Die AfD hat bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen vor allem bei jungen Wähler/-innen gepunktet. Die Politikwissenschaftlerin Charlotte Meier von der Universität Leipzig sagt, die Partei habe Social Media am effektivsten genutzt und es geschafft, die Wut junger Menschen auf die Politik der Ampel „geschickt auszunutzen“. Im Interview äußert sie sich zu weiteren Ursachen und möglichen Konsequenzen aus dieser Entwicklung.

Woran liegt es, dass vor allem die AfD bei jungen Wähler/-innen gepunktet hat?

Die Gründe sind sehr vielschichtig, eine einfache Antwort fällt da schwer. Die AfD ist unter jungen Wähler/-innen die stärkste Kraft, aber die höchsten Wahlanteile hat die AfD immer noch bei der Gruppe der 45- bis 59-Jährigen. Was bei der AfD im Vergleich zu den Volksparteien jedoch auffällt, ist, dass die AfD junge Menschen ernst nimmt und sie dort abholt, wo sie sind.

Das zeigt sich besonders deutlich am Beispiel Social Media. Die AfD ist derzeit die Partei, die Social Media am effektivsten nutzt und es schafft, junge Wähler/-innen anzusprechen. Das bedeutet nicht, dass sie jedem viralen Trend oder Meme hinterherläuft. Auf TikTok beispielsweise postet die AfD viel politischen „Content“ – die Bundestagsfraktion teilt prägnante Ausschnitte aus Reden, AfD-Politiker/-innen veröffentlichen Videos aus dem Wahlkampf in ihrer Heimatstadt und Interviewclips zu aktuellen Themen wie Solingen werden hochgeladen.

Im Vergleich zu den Social-Media-Inhalten anderer Parteien und Politiker/-innen hat man den Eindruck, dass die AfD ihre Follower/-innen als politisch mündige Bürger/-innen ernst nimmt. Der Kanzler hat seit einiger Zeit ebenfalls einen TikTok-Account, der allerdings selten (für Social-Media-Verhältnisse) genutzt wird und eher oberflächlich bleibt.

Hat die AfD eine besondere Art des Umgangs mit den Wähler/-innen, eine besondere Sprache, die sie von anderen Parteien unterscheidet?

Zu den gesellschaftlichen Entwicklungen und Hintergründen sind ja in den letzten Tagen und Monaten sehr viele Analysen erschienen, daher würde ich an dieser Stelle gern einmal auf die populistische Rhetorik der AfD schauen. Viele Wähler/-innen sind von der Politik der Ampel enttäuscht, ja sogar wütend. Diese Wut weiß die AfD geschickt auszunutzen.

Obwohl die AfD, insbesondere in Ostdeutschland, als rechtsextrem einzustufen ist, bedient sie sich oft reiner populistischer Rhetorik. Diese greift vor allem negative Emotionen wie Wut und Angst auf und liefert einfache Antworten auf die Ursachen dieser Gefühle. Komplexe Phänomene werden auf simple Phrasen reduziert und immer wieder wiederholt – zum Beispiel „Messermänner“ – und mit simplen Lösungen wie „Abschieben, abschieben, abschieben“ konterkariert.

Die populistische Rhetorik folgt dabei einer „wir gegen die“-Logik, wobei das „wir“ das einfache, vermeintlich vernünftige Volk darstellt, das einer korrupten Elite gegenübersteht. Es ist daher gut erklärbar, warum diese Rhetorik vor allem in strukturschwachen Regionen verfängt, die tatsächlich lange Zeit von der Politik vernachlässigt wurden.

Wie sollten die anderen, demokratischen Parteien nun Ihrer Ansicht nach mit der AfD umgehen?

Björn Höcke hat gestern deutlich gemacht, dass die AfD sich wünscht, wie eine normale Partei behandelt zu werden. Damit stehen die demokratischen Parteien vor einem Dilemma: Wie geht man mit einer Partei um, die demokratisch gewählt wurde, aber keine demokratischen Werte vertritt?

Zunächst müssen sich die demokratischen Parteien bewusst werden, wer der tatsächliche Gegner ist – das wurde in den Statements nach den gestrigen Ergebnissen schon sehr deutlich. Konkret heißt das zunächst, die AfD nicht als Koalitionspartnerin in Betracht zu ziehen.

In der Forschung gibt es verschiedene Ansätze, wie man mit populistischen und extremen Parteien umgehen kann. Man darf ihnen und ihren Themen nicht mehr Bühne geben, als sie bereits haben. In den letzten Jahren ist es der AfD immer wieder gelungen, Themen zu setzen. So wurde zum Beispiel das Thema „Gendern“ Teil der nationalen Debatte, obwohl es für die meisten Bürger/-innen wenig Relevanz im Alltag hat. Die AfD hat Gendern immer wieder thematisiert, und andere Parteien haben es aufgegriffen.

Die ganze Debatte ist zu einem Kulturkampf geworden, der die ohnehin schon starke Polarisierung weiter befeuert hat. Die anderen Parteien müssen besonders darauf achten, dass sie AfD-Narrative und Framing nicht übernehmen – denn das normalisiert sie und verleiht ihnen Legitimität. Stattdessen müssen sie nun eine eigene, deutliche und demokratische Botschaft vertreten.

Das heißt zum Beispiel, auf vereinende Botschaften zu setzen statt auf Schuldzuweisungen. Falsche Narrative und Lügen müssen direkt gekontert werden, und antidemokratische Aussagen dürfen nicht einfach im Raum stehen gelassen werden. Die AfD ist eben keine Partei wie alle anderen und sollte auch nicht so behandelt werden.

Die AfD ist bei den jungen Wähler/-innen in Sachsen und Thüringen die klare Gewinnerin. Allein in Thüringen haben 36 Prozent der unter 30-Jährigen sie gewählt. Es ist bereits von einer „neonazistischen Jugendkultur“ in Ostdeutschland die Rede. Sehen Sie diese Gefahr auch?

Diese Zahlen sind extrem besorgniserregend. Eine Radikalisierung von Jugendlichen darf nicht unterschätzt werden. Meine eigene Forschung beschäftigt sich mit generationalem Populismus, wo die Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Generationen den Hauptkonfliktpunkt ausmachen. Auch hier sehe ich ein enormes Potenzial für Mobilisierung. Das kann durchaus etwas Positives haben, indem Jugendliche zur politischen Partizipation, etwa in Form von friedlichen Protesten wie bei Fridays for Future, motiviert werden.

Es kann aber auch, insbesondere im Fall von rechten Bewegungen, zu Radikalisierung führen. Die AfD ist als rechtspopulistische Partei gestartet (und wird auch oft noch so bezeichnet) und ihr ist es gelungen, sehr schnell, sehr viele Menschen – darunter auch junge Menschen – für sich zu begeistern, indem sie populistische Strategien verwendet. Inzwischen ist sie gesichert rechtsextrem, nutzt aber nach wie vor viel dieser rechtspopulistischen Rhetorik.

Die oben erwähnte „wir gegen die“-Rhetorik hat ein starkes Identifikationspotenzial und kann ein Gefühl von Gemeinschaft schaffen. Teil eines „wir“ zu sein, ist besonders für Jugendliche sehr wichtig. Das wurde in rechten Kreisen gut erkannt. Dort wird aktiv daran gearbeitet, auch junge Menschen mit einzubeziehen, etwa durch sogenannte „Active Clubs“, Kampfsportvereine mit neonazistischem Hintergrund.

Die Folgen dieser Entwicklungen zeigen sich immer häufiger, wie zum Beispiel in Grevesmühlen, wo eine Familie ghanaischer Herkunft von einer Gruppe Jugendlicher angegriffen wurde. Die Gefahr ist also durchaus real.

Die Fragen stellte Susann Sika von der Medienredaktion der Uni Leipzig.

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