In seinem Statement zum Problem der aktuellen Rektorenwahl an der Uni Leipzig hat Prof. Alfonso de Toro, Direktor des Instituts fรผr Romanistik der Uni Leipzig, auch ein paar Sรคtze geschrieben, die zum Einspruch anregen. Nicht gerade zum Widerspruch. Denn mit dem Verweis hat er ja recht: Das 2008 beschlossene Sรคchsische Hochschulgesetz hat neue, autoritรคrere Entscheidungsstrukturen in die sรคchsischen Hochschulen eingefรผhrt.
โAls das Gesetz in die erste Lesung in den Landtag ging, war die Universitรคtsรถffentlichkeit unsichtbarโ, schreibt de Toro, โes herrschte totales Desinteresse. Ich lehnte damals wie heute die jetzigen Leitungs- und Entscheidungsstrukturen der Universitรคt Leipzig (in Sachsen und anderswo in der Republik) ab, nicht weil sie undemokratisch wรคren, sondern weil sie autoritรคr sind: das gilt fรผr die Befugnisse, mit denen der oder die jeweilige amtierende Rektor_In, der/die Kanzler_In oder der Hochschulrat ausgestattet sind und ihre jeweiligen รmter ausรผben. Diese Hochschulgesetze dienen der Disziplinierung engagierter Professor_Innen, der รkonomisierung der Universitรคt, nicht aber einem respektvollen und kollegialen Miteinander.โ
Eine klare Haltung: Wenn die Sachsen sich 2008 schon so ein Hochschulgesetz gegeben haben, dann mรผssen sie auch mit den Folgen leben und die Entscheidungen akzeptieren, die die mehr oder weniger demokratisch zustande gekommenen Gremien fรคllen.
Problematischer ist es, die damaligen Reaktionen der โUniversitรคtsรถffentlichkeitโ nachzuvollziehen. Denn als Redakteur erinnert man sich sehr wohl daran, seinerzeit nicht nur รผber geharnischte Stellungnahmen des StuRa der Uni Leipzig geschrieben zu haben, sondern auch รผber einige Aufsehen erregende Proteste. Denn zumindest den damaligen Studierenden war sehr wohl klar, dass das Hochschulgesetz โ wie so vieles, was die sรคchsische Regierung nach dem Abgang von Kurt Biedenkopf als Ministerprรคsident novellierte โ eine Verschlimmbesserung war an Gesetzen, die 1990 mit kluger Abwรคgung aufgrund jahrzehntelanger westdeutscher Erfahrung in Sachsen eingefรผhrt worden waren.
Und Fakt ist auch, dass es am 13. Dezember 2007 eine richtig groรe Demonstration sรคchsischer Studierender in Dresden gegen das angekรผndigte neue Hochschulgesetz gegeben hat. Und wer sich ein bisschen in die Archive kniet, kriegt auch mit, dass dem zwei Gesetzesvorstรถรe vorausgegangen waren, die das alte Hochschulgesetz tatsรคchlich modernisieren wollten: Sowohl Linke als auch Grรผne legten eigene Vorschlรคge vor, die im Landtag โ wie man das bis heute kennt โ mit der Mehrheit der Regierungskoalition abgelehnt wurden.
Druck zur Modernisierung
Und es kam dann, wie es auch bei anderen drรคngenden Modernisierungen in Sachsen war: Die Regierungskoalition legte einen eigenen Entwurf vor, der das, was man dort unter Modernisierung verstand, formulierte. Im Grunde war das Hochschulgesetz von 2008 schon die Vorstufe zum Hochschulfreiheitsgesetz von 2012. Und das kritisierten damals nicht nur die Studierenden, sondern auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Und dort hatte man sehr wohl bemerkt, dass hinter dem Versprechen, mit dem Gesetz die Hochschulautonomie zu stรคrken, eigentlich das Gegenteil versteckt war.
โWir verkennen allerdings nicht โ und betrachten das auรerordentlich kritisch โ dass auch die Sรคchsische Staatsregierung dazu neigt, das Erreichen dieser Ziele von einer effizienteren Gestaltung der Verwaltung und Selbstverwaltung der Hochschulen durch Stรคrkung ihrer Leitungsorgane zulasten der Zustรคndigkeiten kollegialer Selbstverwaltungsorgane abhรคngig zu machenโ, sagte die GEW-Vorsitzende Sabine Gerold schon 2006. Man beobachtete den Findungsprozess der Staatsregierung und der damaligen Wissenschaftsministerin Barbara Ludwig (SPD) schon sehr genau. โDer Wettbewerbsgedanke, der zunehmend den gesamten Bildungsbereich erfasst, durchzieht auch die bisher bekannt gewordenen Entwรผrfe des SMWK fรผr ein neues SรคchsHG. Das darf eigentlich niemanden verwundern, wenn man weiร, dass das CHE (Centrum fรผr Hochschulentwicklung) nicht unwesentlich beratend und begutachtend bei der Entstehung eines Gesetzentwurfes fรผr Sachsen beteiligt war und vermutlich noch ist.โ
Man ist also mittendrin in der wilden โWettbewerbsโ-Diskussion, die seither den gesamten bundesdeutschen Hochschulbereich gebeutelt hat. Hochschulen sollten โeffizientโ wie Unternehmen gefรผhrt werden, sollten kompatibler fรผr โdie Wirtschaftโ werden, deutlich schneller und passender Nachwuchs bereitstellen und auch Fรผhrungsstrukturen entwickeln, die denen in groรen Unternehmen รคhnlich sind. Das beinhaltete die Stรคrkung der Position des Rektors und die Beschneidung der Mitwirkungsrechte der groรen inneruniversitรคren Vertretungen. Genau das ist so auch mit dem Sรคchsischen Hochschulgesetz von 2008 passiert, bei dem โ wie Sabine Gerold es erwรคhnte โ massiv das CHE (Centrum fรผr Hochschulentwicklung) federfรผhrend tรคtig war.
Das CHE ist โ jeder kann es auf Wikipedia nachlesen โ eine Einrichtung der Bertelsmann Stiftung, mit der diese private Institution seit rund 20 Jahren massiv Einfluss nimmt auf die deutsche Hochschullandschaft, die Hochschulrektorenkonferenz und die Diskussion รผber die deutsche Hochschulpolitik. Hier wird auch das vรถllig sinnfreie Hochschulranking produziert, von dessen Rezeption mittlerweile mehrere deutsche Bildungsexperten abraten. Denn eine Hochschule, die aus dieser marktkonformen Betrachtung beste Ergebnisse produziert, muss in keiner Weise auch eine Einrichtung sein, die Studierenden und Lehrenden tatsรคchlich gute Arbeits-, Lern- und Forschungsbedingungen bietet.
Und wie sehr diese tatsรคchlich rein auf Effizienz und straffere Fรผhrungsstrukturen getrimmte Hochschulordnung damals auch in Hinsicht auf die Gestaltung der Gremien diskutiert wurde, bringt ein Kommentar des StuRa der TU Dresden auf den Punkt. รhnliches war damals auch vom StuRa der Uni Leipzig zu hรถren โ doch im Unterschied zum Leipziger StuRa hat der der TU Dresden seine Meldungen aus den Jahren 2007 und 2008 noch online.
โTschรผss Konzil, willkommen Hochschulratโ, heiรt der Kommentar zum Entwurf des 2008er Hochschulgesetzes. โDa gibt es dieses ominรถse Konzil, keiner hat es je gesehen und niemand war je auf einer Party zu der es eingeladen hat. Das liegt wohl daran, dass es im Hintergrund arbeitet. Das Konzil entscheidet die Grundsรคtze, nach denen sich die Hochschule entwickeln soll und tagt mindestens einmal im Jahr. In ihm sind alle Mitgliedergruppen der Hochschule, also alle Fachbereichsrรคte, bestehend aus Dekanen, Professoren, Mitarbeitern und Studenten, vertreten. Da das Konzil sehr viele Mitglieder hat und es schwierig ist, einen Termin zu finden, an dem alle Zeit haben, wรคhlt es den Senat, der das Tagesgeschรคft erledigt.
Wenn es aber nach dem neuen Hochschulgesetz geht, ist das alles Schnee von gestern. Das Konzil wird abgeschafft, der Senat berรคt nur noch und es wird ein Hochschulrat eingefรผhrt. Die Hรคlfte dessen, was der Senat bisher entschied, fรคllt jetzt in die Verantwortung des Hochschulrates. Ganz im Sinne der Entdemokratisierung wird dieses Gremium aber nicht gewรคhlt, sondern 75 % der Mitglieder werden vom Ministerium ernannt. Dabei dรผrfen die Mitglieder aber nicht der Hochschule angehรถren. Das verbleibende Viertel wird vom Senat gewรคhlt. Aber diese Leute dรผrfen in keinem anderen Gremium der Hochschule tรคtig sein. Zusammenfassend lรคsst sich sagen: Im Hochschulrat, der eine gewaltige Macht hat, sitzen nur Menschen, die keine Ahnung von der Hochschule haben oder bisher bei der Besetzung von รmtern รผbergangen wurden. Es ist nicht davon auszugehen, dass dieses Gremium gut fรผr die Zukunft der Hochschule ist.โ
Wie kommen Autonomie und Demokratie zusammen?
Das bringt es eigentlich auf den Punkt. Die damalige Regierungskoalition hat in ihrem Traum von โder effizienten Hochschuleโ ein Hochschulgesetz zusammenschreiben lassen, das zwar den seltsamen Vorstellungen der Bertelsmann Stiftung nahe kommt โ die Hochschulautonomie aber weitgehend demontiert hat und die Kรผr der Rektoren in ein Gremium ausgelagert hat, das zum grรถรten Teil mit der jeweils โberatenenโ Hochschule nichts zu tun hat.
Die Rektorenwahlen waren zwar auch mit dem alten Hochschulgesetz nicht leichter, oft auch genauso umstritten, weil auch damals die jeweiligen Landesregierungen versuchten, Entscheidungen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Aber die so gewรคhlten Rektoren hatten einen deutlich grรถรeren Rรผckhalt im Haus. Man erinnere sich nur an den 1997 gewรคhlten Rektor Volker Bigl, der 2003 medienwirksam von seinem Rektorenamt zurรผcktrat, weil er den Wunsch der Landesregierung zum Wiederaufbau der Universitรคtskirche St. Pauli als massiven Eingriff in die Universitรคtsautonomie betrachtete.
Dabei war die GEW-Vorsitzende Sabine Gerold nicht einmal hellsichtig, als sie 2006 warnte: โDer Erfolg der Hochschulreform wird auch in Sachsen maรgeblich davon abhรคngen, wie es gelingt, die Organisationsstrukturen der Hochschulen so auszugestalten, dass mehr Autonomie der Hochschulen nicht automatisch weniger Demokratie bedeutet. Vielmehr mรผssen Autonomie und Demokratie miteinander verbunden werden. (โฆ) Denn jede Hochschule muss Interesse daran haben, ihre innerhochschulischen Entscheidungen auf eine breite demokratisch legitimierte Grundlage zu stellen. Die Freiheit von Wissenschaft und Kunst steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Charakter der Hochschulen als organisierte Kooperation von Studierenden, Beschรคftigten und Hochschullehrern. Diesem Anspruch, wissenschaftsadรคquate Kooperation effektiv zu organisieren, muss sich jede moderne Hochschule stellen, denn Hochschulen sind eben keine Unternehmen im klassischen Sinne โ und die GEW will auch nicht, dass sie das werden. Wir warnen davor, bestehende Selbstverwaltungsstrukturen voreilig abzuschaffen und durch wirtschaftliche Managementstrukturen zu ersetzen.โ
Nur erinnert sei daran, dass es damals auch eine groรe Petition gab, mit der unter anderem Unterschriften gegen eine geplante Studiengebรผhrenerhebung an Sachsens Hochschulen gesammelt wurden. Das Gesetz war im Grunde ganz dem marktkonformen Zeitgeist, der mit CHE in die Hochschullandschaft drรคngte, geschuldet. Und vieles ist dann eben auch so in das Gesetz eingeflossen, so dass die Uni Leipzig heute mit einem Hochschulrat zu tun hat, der wie ein UFO jenseits des Universitรคtskosmos schwebt und die Kandidatenkรผr fรผr das Rektorenamt betreibt wie die Auswahlrunde fรผr einen neuen CEO.
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
Es gibt 2 Kommentare
Deshalb aber muss man nicht die demokratische Verfassung der Hochschulen aushebeln, indem man einen Hochschulrat hineininstalliert.
Dass innerhalb der Hochschulen die Gruppendynamik manchmal sehr schwach arbeitet, ist nix Neues und gibt es leider รผberall. Es liegt ganz viel an den Dekanaten und am Rektorat, wie sich die Hochschulmitglieder โeinbringenโ kรถnnen. Das ist natรผrlich nicht so einfach, wenn bei einigen Leitungskrรคften noch das althergebrachte autoritรคre Denken vorherrscht. An der Universitรคt Leipzig und auch an der HTWK merkt man nach wie vor recht deutlich, dass man sich im gebrauchten Osten befindetโฆ