weil sie nicht mal ahnen, wie sie ausgenutzt und verwertet werden.
Die Initiative und der Workshop seien deshalb eine Möglichkeit, das Fach Biologie als eines wiederzuentdecken, das Fragen beantwortet, aber auch neue Fragen aufwirft, so Zabel. Die Teilnehmer des Workshops wollen gemeinsam Möglichkeiten aufzeigen, wie der Unterricht lebensnäher werden kann und mehr zur Allgemeinbildung beiträgt.
Die Konferenz soll Lösungsansätze für den Biologieunterricht in Deutschland und im Ausland liefern. Denn – siehe da – das neoliberale Nützlichkeitsdenken hat sich nicht nur in Deutschland tief in die Köpfe der Politiker hineingefressen. Anderen geht es nicht die Spur besser.
Experten aus Großbritannien beispielsweise beklagten eine starke Ökonomisierung der Bildung. Schulen würden zu Lernfabriken, die auf Produktivität getrimmt werden.
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Und dann benennt Zabels Kollege etwas, was die sächsische Regierung noch nicht mal als Gefahr begriffen hat.
„In Sachsen macht der abrupte Generationswechsel in den Lehrerzimmern Sorgen, verbunden mit einem starken Lehrermangel. Es gehen derzeit viele Lehrer der naturwissenschaftlichen Fächer gleichzeitig in den Ruhestand. Ihre Berufserfahrung und ihr pädagogisches Augenmaß geht den Schulen verloren“, umreißt der Biologie-Didaktiker Alexander Bergmann die Situation. Nachrückende junge Lehrer hätten dagegen lange Zeit kaum eine Berufsperspektive in Sachsen bekommen. Sie seien hochmotiviert und gut ausgebildet, stünden aber vor vollen Lehrplänen und heterogenen Klassen.
Welche Lehrplaninhalte sind also wirklich wichtig, und was ist verzichtbar?
Auch auf diese Fragen wollen die Teilnehmer des Workshops Antworten suchen. Der Workshop findet – ebenso wie die darin eingebettete Lehrerfortbildung – am Freitag, 17. November, im Institut für Biologie in der Johannisallee 21-23 statt. Auch die interessierte Öffentlichkeit kann daran teilnehmen. Die Veranstalter bitten aber wegen begrenzter Kapazitäten um vorherige Anmeldung über die Website.
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