Es ist ein Spiel mit Trompeten und Tarnung. Mal braust die sächsische Kultusministerin vor, verkündet aller Welt stolz, dass sie 1.000 neue Lehrer einzustellen gedenkt, irgendwie. Und kaum zwei Wochen später gibt es eine Premiere für Sachsens Eltern und Schüler: Erstmals kann ein sächsisches Kultusministerium nicht rechtzeitig vor Schuljahresende bekanntgeben, wo die Kinder ab September lernen werden. So passiert am 4. Juni 2014.
Und weil man es irgendwie ganz eilig hatte, kam die seltsame Botschaft dann gleich vier Mal auf der Medienseite der Staatsregierung: “4.06.2014, 11:37 Uhr. Eltern werden über die Aufnahme ihrer Kinder in die Klassen 5 der Oberschulen und Gymnasien am 12. Juni 2014 informiert!”, lautet die Meldung. “Das Einstellungsverfahren und die Klassenbildung sind derzeit noch nicht abgeschlossen. Um eine optimale Schuljahresvorbereitung zu ermöglichen, werden die Eltern deshalb über die Aufnahme ihres Kindes in die Klassenstufe 5 der Oberschulen und Gymnasien eine Woche später, am 12. Juni 2014, informiert. Direktor Béla Bélafi bittet die Eltern um Verständnis.”
Wer den Juristen und Verwaltungswirtschaftler Béla Bélafi bisher noch nicht kannte, hat nun endlich mal von ihm gehört. Seit 2011 ist er Direktor der Sächsischen Bildungsagentur. Jetzt steht sein Name für eine Katastrophe, die genau so absehbar war. Entsprechend entsetzt sind Schülervertreter, Elternvertreter und logischerweise auch jene Politiker, die aus der Opposition heraus seit fünf Jahren mahnen und warnen vor den Folgen der sächsischen Streichpolitik. Doch an der Ignoranz der aktuellen sächsischen Sparregierung sind die begründeten Warnungen allesamt abgeprallt.
Der Stadtelternrat (SER) Leipzig:
Der Stadtelternrat (SER) Leipzig ist entsetzt. Die Probleme die sich durch massive Klassenzusammenlegungsankündigungen und eklatanten Lehrermangel abzeichneten werden Realität. “Schulklassenoptimierung” hat das Zeug dazu sächsisches Unwort des Jahres zu werden. Beschreibt es doch die Tatsache in jeder Schule und jeder Jahrgangsstufe wann immer möglich Klassen zusammenzulegen und auf Maximalzahl 28 vollzustopfen ohne Rücksicht auf Bindungen, BIldungserfolge oder gar ob es ein Abschlussjahrgang kurz vor Prüfungen oder kurz vor der Bildungsempfehlungen für Gymnasium oder Oberschule ist. damit steht es knapp vor den Unworten Teilsanierung oder Schulgebäudeertüchtigung!
Dazu meint Andreas Geisler, der Vorsitzende des SER Leipzig: “Natürlich verschiebt man die Bescheide um mindestens eine Woche. Dass dann Fußball WM ist und viele Menschen in der Zeit Spass und Freude am Spiel in den Vordergrund stellen und sich nicht über Lehrermangel aufregen, das spielt da keine Rolle. Auch dass dann direkt Ferien sind und man die Landtagswahl auf den letzten Feriensonntag gelegt hat, war sicher nicht der entscheidende Grund. Aber wenn die Eltern im September den Mangel spüren werden, wenn ihre Kinder in überfüllten Klassen und mit weiterhin massiven Ausfall versuchen müssen sich auf ein immer komplizierteres Leben vorzubereiten und aufwachen, dann sind wieder einmal für fünf Jahre die Würfel gefallen.
Auch wir sind für sparsamen Umgang mit Steuermitteln, ist es doch nicht das Geld der Regierenden, sondern das was wir fleißigen Sachsen an Steuern zahlen. Aber wer an der Bildung und an den Kindern spart, macht ein Land kaputt. Es gilt immer noch der Satz : Bildung ist teuer aber noch viel teurer kommt uns keine Bildung! Deshalb fordert der SER Leipzig den Freistaat auf genau jetzt genügend Lehrer einzustellen!”
