Es ist schon erstaunlich, dass erst Jahre zäher Kämpfe vergehen müssen, in denen nicht nur Oppositionsparteien in Sachsen, sondern auch die Kommunen händeringend um Sozialarbeiter in den Schulen fechten und um eine entsprechende finanzielle Unterstützung durch die sächsische Regierung. Und dann erzählt die verantwortliche Kultusministerin im "Handelsblatt", dass Schulen allein nicht die Reparaturwerkstatt der Nation sein können. "Warum erst jetzt, Frau Ministerin?", fragen Sachsens Schüler. Mit Recht.
Gegenüber dem “Handelsblatt” betonte die sächsische Kultusministerin und derzeitige Vorsitzende der Kultusministerkonferenz Brunhild Kurth die Wichtigkeit von Schulsozialarbeitern an Schulen und den Ausbau dieser Stellen. Klare Unterstützung bekommt sie dafür vom LandesSchülerRat. Doch der steckt schon länger im Thema als die Ministerin, die sich mit dem Anliegen zusätzlicher Sozialarbeiter erst ausgiebig beschäftigt, seit Sachsen sich endlich verpflichtet hat, die Schulabbrecherquote von völlig indiskutablen 10 Prozent auf 5 oder gar 4 Prozent zu senken. Da werden zwar mehr Sozialarbeiter allein nicht helfen. Aber mehr davon wären schon gut. Dumm nur, dass die Ministerin das Geld dafür wieder aus einem anderen Topf abzweigen will, in dem es genauso dringend gebraucht wird: Aus dem Topf der zusätzlichen BafÖG-Millionen, die eigentlich (so hatte es die neue Tillich-Regierung versprochen) zur Verbesserung der Bedingungen an Sachsens Hochschulen eingesetzt werden sollen.
Die Aufforderung der sächsischen Kultusministerin Brunhild Kurth im „Handelsblatt“, die Länder sollten unter Nutzung der sogenannten „Bafög-Millionen“ mehr Sozialarbeiter an die Schulen bringen, bringt insbesondere die jugendpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, Annekatrin Klepsch, auf die Palme: “So erfreulich es ist, dass die sächsische Kultusministerin als neue Vorsitzende der Kultusministerkonferenz plötzlich den Ausbau der Schulsozialarbeit fordert, so ärgerlich ist der Blick in den sächsischen Haushaltsentwurf für die Jahre 2015/2016. Bisher überließen die sächsischen CDU-Kultusminister die Finanzierung der Schulsozialarbeit den klammen Kommunen und beschränkten sich auf sozialpädagogische Unterstützung im Berufsvorbereitungsjahr.”
Entsprechend kläglich ist die Bestückung der sächsischen Schulen mit Schulsozialarbeitern: Im Sommer 2014 wurde an nur 172 der 1.474 allgemeinbildenden Schulen (laut einer Erhebung des Landesjugendamtes) Schulsozialarbeit nach § 13 SGB VIII betrieben.
Aber da gibt es auf einmal Geld, das ja verteilt werden könnte. Den nahe liegenden Entschluss, davon die gerade eben erst gekürzten 270 Dozentenstellen an den Hochschulen des Freistaates zu finanzieren und zu erhalten, haben sich ja bekanntlich CDU und SPD nicht getraut zu fassen. Das Ergebnis ist nun augenscheinlich, dass auch Brunhild Kurth glaubt, auf diese Gelder zugreifen zu können und damit ohne finanziellen Mehraufwand im eigenen Etat doch noch Sozialarbeiterstellen “verschenken” zu können.
Ab 2015 stehen Sachsen durch die Übernahme der BAföG-Kosten durch den Bund jährlich 85 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung. 27 Millionen sollten in den Bereich Schule fließen. Aber halt nicht alles in die Schulsozialarbeit, wie Annekatrin Klepsch nach Studium der Zahlen feststellt: “Allerdings sind lediglich 2,3 Millionen Euro für die Richtlinie „Chancengerechte Bildung“ zur Finanzierung sozialer Arbeit an Schulen vorgesehen, und das im Haushalt des Sozialministeriums, Einzelplan 8. So sollen nicht einmal zehn Prozent von den 27 Millionen aus der BAföG-Entlastung in die Schulsozialarbeit fließen. Damit stehen für jeden Landkreis bzw. die drei kreisfreien Großstädte nur rund 177.000 Euro pro Jahr bereit.”
