Eigentlich ist es ein Alarmruf, den Leipzigs Sozialbürgermeister Thomas Fabian jetzt veröffentlicht hat. Denn der "Bildungsreport 2014" hat es in sich. Er zeigt eine Stadt, die zunehmend echte Integrationsprobleme bekommt, weil vor allem an der Schule in Sachsen gespart wird. Nicht ohne Grund ziert die entsprechende Website das Kennedy-Zitat: "Es gibt nur eine Sache auf der Welt, die noch teurer ist als Bildung: Keine Bildung."
Nur was kann eine Stadt tun, die im für die Schule zuständigen Ministerium keinen Partner findet, der die Probleme wirklich ernst nimmt? Der Integration als Investitions-Aufgabe begreift?
Fabian gibt sich noch freundlich. “Mit dem mittlerweile dritten Bildungsreport können wir die Entwicklung des Bildungsstandortes Leipzig detailliert verfolgen und Rückschlüsse für die weitere Arbeit ziehen”, erklärt Sozialbürgermeister Thomas Fabian (SPD) zur Veröffentlichung des “Bildungsreports”. “Der zu hohe Anteil der Schulabgänger ohne Schulabschluss und die ungleiche Verteilung von Bildungserfolgen im Stadtgebiet bleiben unsere größten Herausforderungen. Erfreulich ist, dass immer mehr Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf integrativ an Regelschulen unterrichtet werden. Zusammen mit den verschiedenen Akteuren aus dem Bildungsbereich arbeiten wir kontinuierlich daran, die Bildungsgerechtigkeit in Leipzig weiter zu erhöhen.”
In der Kurzauswertung des “Bildungsreports” wird die Verwaltung deutlicher.
Denn die “Zusammenarbeit mit den verschiedenen Akteuren” scheitert genau da, wo der Freistaat sich seiner Verantwortung entzieht und nicht genügend Lehrpersonal einstellt. Dass tausende Schüler schon früh entmutigt werden in der Schule, hat nur zum Teil mit ihrer oft konfliktbeladenen sozialen Herkunft oder bestehenden Sprachbarrieren zu tun. Noch viel mehr betrifft es ein starres Schulsystem, in dem es keine freien Kapazitäten gibt, alle Schüler im nötigen Maße zu fördern. Klassen werden vollgestopft, Unterricht fällt aus, Probleme im Schulbetrieb werden nicht gemeinsam geklärt, sondern unter den Tisch gekehrt.
Am Ende fliegen genau jene Schüler aus dem System, die von zu Hause her sowieso schon die kompliziertesten Voraussetzungen haben.
Oder in der Formulierung der Kurzzusammenfassung:
“Großer Handlungsbedarf zeigt sich an dem hohen Anteil von Schulabgängern ohne mindestens einen Hauptschulabschluss. 2013 betrug der entsprechende Anteil 15,3 Prozent und markierte einen neuen Höchststand. – Sozialräumliche Disparitäten zeigen sich bei vielen Indikatoren, so bei Bildungsempfehlungen der Klassenstufe 4, Nichteinschulungen an Grundschulen oder dem Anteil von Lernförderschülern an der altersgleichen Bevölkerung. Räume mit einer hohen Konzentration an Problemlagen in den Bildungsindikatoren sind zumeist deckungsgleich mit den Schwerpunktgebieten der Integrierten Stadtentwicklung.”
Hier müsste also deutlich mehr passieren. Gerade von Seiten des Freistaats, der die Großstädte gern mit den Integrationsaufgaben allein lässt. Die von der Stadt gestellten Sozialarbeiter sind nur ein zusätzliches Angebot. Sie lösen nicht die Problemlagen im Schulbetrieb selbst.
Seit 2010 hat Leipzig dieses Bildungsmonitoringsystem, dessen zentraler Baustein eine kontinuierliche Bildungsberichterstattung ist. Der nun vorliegende “Bildungsreport Leipzig 2014” ist der dritte seiner Art und der erste, der nach dem Programmende von “Lernen vor Ort” erscheint.
Der Bildungsreport zeichnet ein umfassendes Bild der kommunalen Leipziger Bildungslandschaft.
Er zeigt Stärken Leipzigs und benennt die zentralen Herausforderungen. Das ermöglicht es, bildungspolitische Entscheidungen datenbasiert zu treffen und transparent zu gestalten. Durch eine Analyse ausgewählter Daten bietet der Report eine tragfähige Grundlage für die politische Diskussion im Bildungsbereich.
Besonderes Augenmerk wird bei den Analysen auf die Übergänge zwischen den einzelnen Bildungsphasen gelegt. Eine weitere zentrale Fragestellung ist die räumliche Verteilung von Chancen beim Zugang zu Bildung sowie bei der erfolgreichen Absolvierung von Bildungsetappen und Besonderheiten nach soziodemografischen Aspekten, betont das Sozialdezernat.
