Das Mittelstand-Digital Zentrum WertNetzWerke will kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) für die digitale Zukunft fit machen und wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert. In Leipzig ist das Wertschöpfungslabor Leipzig ansässig, in den Räumen des Fraunhofer-Zentrums für Internationales Management und Wissensökonomie IMW.

Beim Stammtisch Life Science – „KI in der Biotechnologie“ – am 18. Juni hielt Sascha Mühl einen Vortrag zum Thema „Qualifizierung zum KI-Guide für Bioscience, Medtec & Gesundheitswesen“. Sascha Mühl ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IMW und Projektmanager für KI und Digitalisierungsprojekte. So lag es nahe, dass wir ihn um ein Gespräch zum Thema „Warum brauchen kleine und mittlere Unternehmen diesen KI-Guide?“ baten.

Herr Mühl, WertNetzWerke ist für KMU da, bei welcher Größe von Unternehmen hört das auf?

Kleine und mittlere Unternehmen, das heißt wir konzentrieren uns auf die überwiegende Mehrheit (99,4 Prozent) der Unternehmen in Deutschland, außer Konzerne. Das hat etwas mit Umsatz zu tun und der Anzahl der Beschäftigten.

Das ist genau die Landschaft, die mit Digitalisierung und KI vor den größten Herausforderungen steht. Die können sich kaum eine eigene IT-Abteilung, geschweige denn KI-Abteilung leisten.

Genau, Es wird kein Handwerker selbst eine KI-Lösung entwickeln können, weil der als Handwerker auch noch was anderes zu tun hat.

Sie haben beim Stammtisch von biosaxony, den KI-Guide vorgestellt, da kann man sich Verschiedenes darunter vorstellen. Was ist dieser KI-Guide?

Wir möchten Menschen in Unternehmen, Mitarbeitende oder Führungskräften, je nachdem wer entsendet wird, aus Unternehmen herauspicken, und diese zum KI-Guide qualifiziert wieder ins Unternehmen entsenden. Mit dem Ziel, künstliche Intelligenz im Unternehmen weiter voranzutreiben. Wir wollen keine Algorithmen-Expert/-innen, also Spezialist/-innen, sondern wir wollen Generalist/-innen ausbilden.

Ein KI-Guide. Quelle: Mittelstand-Digital WertNetzWerke
KI-Guide. Quelle: Mittelstand-Digital WertNetzWerke

Wenn ich das richtig verstehe: Sie gehen nicht davon aus, dass diese Leute im wahrsten Sinne des Wortes die KI verstehen müssen, also wie die Algorithmen funktionieren, sondern Sie wollen die befähigen, im Unternehmen mit vorhandenen KI-Lösungen zu arbeiten?

Wir bauen also auf drei Säulen auf, KI-Management, KI-Technologie und KI-Begleitthemen. Das KI-Management soll dazu befähigen, den Prozess im Unternehmen zu erkennen: Wir haben jetzt hier ein KI-Thema, das kann auf einer ganz tiefen Ebene aufgehängt sein, was machen wir jetzt, dürfen wir dafür z. B. ChatGPT oder Gemini benutzen?

Oder man hängt es auf einer sehr hohen Ebene: Wir haben eine Vertriebsstruktur und möchten eine Sentimentanalyse, eine KI basierte Analyse der Kundenzufriedenheit, anhand noch zu sammelnder Daten durchführen. Das erfordert ein sehr tiefgreifendes Verständnis, ein technologisches Verständnis. ChatGPT oder Gemini würde ich sagen, erfordert eher ein Verständnis zu Begleitthemen.

Wie ist es mit Datenschutz, wie gehe ich mit den Daten um, die ich nach Amerika versende? Diese Ebenen wollen wir da aufgreifen, die Teilnehmenden dafür sensibilisieren.

Eine Schulung mit Sascha Mühl. Foto: Lichtwerke Design Fotografie
Schulung mit Sascha Mühl. Foto: Lichtwerke Design Fotografie

Ich habe gesehen, der Kurs findet an sieben Tagen, als Qualifizierungsworkshop, statt. Ist das ausreichend?

Es ist ein recht kompakter Kurs, andere Ausbildungen gehen zwei, drei Jahre. Wir machen das kompakter, weil wir keine Super-Expert/-innen ausbilden wollen. Wir wollen wie bereits gesagt keine Spezialist/-innen ausbilden, wir wollen Generalist/-innen ausbilden. Es gilt in den Unternehmen und diesem Thema sehr viele Ebenen zu berücksichtigen. Das fängt an mit dem Rollenverständnis: Was brauche ich im Unternehmen, wen muss ich ansprechen, wen muss ich abholen? – wie bspw. die/den Datenschutzbeauftragte/-n, wenn es eine IT-Abteilung gibt, die eigene IT-Abteilung für Serverinfrastruktur und so weiter.

Dann ist es aber auch wichtig, ein Technologieverständnis zu haben. Zu verstehen, auf welcher Ebene bewege ich mich denn jetzt? Wichtig ist außerdem, zu verstehen, wo der Fokus liegt, also wo soll es überhaupt hingehen? Das heißt, zuerst muss bewertet werden: Brauchen wir denn überhaupt eine KI dafür? Müssen wir die KI selbst entwickeln oder gibt es Lösungen am Markt?

Da stellt sich die Frage: Passt eine KI-Lösung überhaupt zu meiner Aufgabe?

Ich höre oft in Anfragen: Wir haben einen Excel-Workflow und wollen versuchen das mit KI zu lösen. Das im Unternehmen erst mal einzufangen, um die Leute intern zu befähigen, wie da weiter vorangegangen werden kann. Und dann ist zudem ein Verständnis dafür aufzubringen: Wir möchten jetzt etwas machen, wir haben hier einen internen use case, d. h. Praxisansatz, der sich für uns wirtschaftlich lohnt. Und wir wissen auch, dass wir externe Hilfe brauchen, dann weiß der KI-Guide, wer anzusprechen ist.

Für das Technologieverständnis starten wir erst mal an der Ausgangsbasis: Was gibt es für Technologien und wie funktionieren diese grob in den Prozessabläufen im Unternehmen. Da wird ein bisschen damit experimentiert, damit später spezielle Expert/-innen angesprochen werden können. Es gibt viele KI-Expert/-innen, sich durch diesen Dschungel durchzuwühlen und durch den durchzukommen ist schwierig. Bei uns heißt der Branchenfokus Health Bioscience, das bedeutet wir gehen in die Medizinrichtung, die ist per se schon recht KI-erfahren. Zumindest diejenigen, die Produkte entwickeln.

Das wird die größte Zielgruppe sein. Diejenigen, die zunächst grundlegend lernen wollen, wie gehe ich mit KI im Unternehmen um und diejenigen, die mit dem höchsten Level einsteigen, KI als Produkt zu sehen. Wir unterscheiden die Gruppen der Teilnehmenden zwischen: Ich möchte meine Prozesse mit KI optimieren und ich möchte ein Interview mit ChatGPT vorbereiten.

Jetzt haben wir das grob abgehandelt, wir können sowieso nicht in alle Details gehen. Zum KI-Einsatz gehört durchaus auch ein gewisses Verständnis von juristischen Prozessen dazu, Sie sprachen schon Datenschutz an. Wenn ich mit KI arbeite, muss ich auch wissen, ob ich mich auf juristisch sicherem Gebiet bewege? Sie hatten das im Vortrag angesprochen, Sie bilden keine Juristen aus, aber Sie sagen den Teilnehmenden, was sie beachten müssen?

Wir eröffnen Ebenen, das ist momentan das Einzige, was zu machen ist, weil die Rechtslage noch nicht klar ist. Vor kurzem ist der EU-AI Act rechtsverbindlich geworden und jetzt wird versucht, auf hoher politischer Ebene das Ganze herunterzubrechen, bis irgendwann Normen und Standards entstehen. Da sind sehr viele verschiedene Ebenen zu berücksichtigen, das ist nicht nur Cyber Security, sondern es geht um die Sicherheit von KI-Modellen. Wie wahrscheinlich ist es zum Beispiel, dass ich eigene Sprachmodelle, ähnlich wie ChatGPT, manipulieren kann?

Dieser rechtliche Rahmen ist noch keinesfalls in verbindliche Standards gegossen. Im Medizinbereich sind die Standards aufgrund der langen Erfahrung oder beziehungsweise der langen Etablierung, schon recht weit gediehen. Was sich durch den EU-AI Act ändern wird, ist zum Beispiel die Basis der Risikobewertung. Die Implementierung von KI in Medizinprodukten wird durch die Unternehmen nochmal neu zu bewerten sein.

Gerade in der Forschung, wenn ich jetzt losgehe und etwas entwickle, dann muss ich mindestens wissen, dass ich das eher nicht bei ChatGPT öffentlich alles eintippen sollte. Wie ich es verstanden habe, geht es darum, die Leute zu sensibilisieren, was hier die rechtlichen Fragen sind. Was ist schon sicher, was ist noch offen?

Was zu beachten ist und Sie unbedingt wissen sollten ist, dass KI anhand von Wahrscheinlichkeiten entscheidet. Ein Bildgebungsverfahren zur Analyse von abnormalen Stellen im Körper, wie es seit Jahren in der Magnetresonanz- oder Kernspintomographie, kurz MRT, eingesetzt wird, entscheidet anhand von Wahrscheinlichkeiten.

Und die Frage stellt sich: Ist es rechtssicher, dieses Bildgebungsverfahren zu nutzen, um dann einen bestimmten Krebs vielleicht doch nicht ausschließen zu können, an dem der Patient trotzdem stirbt. Diese Fragestellung gibt es schon, die wird aber, im Zusammenhang mit KI, neu bewertet werden müssen. In welcher Form kann Ihnen im Detail zur Zeit keiner sagen.

Sie beschäftigen sich mit dem Thema im Life-Science-Bereich, ich nenne es mal so, dieser KI-Guide ist per se wahrscheinlich auch für andere Bereiche geeignet.

Das ist im Rückblick besser zu beantworten. Das Mittelstand-Digital Zentrum WertNetzWerke hat verschiedene Partner, die schon mal einen KI-Guide erprobt haben. Das war mehr im industriellen Bereich angesiedelt. Das heißt, da waren Produktionsspezialist/-innen mit dabei, da waren aber auch Vertriebler/-innen mit dabei und das ist recht gut gelaufen.

Wir haben uns dann überlegt, wir nehmen die drei Branchen Medizintechnik, Bioscience und Gesundheitsmanagement auf Grund unseres Forschungsfokus in der Gruppe „Digital Health“ des Fraunhofer IMW, hier hat man andere Begleitthemen. Da ist das Thema Recht, Produktrecht in der Medizin ist ein ganz anderes Thema als Produkthaftung zu Standardprodukten eines produzierenden Unternehmens. Deswegen haben wir dieses Konzept genommen und versuchen es jetzt speziell für diese Branchen anzuwenden.

Dieses offene Konzept gibt es aber weiterhin?

Dieses offene Konzept gibt es. Im Jahr 2023 ist es recht gut gelaufen. