Manchmal hat man – wohl zu Recht – das Gefühl, dass das sächsische Landesamt für Statistik bestimmte Zahlen zur Entwicklung im Freistaat auch deshalb herausgibt, um die Regierung endlich aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken. Das hilft zwar wenig, weil die Regierungsfraktionen trotzdem ihren alten Trott weitermachen. Aber die Mahnung ist deutlich: Integration erlangt man nur durch Bildung.

Denn wer die entscheidenden Schulabschlüsse nicht schafft – und das ist ja nur ein Teil der Bildung – scheitert schon früh beim Einstieg in ein erfolgreiches Berufsleben. Das betrifft nicht nur Migranten, auch wenn die Landesstatistiker diesmal vor allem die Kinder mit Migrationshintergrund in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung gestellt haben. Das betrifft auch viele Kinder aus sogenannten sozial schwachen und bildungsfernen Familien. Denn niedrige Einkommen, prekäre Beschäftigung und niedrige Bildungsabschlüsse hängen eng miteinander zusammen.

Und die Abschlüsse, die Kinder im sächsischen Bildungssystem erreichen, haben nichts, aber auch gar nichts mit ihren Talenten und Fähigkeiten zu tun.

Sachsen hat – 1990 nach westdeutschem Vorbild übernommen – ein stark auf Auslese und Elitebildung fixiertes Bildungssystem. Für Kinder aus Familien mit niedrigem Erwerbsstatus liegen die Chancen, im Lauf ihres Schulbesuchs die Hochschulreife zu erlangen, bei 8 Prozent. Bei Kindern aus Gutverdienerfamilien liegen diese Chancen bei 80 Prozent.

Auch für Leipzig ist es jedes Jahr deutlich nachweisbar: Genau diese Zahlen bekommt man, wenn man die Prozentzahlen zur „Bildungsempfehlung“ in „sozial schwachen“ Ortsteilen wie Volkmarsdorf oder Neustadt-Neuschönefeld mit den Empfehlungen in Schulen in einem besser situierten Umfeld wie der Südvorstadt oder dem Waldstraßenviertel vergleicht. Hier entscheidet eine „Empfehlung“, die ihren Namen nicht verdient, über die Lebenschancen von Kindern.

Und besonders trifft es auch in Sachsen Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund. Genau darauf weisen die Landesstatistiker jetzt hin, wenn sie – im Grunde schon – mahnen: „Bildung ist ein entscheidender Indikator für die berufliche und gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund.“

Was im Klartext heißt: In der Grundschule, spätestens beim Übergang an Oberschule oder Gymnasium, entscheidet das staatliche Bildungssystem, ob die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund gelingt, ob die kulturellen und sprachlichen Barrieren überwunden werden können und die jungen Menschen nach ihrem Schulabschluss problemlos in den hiesigen Arbeitsmarkt eintreten können (oder auch Wissenschaftler, Forscher, Ingenieur werden) und damit die Integration in der zweiten Generation gelingt – oder nicht.

Aber das Landesamt für Statistik wäre keine Landesbehörde, wenn sie das den aktuell zuständigen Ministern und Ministerinnen so unverblümt ins Gesicht sagen würde. Man nimmt elegant eine Kurve und richtet die Mahnung – an die Kommunen.

Denn die sind für all das verantwortlich, was vor Eintritt in die Grundschule passiert.

„Die Integration der Zugewanderten in das Bildungswesen sollte möglichst schon im Vorschulbereich beginnen“, schreiben die Landesstatistiker. Womit sie Recht haben. Auch eine Stadt wie Leipzig versucht die Kinder aus Migrantenfamilien so früh wie möglich in eine Kita-Betreuung zu bekommen, wo die Kinder dann tatsächlich spielend die deutsche Sprache und einen Haufen Kultur und hier üblicher sozialer Regeln lernen.

Nach Angaben des  Statistischen Landesamtes befanden sich am 1. März 2016 insgesamt 23.523 Kinder in Sachsen, bei denen mindestens ein Elternteil ausländischer Herkunft war, in der Tagesbetreuung. Das waren fast 8 Prozent der betreuten Kinder insgesamt und damit über 2 Prozentpunkte mehr als vor 10 Jahren. Dabei sorgen vor allem die Großstädte dafür, dass so ein Prozentsatz erreicht wird. In Leipzig lag der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund in den Kitas 2014 schon bei 13 Prozent.

„Bei 13.586 Kindern war die überwiegend gesprochene Sprache nicht Deutsch“, teilt das Statistische Landesamt mit. Und – die Schule betreffend: „An den allgemeinbildenden Schulen lernten im vergangenen Schuljahr 26.148 Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund. Das waren 12.219 Schüler mehr als im Schuljahr 2010/11. Der Anteil an den Schülern insgesamt betrug 2015/16 etwas über 7 Prozent.“

Und dann kommen die Statistiker auf das Problem zu sprechen, das entsteht, wenn ein Land wie Sachsen die notwendige Integrationsarbeit in den Schulen einfach nicht ernst nimmt und die Lehrer mit dem wachsenden Anteil an Migrantenkindern allein lässt: „2015 erwarben von insgesamt 1.204 Schulentlassenen mit Migrationshintergrund 313 bzw. 26 Prozent die allgemeine Hochschulreife. Das waren 54 bzw. fast 21 Prozent mehr Absolventen als 2010. Der Anteil der Schulentlassenen ohne Hauptschulabschluss war bei den Migrantenkindern mit 15,5 Prozent höher als bei denen ohne Migrationshintergrund (8 Prozent).“

Das heißt im Klartext: Kinder mit Migrationshintergrund haben deutlich schlechtere Chancen, in Sachsen den Schulabschluss zu schaffen. Was die Statistik natürlich nicht zeigt, ist die unterschiedliche Betroffenheit verschiedener Migrantengruppen. Kinder aus Familien mit russischen oder vietnamesischen Wurzeln haben deutlich weniger Probleme, das Schulziel zu erreichen als Kinder aus Familien aus dem arabischen Raum. Was auch mit den tatsächlich bestehenden sprachlichen und kulturellen Barrieren zu tun hat – die eben nicht nur für die einheimischen Angsthasen ein Problem sind, sondern auch für die Kinder, die sich die gar nicht so einfache deutsche Sprache erst einmal aneignen müssen. Und das oft genug in einer Atmosphäre der Gleichgültigkeit oder gar Ablehnung.

Das ändert sich auch in der Berufsausbildung nicht: „Die berufsbildenden Schulen wurden im vergangenen Schuljahr von 4.482 Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund besucht“, melden die Landesstatistiker: „Das entsprach einem Anteil von 4,5 Prozent der Schülerschaft. Etwas über 14 Prozent dieser Jugendlichen besaßen die deutsche Staatsangehörigkeit. Von 1.145 Schulentlassenen mit Migrationshintergrund verließen 2015 mehr als drei Viertel die berufsbildenden Schulen mit einem Abschlusszeugnis.“ Aber: 22,3 Prozent haben es nicht geschafft. Und werden folgerichtig jetzt die ganzen Schwierigkeiten haben, irgendwie Zugang zu einer zukunftssichernden Arbeitsstelle zu bekommen.

So produziert ein vom Sparen und Aussitzen begeisterter Staat genau die Probleme, die dann die Gemüter des irritierten Volkes erhitzen.

Was soll man dazu noch sagen? „Weiter so“? Ganz bestimmt nicht.

Anlass für die Nachricht war übrigens die Tatsache, dass am heutigen 8. September offizieller Weltbildungstag ist.

Die Pressemitteilung des Landesamtes für Statistik zum Weltbildungstag.

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