Wer wird denn stillsitzen, wenn er zwar nicht mehr im Landtag sitzt, weil das Mandat verloren ging, aber trotzdem Vollblutpolitiker ist? Das soll vorkommen. Und auch bei der Linken gibt es solche Leute. Dr. Dietmar Pellmann ist so einer. Er war immer mit dabei, wenn die Linksfraktion im Landtag eine neue Publikation zur sozialen Lage im Freistaat erstellt hat. Und er macht weiter.

Auch wenn er sein Mandat im letzten Jahr an seinen Herausforderer von der CDU verloren hat. Geändert hat sich ja im sozialen Unterbau des Freistaats Sachsen nicht viel. Am wirtschaftlichen Aufschwung haben nicht alle Teil. Und die so mächtig wachsende Großstadt Leipzig wird mit ihren eigentlichen Problemen nach wie vor allein gelassen. Das wird jedes Mal sichtbar, wenn die neuen Zahlen zur Bildungspolitik öffentlich werden. Keine andere Stadt in Sachsen hat so viele Bedarfsgemeinschaften, Kinder in Hartz-IV-Familien, Kinder mit Migrationshintergrund und einen derart großen Rückstand beim Ausbau von Kindertagesstätten und Schulen.

Verfahrenes sächsisches Bildungssystem

Keine andere Stadt wie Leipzig leidet so sehr unter dem verfahrenen sächsischen Bildungssystem in Sachsen. Denn das, war vor 25 Jahren in Sachsen eingeführt wurde, war schon damals nicht neu. Und es sorgte dafür, dass die Chancen für Kinder aus bildungsnahen und denen aus bildungsfernen Schichten in Sachsen immer mehr auseinander drifteten. In den PISA-Tests wird das nicht sichtbar, bei den Bildungsabschlüssen aber schon: Ein Land, das mehr als 10 Prozent der Kinder ohne Abschluss aus der Schule entlässt, hat kein Interesse an Bildungsgerechtigkeit.

Oder wie es Cornelia Falken, die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag, beschreiben würde: Vor mehr als 25 Jahren wurde in Sachsen ein neues Bildungssystem eingeführt. Innovativ war es bereits zum Zeitpunkt seiner Einführung nicht. Getragen wird es von der Idee, soziale Segregation zu verstärken und jene zu belohnen, deren soziales Umfeld ohnehin schon bessere Chancen innerhalb der Leistungsgesellschaft bietet.

Die hartnäckige Weigerung der sächsischen Staatsregierung, das sächsische Bildungssystem grundhaft zu reformieren, die sich beispielsweise auch im Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD zeigt, war deshalb Anlass für die beiden Fraktionen der Linken im Sächsischen Landtag und im Leipziger Stadtrat, die statistischen Ergebnisse der letzten Jahre etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.

Genau das hat dann Dietmar Pellman getan. Und die Leipziger Landtagsabgeordnete Cornelia Falken und der Vorsitzende der Leipziger Linksfraktion, Sören Pellmann, haben am Donnerstag, 20. August, die ersten beiden Broschüren, die auf diese Art entstanden sind, vorgestellt. (Wer die Broschüren lesen möchte, bekommt sie zum Beispiel im gemeinsamen Abgeordnetenbüro von Cornelia Falken und Sören Pellmann in der Stuttgarter Allee 16 in Grünau.)

“Mit dem Anfang fängt alles an”

Die erste Broschüre widmet sich der “Frühkindlichen Bildung in Leipzig”. “Mit dem Anfang fängt alles an”, wie Cornelia Falken sagt. Denn Bildungskarrieren beginnen weit vor dem Schuleintritt. Und keine Stadt wie Leipzig zeigt so deutlich, wie sehr das Erwerbseinkommen, die Herkunft und der Bildungsstand der Eltern darüber entscheiden, ob die Kinder auch nur die erste Schwelle schaffen: den problemlosen Eintritt in die Grundschule.

Dazu muss man die faktenreiche Ausarbeitung von Dr. Dietmar Pellmann nicht lesen. Selbst aus dem Leipziger Sozialreport kann man das herauslesen. Wer im falschen Ortsteil aufwächst, hat dreimal schlechtere Chancen, jemals aufs Gymnasium zu kommen als Kinder aus den reicheren Ortsteilen.

Aber was Pellmanns Ausarbeitung zeigt, ist auch der große Rückstand, den Leipzig beim Ausbau der notwendigen Kapazitäten im Vergleich mit Dresden und Chemnitz hat. “In Dresden hat man schlichtweg ein paar Jahre früher begriffen, was getan werden muss”, sagt Falken.

Begriffen hat man es in Leipzig auch. Nur hat eine Stadtverwaltung, die eben die strengsten Konsolidierungsprogramme für den Stadthaushalt durchziehen musste, nicht wirklich gleich begriffen, dass Bevölkerungswachstum vor allem Investition bedeutet. Über fünf Jahre lang tat man so, als könne man den Ausbau des benötigten Netzes von Kindertagesstätten “einfach so mitlaufen lassen”. Erst spät reifte die Einsicht, dass solche Herausforderungen nicht im üblichen Verfahrenstrott abzuwickeln sind, sondern koordiniert und bis zur Umsetzung von der Stadt selbst vorangetrieben werden müssen.

Leipzig hat das spät gelernt. Tastsächlich fünf Jahre zu spät.

Aber das ist nur ein Teil des Leipziger Bildungsdilemmas. Denn immer ging und geht es um Geld. Und bei Geld hört auch in Sachsen die Freundschaft auf. Erst recht, wenn Sparen wichtiger als Kinder wird. Deswegen erzählt diese Broschüre die Geschichte eines mehrfachen Versagens.

Das erzählen wir gleich etwas ausführlicher an dieser Stelle.

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