Die Debatte läuft nun wohl seit 17 Jahren. Doch statt leiser zu werden, wird sie eher immer lauter und immer mehr Menschen interessieren sich für die Frage: Was würde ich mit meinem Leben anfangen, wenn meine Existenz auch ohne Erwerbsarbeit gesichert wäre? Vor allem vor dem Hintergrund der sich ändernden Arbeitswelten wird dies wieder aktueller denn je. Viele Berufsbilder werden in den kommenden Jahren in rascher Folge entfallen, andere hinzukommen, doch nicht jeder wird noch einen Platz finden, wo Maschinen und Computer die Arbeit präziser und schneller erledigen können. Ein Abend zum Bedingungslosen Grundeinkommen in Leipzig könnte Antworten bieten.

Auch das große Wort Gerechtigkeit taucht immer wieder auf, wenn Menschen über das BGE debattieren, Freiheit auch. Viel Stoff also, den Soziologe Ronald Blaschke für seinen Vortrag zu seinem Modell des Bedingungslosen Grundeinkommens mit nach Leipzig brachte. Die L-IZ war dabei, fragte nach und filmte.

Viele Dinge werden in das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) hineingedacht, manches ist zuviel, anderes fehlt. Wie umkämpft und höchst emotional debattiert das Thema ist, zeigen auch erste Reaktionen aus der Politik. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles lehnte es kürzlich auf der re:publika in einem Vortrag rundweg ab – wenn auch aus eher persönlichen, denn faktischen Motiven heraus. Und brachte eigene Vorschläge für mehr Startgerechtigkeit junger Menschen in Deutschland.

In fast jeder Partei ist das Thema angekommen, wird diskutiert, doch so richtig voran kommt das Thema dennoch nicht.

Bislang.

Das Interview

 

Denn dies seien alles Reaktionen auf die nicht enden wollenden Vorschläge und Überlegungen der BGE-Befürworter, so Blaschke im Interview gegenüber L-IZ.de. Er sieht Teilerfolge, Nahles eher als Getriebene der Entwicklungen, erste Schritte in den Wahlprogrammen der Parteien und einen inneren Zwang, das BGE voranzutreiben. Ein Zwang, der aus Notwendigkeit geboren ist. Vergleichbar mit der Erringung des Frauenwahlrechts 1918 in Deutschland sieht Blaschke einen langen Weg für das BGE. Aber auch das lohnende Ziel einer Gesellschaft, die sich nicht nur gerechter, sondern auch ökologischer und solidarischer verhalten könnte als bislang.

Weltweit, wie sich in seinem Vortrag herausstellt, ist auch diese Frage zwingend. Wie auch das Ende des Kohleabbaus und der Waffenproduktion, welche heute noch mit den Arbeitsplätzen derer argumentiert wird, die in der Lausitz weiter die Natur zerstören oder am Fließband Waffen für den nächsten Krieg produzieren. Fazit: auch heute vermeintlich Reiche werden am Ende mit ihrem Geld auf einem ausgebluteten Planeten mit schwindenden Ressourcen nicht mehr viel anstellen können.

Ja, es folgt im Vortrag nach dem Interview die Plattitüde, dass man Geld nicht essen kann – doch sie trifft. Manchmal muss man das Einfache offenbar auch wieder einfach sagen, wenn der Rahmen stimmt. Und auch Unternehmer gute Gründe haben, für das BGE zu sein.

Der Vortrag

Einen ziemlich komplett gerechneten BGE-Ansatz hat Ronald Blaschke zudem im Gepäck, wenn der gebürtige Dresdner Soziologe und Diplompädagoge durchs ganze Land reist. Also froh hinein mit Blaschke in die Frage: Wie viel braucht der Mensch wirklich zum Leben? Eigentlich nicht viel, wie seine Umfrage im rammelvollen Leipziger Bürgerbüro des Landtagabgeordneten Franz Sodann (Die Linke) am 31. Mai 2017 zeigt. 1.300 Euro, 1.000 Euro, 500 Euro (Erstaunen, ok eher Studenten-WG). Irgendwie kommt bei den Antworten der Gäste immer die Pfändungsgrenze in Deutschland heraus, also runde 1.100 bis 1.200 Euro im Monat.

Nach der Einleitung von Sodann und der Frage, wann es eigentlich in der Menschheits-Geschichte begann, dieses Arbeiten für sich allein und damit für Andere, Reichere, unter mehr oder minder hohem Zwang, geht es also bei Blaschke gleich ans Eingemachte, an die existenziellen Fragen von heute.

Ein neues Steuerkonzept, durchgerechnete Finanzierungswege fürs BGE, Praxisbeispiele zur Wirkung, im Ehe- und Arbeitsleben, die Logik der Widerstände bei Gewerkschaftsfunktionären und der uralte Traum von der Befreiung der Menschen von harter, körperlicher Arbeit. Eine einstige Wunschvorstellung, die nun zu einer Gefahr für angeblich nicht mehr gebrauchte, sozial abgehängte Menschen und die „Eliten“ gleichermaßen werden könnte.

Denn wer unten nichts hat, wird irgendwann zum Gewehr greifen und nach oben schießen. Wenn man hier genau zuhört, bekommt man schon eine Ahnung, dass die Menschheitsfrage eine der Verteilungsgerechtigkeit war, ist und bleiben wird.

Die Debatte

 

Es geht Schlag auf Schlag. Blaschke denkt konsequent gesamtheitlich, nutzt keine Horrorszenarien sondern eine handfeste Vision einer klüger gewordenen, kinderfreundlichen und wirklich gerechten Gesellschaft, bleibt dabei präzise und entwickelt an diesem Abend Stück um Stück ein neues Bild gemeinsamer Zukunft. Auf Nachfragen in der Debatte gibt es ungewöhnlich exakte Antworten, leicht nachvollziehbare Begründungen und freundliche Erläuterungen logischer Natur. Dass es dabei weitgehend ideologiefrei bleibt, werden nicht alle so empfinden, doch das ist es letztlich.

Nach 17 Jahren der Befassung deutet sich bei Ronald Blaschke ein durchdachtes Modell an, welches nicht versucht die Marktwirtschaft auszuhebeln und gleichermaßen gegen den Kapitalismus angeht. Spannend auch die Frage, dass bereits jetzt in Deutschland mehr als das Doppelte der Arbeitsstunden in der Lohnarbeit im Ehrenamt und somit in der unbezahlten Arbeit anfällt. Und was dies für unseren Arbeitsbegriff, die Frauenrechte und die Wertschätzung dieser Tätigkeiten bedeutet.

Als sich nach etwa 1,5 Stunden der Raum auf die Mariannenstraße ergießt, sind irgendwie alle von der hoffnungsvollen Fröhlichkeit eines Mannes angesteckt, dass sich alles ein wenig anfühlt, als sei es schon erreicht. Wer sich anfangs noch fragte, was hat der Mann, dass er von Berlin in den wilden Leipziger Osten reist, um über eine bedingungslose Würde des Menschen zu sprechen, der weiß nun: Der Mann hat einfach Recht.

Mit einer Frage geht man nach so einem Abend auseinander. Warum tun wir es nicht? Ronald Blaschke würde wohl sagen: Es geht um Mehrheiten in der Demokratie, wenn man etwas ändern will. Doch auch ein Satz von Franz Sodann hallt nach: Es scheint um unsere Köpfe zu gehen. Was undenkbar scheint, kann nicht gelebt werden. Wie das Frauenwahlrecht.

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