Denn wenn junge Menschen aus der Bahn geworfen werden, dann passiert das genau an diesen Übergängen. Angefangen beim Eintritt in die Schule, fortgesetzt beim Übergang an Oberschule bzw. Gymnasium und erst richtig zum Problem geworden dann beim Eintritt in die Berufsausbildung. Da stehen jene jungen Menschen, denen das Lernen in der Schule so richtig sauer (gemacht) wurde, erst richtig hilflos auf dem Platz – ohne die notwendigen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Start ins Berufsleben.
Oder mit den etwas vorsichtigeren Worten der Kurzzusammenfassung:
“Besorgniserregend zeigt sich in den letzten beiden Jahren die Entwicklung auf dem Ausbildungsstellenmarkt. Nach einer kurzen Phase der Entspannung zeichnen sich zunehmende Dissonanzen zwischen der Bewerberlage, deren Vorstellungen und dem zu besetzenden Lehrstellenangebot ab. So konnten in Leipzig 2013/14 knapp 300 Lehrstellen nicht besetzt werden, während gleichzeitig ebenso viele junge Menschen keine adäquate Ausbildung finden konnten.”
Es gibt schlicht nicht so viele niedrigqualifizierte Berufe. Dafür hungert Leipzigs Wirtschaft nach gutem, ausbildungsfähigem Nachwuchs. Aber viel zu viele junge Menschen scheitern an der wichtigsten Hürde: “Formal wenig qualifizierte junge Menschen fanden sich zumeist in einer der Maßnahmen des Übergangssektors. Auch hier setzte ein Großteil der Teilnehmer seine negative Bildungsbiografie fort. Eine geschlechtsspezifische Betrachtung zeigte zudem eine ungünstigere Situation männlicher Jugendlicher hinsichtlich ihrer hohen Beteiligung am Übergangssektor oder der generell geringeren Erfolgsquoten. Weiterhin zeigte sich eine sehr geringe Beteiligung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Bereich der beruflichen Bildung. Im Übergangssektor waren sie hingegen überdurchschnittlich häufig vertreten.”
In diesem “Übergangssektor”, in dem die Stadt Leipzig versucht, die jungen Leute dennoch irgendwie fit zu machen für eine Berufsausbildung, haben die Betroffenen in der Regel schon Jahre der Frustration hinter sich. Die wichtigsten Förderangebote in den Jahren zuvor fehlen einfach. Ein auf Sparflamme gefahrenes Bildungssystem kann sie nicht bieten. Und von der Stadt zu erwarten, sie könne alles ausgleichen, was sich der Freistaat erspart, funktioniert einfach nicht.
Thomas Fabian hat seine Worte nicht an die zuständige Landesregierung gerichtet. Aber gemeint hat er sie schon mit ihrem am Ende teuren Sparkurs im Bildungssystem. Was in der Schule an echter Förderung nicht geleistet wird, fällt der ganzen Gesellschaft am Ende auf die Füße: Die jungen Menschen ohne sinnvollen Schulabschluss finden keinen Weg in ein selbstbestimmtes Leben, den Unternehmen fehlt der qualifizierte Nachwuchs, und die Sozialbudgets der Kommune bekommen immer mehr Lasten aufgebürdet, weil sich soziale Probleme nun in der nächsten Generation fortpflanzen.
Und nicht nur in der sächsischen Schule klemmt es.
Deutlich mehr Unterstützung braucht die Kommune auch schon im vorschulischen Bereich. Denn dass vielen Kindern schon in der Schuleingangsuntersuchung ein hoher Förderbedarf attestiert wird, hat damit zu tun, dass sie in ihren Herkunftsfamilien die nötige Förderung nicht bekommen haben. Hier muss die Betreuung in der Kindertagesstätte pädagogisch wirksam werden. Aber auch hier hält sich der Freistaat zurück.
“Die personellen Rahmenbedingungen in der Kindertagesbetreuung zeichnen sich einerseits durch ein hohes Qualifikationsniveau aus, andererseits durch einen im überregionalen Vergleich relativ ungünstigen Personalschlüssel, der nur begrenzt Spielräume für individuelle Ansätze der Förderung, eine Intensivierung der Dokumentation von Entwicklungsverläufen, eine Ausweitung der Elternberatung oder einen intensiven Austausch mit aufnehmenden Einrichtungen zulässt”, benennt die Verwaltung das Problem, dass nur mit mehr pädagogisch geschultem Personal und einem noch besseren Betreuungsschlüsel zu lösen ist. Und zwar gerade in Kindertagesstätten in sozialen Brennpunkten. Denn die wichtigsten Weichen werden alle vor dem Schuleintritt gestellt: “Die Schuleingangsuntersuchung zeigt, dass 14 Prozent der untersuchten Kinder eine jugendärztliche Empfehlung zur Überprüfung auf sonderpädagogische Förderung erhalten. Häufigkeit und Art des Förderbedarfs stehen dabei in engem Zusammenhang mit dem sozialen Umfeld und den Bedingungen des Aufwachsens.”
Kurz und trocken. Aber nicht neu. Denn Leipzigs Sozialdezernat formuliert diese Problemlagen nun seit Jahren. Und hat es trotzdem immer wieder mit einer Landespolitik zu tun, die lieber aussortiert als fördert.
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