Auf einmal wird die Bildungspolitik wieder ein bundesweit wahrgenommenes Thema. Das liegt nicht nur daran, dass die Kultusminister der Länder sich jetzt endlich mit der Rolle von Schule bei der Integration all der Jugendlichen beschäftigen, die jetzt als Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Selbst die Bildungspolitischen Sprecher der Landtagsfraktion von CDU und CSU wurden Ende September ein bisschen munter.

“Jetzt müssen wir die richtigen Schritte gehen, damit Schule ihren Beitrag für eine gelingende Integration der Flüchtlinge im Kinder- und Jugendalter leisten könne“, erklärte Lothar Bienst, bildungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages, am Montag, 12. Oktober, mit Bezug auf die Herbsttagung der bildungspolitischen Sprecher der Union aus den Landtagen, die am 25. und 26. September in München stattgefunden hat. “Sachsen ist konzeptionell dafür gut aufgestellt, aber für die steigende Zahl von Flüchtlingskindern brauchen wir dringend mehr Lehrer für ‚Deutsch als Zweitsprache‘ (DaZ). Ich wünsche mir, dass die Universitäten und das Kultusministerium hier Hand in Hand arbeiten. Die einstimmig verabschiedete Erklärung ‚Rahmenbedingungen für erfolgreiche Beschulung von Flüchtlingskindern‘ berücksichtige sowohl die pädagogische-fachliche Herausforderung der Lehrkräfte wie auch die notwendige inhaltliche Orientierung, die für eine gelingende Integration zwingend erforderlich sei“, so Bienst.

Das Papier ist freilich nicht mehr als eine Art Frühstückserklärung, in der dann wieder die seltsame Sorge der Unionspolitiker auftaucht, die jungen Flüchtlinge könnten die Bundesrepublik für das Morgenland halten, denn in diesen Vorbereitungsklassen sollen sie “neben den Kenntnissen der deutschen Sprache auch Werte und Normen unserer christlich-jüdisch-abendländisch geprägten Gesellschaft sowie kulturelle Traditionen vermittelt” bekommen.

So rudert man also wieder in dem Tümpel, in dem schon AfD, Pegida, Legida & Co. baden.

„Das Beherrschen der deutschen Sprache ist für uns der entscheidende Schlüssel für eine gelingende Integration der Flüchtlingskinder mit ihrem schweren Rucksack“, sagt Bienst. Es bedürfe jetzt eines tatkräftigen Zupackens der verantwortlichen Kultusminister, um hier nicht eine große Chance zu verpassen. „Denn bislang fristet das Thema Schule eher ein Schattendasein, andere Themen dominieren derzeit die Debatte.”

Es sei wichtig für eine gelingende Integration, dass Lehrerinnen und Lehrer die notwendige Qualifizierung und Unterstützung erfahren. Der Umgang mit teilweise schwer traumatisierten Kindern und Jugendlichen – teilweise ohne Eltern – bedürfe einer besonderen Herangehensweise sowie der Einbeziehung von Spezialisten wie Schulpsychologen, Schulsozialarbeiter und Traumatherapeuten.

Aber dazu finden sich im Papier überhaupt keine Aussagen. Tatsächlich ist es vollgestopft mit der Sorge, die jungen Leute könnten die “Achtung der Menschenwürde, die freiheitlich-demokratische Grundordnung, die Gewährleistung der Presse- und Meinungsfreiheit, das Gewaltmonopol des Staates und die Gleichberechtigung von Mann und Frau” nicht respektieren.

“Junge Menschen, die voraussichtlich längerfristig oder dauerhaft bei uns bleiben, brauchen für ihre gelingende Integration möglichst frühzeitig eine umfassende Förderung. Neben der Sprache ist die Vermittlung von Werten ebenso wichtig“, meint Bienst. Flüchtlinge im Kindes- und Jugendalter bedürften auch der Orientierung: Für eine gelingende Integration ist es von großer Wichtigkeit, dass jungen Flüchtlingen in der Schule auch die Anerkennung und Akzeptanz der auf christlich-abendländischer Tradition beruhenden Rechts- und Gesellschaftsordnung vermittelt wird. „Das ist das Fundament für ein friedliches Zusammenleben in Deutschland. Hierin liegt ein hohes Maß an sozialer Brisanz“, findet Bienst.

Und so haben auch die bildungspolitischen Sprecher aus den Unionsfraktionen das Thema wieder gründlich vergeigt und wieder zusammengestoppelte Werte beschworen, statt klipp und klar den Bedarf zu definieren. Wenn Brunhild Kurth (CDU), sächsische Kultusministerin und derzeit Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, den zusätzlichen Bedarf an Lehrern durch die vielen jungen Flüchtlinge im schulpflichtigen Alter auf 20.000 schätzt und dafür einen Finanzierungsbedarf von 2,3 Milliarden Euro sieht, dann muss man sich jetzt um die Einstellung dieser Lehrer kümmern.

Viele dieser Lehrer müssen ausgebildet sein, um “Deutsch als Zweitsprache” unterrichten zu können. Dazu finden sich auch keine Zahlen und Forderungen im Frühstückspapier der Unionspolitiker. Denn da fehlt es augenblicklich am meisten.

Zumindest haben dazu die Landtagsabgeordneten der Linken, Marion Junge und Cornelia Falken, mal bei Brunhild Kurth nachgefragt. Und die hat auch am 10. Oktober Auskunft gegeben.

Danach gibt es augenblicklich 106 Schulen in Sachsen, in denen es Vorbereitungsklassen für Migranten “Deutsch als Zweitsprache” gibt. Im vergangenen Schuljahr waren es – wie man einer Anfrage von Verena Meiwald (Linke) entnehmen kann – noch 121 Schulen mit Vorbereitungsklassen. Weitere 829 Schulen boten nach Auskunft von Brunhild Kurth zusätzlich zum Regelunterricht “Deutsch als Zweitsprache” an. Die Zahl der Lehrkräfte, die “Deutsch als Zweitsprache” unterrichten können, wurde von 174 auf 223 aufgestockt. 13 Schulen listet Brunhild Kurth für das Schuljahr 2015 / 2016 in Leipzig auf, wo es “DaZ”-Klassen gibt. Im Vorjahr waren es noch 17. Der Grund dafür könnte in der Aussage von Brunhild Kurth stecken: “An Schulen der Schulart Gymnasium gibt es derzeit noch keine Vorbereitungsklassen für Migranten.”

Das Ganze sieht also eher nach einem Knapp-auf-Kante-Genäht aus und einer Bündelung der einsatzfähigen “DaZ”-Lehrer auf Grund- und Oberschulen. Denn wirklich vorgesorgt ist nicht. Im Wintersemester 2014 / 2015 waren 106 Studierende in Sachsen im Fach “Deutsch für Ausländer” registriert. Damit kann man nicht wirklich schnell auf einen deutlich wachsenden Bedarf reagieren.

Es geht derzeit wirklich nicht um moralische Werte-Appelle, sondern um nüchterne Zuweisung von Haushaltsmitteln und Fachkräften. Aber da genau hapert es, diskutiert man lieber übers christliche Abendland, als zu zeigen, wie eine gut organisierte Demokratie funktionieren könnte.

Anfrage von Marion Junge und Cornelia Falken zu “Deutsch als Zweitsprache” an Sachsens Schulen.

Anfrage von Verena Meiwald 2014 zu “Deutsch als Zweitsprache” an Sachsens Schulen.

Das Beschlusspapier der Bildungspolitiker der Union vom 25. und 26. September in München.

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