Das sächsische Bildungssystem ist viel kaputter, als es die zuständige Bildungsministerin zugeben will. Was am Dienstag, 26. September, nur zu deutlich wurde, als die Direktorin der Chemnitzer Jan-Amos-Comenius-Grundschule die Eltern darüber informierte, dass aufgrund eines krankheitsbedingten Personalnotstandes drei Tage lang kein Unterricht durchgeführt werden könne.
Es werde eine Notbetreuung bis zur 4. Stunde angeboten. Die Eltern wurden gebeten, wenn möglich, ihre Kinder zu Hause zu betreuen. Der versäumte Unterrichtsstoff solle nachgeholt werden.
„Der Lehrermangel führt zu immer erschreckenderen Entwicklungen in den sächsischen Schulen. Es ist ein unhaltbarer Zustand, dass aufgrund fehlender Lehrkräfte der Unterricht an einer Chemnitzer Grundschule mehrere Tage lang ausfallen muss. Dies hat es bisher so noch nicht gegeben. Die großen Versäumnisse und Fehler in der Bildungspolitik, insbesondere auch bei der Einstellung von Lehrkräften, fallen der dafür verantwortlichen CDU nun knallhart auf die Füße“, sagte dazu Petra Zais, bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag“ “Besonders bedenklich ist für mich, dass gerade die Region Chemnitz, die ohnehin durch einen hohen Anteil von Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern benachteiligt ist, nun auch noch zusätzliche Probleme mit der Unterrichtsabsicherung bekommt. Es ist das mindeste, dass die Sächsische Bildungsagentur in solchen Notfällen für Ersatz sorgt. Dass der versäumte Unterrichtsstoff angemessen nachgeholt werden kann, bleibt angesichts des Lehrernotstandes an den Schulen wohl nur ein frommer Wunsch. Dass Eltern zu Recht großen Frust über diese Entwicklungen haben, ist absolut nachzuvollziehen. Die Sächsische Bildungsagentur muss betroffenen Schulen schnellstmöglich helfen.“
Sie ist nicht die einzige Politikerin, die mit gelindem Entsetzen sieht, wohin der Sparkurs und die Flickenpolitik der zuständigen Ministerin Sachsens Schulen gebracht haben. Eine belastbare Personalpolitik gibt es bis heute nicht. Darunter leiden gerade die Lehrer, die noch im Dienst sind, denn sie müssen die Knauserpolitik der Landesregierung auffangen. Von einer echten Bildungsarbeit kann da in vielen sächsischen Schulen keine Rede mehr sein.
„Mit dem Unterrichtsausfall an der Jan-Amos-Comenius-Grundschule in Chemnitz erreicht das Versagen der sächsischen Kultuspolitik einen Tiefpunkt. Grundschülerinnen und Grundschüler erhalten nur eine Notversorgung bis zur vierten Stunde, weil Lehrkräfte wegen Krankheit ausfallen. Den übrigen Teil des Tages sollen die Eltern ihre Kinder selbst betreuen. Selbst Streichungen in der Stundentafel helfen nicht gegen Unterrichtsausfall“, kommentiert Cornelia Falken, die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, den Vorgang.
Ihre Fraktion habe einen entsprechenden Antrag eingebracht und werde die „Personal- und Unterrichtssituation an den Schulen zu Beginn des Schuljahres 2017/2018“ (Parlaments-Drucksache 6/10801) im Schulausschuss ansprechen und die Kultusministerin zur Rede stellen.
Den Antrag hat die Fraktion übrigens schon eine Woche vor der Meldung aus Chemnitz eingebracht. Denn dass die Notfallpläne der Ministerin in diesem Schuljahr erst recht versagen würden, war absehbar.
„Die Kultusministerin kann mit ihrer Einstellungspolitik noch nicht einmal den Bedarf an Lehrkräften kompensieren, die vorzeitig aus dem Schuldienst ausscheiden. Das belegen die aktuellen Zahlen aus dem Kultusministerium von Anfang September. Demnach sind im Schuljahr 2016/2017 über alle Schularten hinweg insgesamt 957 Lehrkräfte durch Auflösungsvertrag und 488 Lehrkräfte durch Kündigung oder andere Gründe vorzeitig aus dem Schuldienst ausgeschieden. Und dabei sind diejenigen Lehrkräfte, die in Rente gegangen sind, noch gar nicht eingerechnet“, geht Cornelia Falken auf die tatsächliche Personalsituation ein.
Nur zur Erinnerung: Das war eigentlich 2011 schon so, als Brunhild Kurth den Posten der Schulministerin übernahm. Doch statt die verunglückte Personalpolitik ihres Vorgängers zu ändern, hat sie mit derselben Sparmentalität weitergemacht und dabei auch noch tausende frisch ausgebildeter Pädagogen verprellt, deren Bewerbungen im sächsischen Schuldienst abgelehnt wurden.
Das Desaster, das heute in den Schulen zu besichtigen ist, geht also ganz und gar auf das Konto der Ministerin, die sich auch gegen jede Schulreform verweigert, als könne man Bildung mit politischer Engstirnigkeit organisieren – gar noch möglichst billig und mit möglichst wenigen Leuten. Dass sie augenscheinlich Bildung eher als Verwaltungsaufgabe sieht, denn als allumfassende Menschenbildung, wird jetzt zur sächsischen Tragödie.
Zusätzlich zu den Altersabgängen schieden mittlerweile auch hunderte andere Lehrerinnen und Lehrer aus anderen Gründen vorzeitig aus dem Schuldienst aus. Im letzten Jahr waren es über 1.000 Pädagoginnen, die mit einem Auflösungsvertrag, durch Kündigung oder andere Gründe aus dem Schuldienst ausschieden. Alles Personalstellen, die von der Ministerin in ihrem knappen Einstellungsprogramm überhaupt nicht berücksichtigt werden.
„Vergrößert wird das Loch in der Personaldecke, das durch die Nichtkompensation der vorzeitig ausgeschiedenen Lehrkräfte entstanden ist, durch die steigende Schülerzahl“, geht Cornelia Falken auf die nächste Fehlstelle ein. „Laut Angaben der Kultusministerin starteten in das Schuljahr 2017/2018 rund 5.000 Schülerinnen und Schüler mehr als im vergangenen Schuljahr. Für diese Schülerinnen und Schüler braucht man bei etwa 200 Schulklassen noch einmal 200 zusätzliche Lehrkräfte.“
Womit rein rechnerisch in Sachsen heute schon über 2.500 Lehrerinnen und Lehrer fehlen. Dafür existiert nicht einmal ein auch nur vages Neueinstellungs- oder Ausbildungsprogramm.
Der Antrag der Linksfraktion. Drs. 10801
Nachtrag: Am Freitag, 29. September, 10:17 Uhr meldete das Sächsischische Kultusministerium:
Sachsens Kultusministerin Brunhild Kurth tritt heute, 29. September 2017, aus privaten Gründen von ihrem Amt zurück.
Die Gründe dafür sind dem Interview im Blog des Kultusministeriums zu entnehmen: www.bildung.sachsen.de/blog
Die LEIPZIGER ZEITUNG ist da: Seit 15. September überall zu kaufen, wo es gute Zeitungen gibt
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