Das ist dann wohl wieder eine Symbolpolitik nach dem Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Annekatrin Klepsch: “Frau Kurth ist aufgefordert, nicht nur als KMK-Vorsitzende richtige Forderungen nach mehr Schulsozialarbeit zu stellen, sondern mit der Sozialministerin vor allem vor der eigenen Haustür zu kehren. Wir fordern einen eigenen und bedarfsdeckenden Haushaltstitel ‘Schulsozialarbeit’ im Kultus-Etat!”
Dass der Bedarf weitaus höher ist, als Kurth mit dieser Ansetzung im Etat tatsächlich bedienen will, das hat der Landesschülerrat in einer großen Umfrage belegt. Der hat jetzt konkrete Zahlen für die Brisanz dieses Themas. Von April bis Mai 2014 hat der Landesschülerrat eine nicht repräsentative Umfrage unter 2.562 sächsischen Schülern aller Schularten durchgeführt. Dabei gaben 95 Prozent der Schüler ohne Schulsozialarbeiter an der Schule an (das entspricht 53 Prozent der Befragten), dass sie einen Schulsozialarbeiter an ihrer Schule für sinnvoll halten würden.
“Das macht 1.358 Schüler”, betont der Sprecher des LSR, Tom Beyer. “An den Schularten Oberschule, Gymnasium und Berufsschule sahen jeweils über 95 Prozent der Befragten den Bedarf.”
Es sei also nicht nur ein Problem von Haupt- und Oberschülern, der Bedarf bestehe in allen Bereichen. Doch in Sachsen sehe die Situation nicht besonders rosig aus, stellt der Landesschülerrrat fest. Zwar finden 97 Prozent der Schüler mit Schulsozialarbeiter das Angebot an ihrer Schule sinnvoll und bewerten es im Durchschnitt mit der Schulnote 2. Trotzdem werden wegen auslaufender ESF-Mittel, mit denen die Schulsozialarbeiter in der ersten Phase finanziert wurden, Stellen abgebaut. Nicht alle Kommunen haben – wie Leipzig – die finanzielle Kraft, auch nur einen Teil dieser Stellen selbst zu finanzieren.
Es gebe aber auch ganz konkrete Probleme an den Schulen selbst, ergänzt Tom Beyer. Etwa 13 Prozent der Befragten gaben an, dass es schwierig sei, mit dem Schulsozialarbeiter Kontakt aufzubauen. Dabei berichteten die Schüler von ihrem Problem: Sie würden ihn zwar gerne besuchen, aber er sei viel zu selten da. Und 29 Prozent der Befragten glaubten nicht, dass ihnen der Schulsozialarbeiter helfen könne. Es fehle an Informationen beim Schüler, in nur 3 von 4 Fällen habe sich der Schulsozialarbeiter vorgestellt.
Der Vorsitzende des LSR, Patrick Tanzer, dazu: „Wer an die Schulabbrecherquote und das Mammut-Projekt Inklusion denkt, wird wohl nicht an Schulsozialarbeit vorbei kommen. Gut, dass Frau Kurth das jetzt genauso sieht. Schon seit Jahren fordert der LandesSchülerRat Sachsen eine einheitliche Regelung und mehr Schulsozialarbeit an den sächsischen Schulen. Bisher war unser Eindruck aber eher, dass der Freistaat sich genüsslich zurücklehnt und die Initiative der Bundesregierung abwartet. Jetzt mehr Schulsozialarbeit für den Bund zu fordern ist zwar konsequent, muss aber gerade vor der eigenen Haustür anfangen. Besonders weil Sachsen die rote Laterne bei Schulabbrechern trägt. Wenn nun Geld investiert werden soll, müssen Schüler, Eltern und Lehrer mit an den Tisch, um auch den Rahmen für so ein Programm aufzustellen! Das geht nur mit uns, nicht über uns hinweg.“
Die Auswertung des Landesschülerrates einer Befragung zu Schulsozialarbeitern in Sachsen als pdf zum Download.
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