Die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Dr. Eva-Maria Stange:
“Nachdem die Bildungsagentur einen Tag vor Ablauf der festgelegten Frist öffentlich darüber informierte, dass erst mit einer Woche Verspätung, am 12. Juni, die Schulzuweisung für das kommende Schuljahr die Eltern erreichen, ist die Wut zurecht groß. Wer nicht den gewünschte Schulplatz für das kommende Schuljahr erhält und mit der Zuweisung durch die Bildungsagentur nicht einverstanden ist, muss dagegen Widerspruch einlegen. Das kostet Zeit und Geld. Damit wird die Möglichkeit, sich wirksam für eine freie Schulwahl durchzusetzen, bis zum Beginn des neuen Schuljahres mehr als knapp.
Doch damit nicht genug: Auch bestehende Klassen werden zerrissen und aufgeteilt, ohne Rücksicht auf Raumgrößen oder besondere Situationen z.B. durch Integrationskinder. Kinder werden wie Schachfiguren hin und her geschoben.
Die Ursache für dieses Chaos ist der zunehmende Lehrermangel bei gleichzeitig steigenden Schülerzahlen. Das Kultusministerium hat kein Personalentwicklungskonzept, um den großen Generationswechsel in den Schulen zu gestalten. Statt wie von der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag seit Jahren gefordert, mindestens 2.500 Lehrkräfte zusätzlich zum jährlichen Ersatzbedarf für altersbedingt ausscheidende Lehrkräfte bis 2020 in den Schuldienst einzustellen, streicht der Finanzminister, dass es nur so schmerzt. Statt langfristiger Planung, steht heute noch nicht einmal fest, wie viele Lehrer im Jahr 2015 beschäftigt sein werden.
1.000 neue Lehrer für Sachsen? Das reicht nicht mal zum Löcherstopfen
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Mehr als 540 Lehrerstellen werden durch Abgang zum Ende dieses Schuljahres frei. Das Finanzministerium hat erst Anfang Mai nach langem Zögern die Einstellung für 590 Lehrerstellen genehmigt. Damit wird der seit Jahren anhaltenden Mangel zum Dauerprogramm erklärt. Die Bildungsagenturen und die Schulträger versuchen sich in diesen Tagen kurzfristig im Krisenmanagement. Doch auch das braucht Zeit und wird in den nächsten Wochen viel Ärger mit wütenden Eltern und Schulleitern provozieren. So hat das Kultusministerium in letzter Minute die Anweisung zur “Komprimierung” der Klassen herausgegeben, um die Klassenobergrenzen dort wo möglich bis zu 28 Schülern auszulasten. Zwischenzeitlich wandern erneut hunderte ausgebildete Lehrer in andere Bundesländer ab, weil sie dort eine sichere Stelle bekommen.
Im kommenden Schuljahr werden 4.400 Schüler mehr die Schulen in Sachsen besuchen. Das trifft vor allem die Schulen in Großstädten, die schon heute aus allen Nähten platzen und wo Unterrichtsausfall aufgrund mangelnder Lehrerversorgung auf der Tagesordnung steht. Hinzu kommt, dass ohne zusätzliches Personal kleine Schulen auf dem Lande aufgrund eines Moratoriums – oder besser Wahlgeschenkes – zumindest noch für das kommende Schuljahr erhalten bleiben sollen.
Erneut lässt der Ministerpräsident eine Kultusministerin allein mit den Problemen, obwohl der Rücktritt des ehemaligen Kultusministers Wöller und des langjährigen bildungspolitischen Sprechers der CDU-Fraktion vor zwei Jahren deutlich genug das Dilemma der Lehrerunterversorgung zum Ausdruck brachten. Wer trägt für dieses Desaster dieses Mal die Verantwortung? Herr Tillich handeln Sie endlich!”
Der Landesschülerrat Sachsen:
Am 4. Juni hat die Staatsministerin für Kultus, Brunhild Kurth, die Versendung der Bescheide gestoppt, über die Eltern erfahren, wo ihre Kinder demnächst zur Schule gehen. Offiziell wird dieser Schritt damit begründet, dass die Bedarfsplanungen von Stellen und Klassen noch nicht abgeschlossen sei. Eine Katastrophe, die für den LandesSchüleRat Sachsen (LSR Sachsen) direkt zeigt, wie dünn die Personaldecke wirklich ist.
Als vor wenigen Wochen bereits bekannt wurde, dass die Neueinstellungen für Lehrer nur ein Plus von 50 Fachkräften bringen wird, konnte man stutzig werden. Selbst die Kultusministerin bezweifelte, ob das für die über 4.000 neuen Schüler reicht. Doch Herr Unland, Finanzminister, hatte den Finger auf den Ausgaben. Damit stand fest, dass es vielerorts zu Klassen mit 28 Schülern kommen wird. Auch der Platz an der “gewünschten” Schule stand damit in Frage. Die Quittung erhalten alle Beteiligten jetzt. Um die Planung zu realisieren, werden diese Schritte offensichtlich gemacht werden müssen. Doch gute Bildung kann nur mit qualifizierten und ausreichend vielen Lehrern geleistet werden. Wer weiter Lob für den sächsischen Weg einstreichen möchte, sollte sich darauf besinnen.
Der Vorsitzende Patrick Tanzer dazu: “Schon vor einem Monat haben wir gefragt, ob Herr Unland nochmal nachrechnen kann. Und leider scheint das nicht geschehen zu sein. Die Ministerin hat gehandelt und damit uns allen gezeigt, wo es hin geht. Wer glaubt der Zukunft Sachsens, mit 28 Kindern in einer Klasse zu helfen, sollte nicht hinten herum die Senkung der Schulabbrecherquote versprechen. Wenn nicht schnell etwas passiert, wird Sachsen seine Führungsrolle einbüßen. Um zu retten was zu retten ist, braucht es jetzt einen starken politischen Willen. Der Stellenausbau muss Chefsache werden.”
Selbst Koalitionspartner FDP spielt nicht mehr mit:
Zur Verschiebung der Information über die Aufnahme der Schüler an den fünften Klassen an Oberschulen und Gymnasien auf den 12. Juni 2014 erklärt Norbert Bläsner, bildungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Sächsischen Landtag: “Ich kann die massive Verärgerung und Verunsicherung der betroffenen Eltern sehr gut nachvollziehen. Die Anmeldezahlen an den Schulen sind wie jedes Jahr rechtzeitig bekannt gewesen, da darf es keine Entschuldigung geben, dass die Familien im Unklaren gelassen werden, an welche Schule die Kinder gehen werden. Welche Profile wird der Schüler angeboten bekommen und welche Fremdsprache, welchen Schulweg wird er haben – das sind Fragen, die große Auswirkungen auf die Schulkarriere der Kinder und die Alltagsplanung der Familie haben.
Die jetzt eingetretene Situation zeigt, dass die Möglichkeiten der Kultusbürokratie zur Schuljahresplanung überschritten sind. Offensichtlich reichen die 590 Neueinstellungen von Lehrern anders als dargestellt eben doch nicht aus. Ich erwarte eine eindeutige Aussage der Staatsregierung zu den notwendigen Einstellungszahlen zum Schuljahresbeginn. Wir brauchen hier eine ehrliche Bestandsaufnahme, wie viele zusätzliche Lehrer zum Schuljahresbeginn gebraucht werden. Wenn mehr neue Lehrer nötig sind, müssen diese zumindest befristet zügig eingestellt werden. Die Probleme der Kultusbürokratie dürfen nicht länger auf dem Rücken der Schüler und ihrer Eltern ausgetragen werden!”
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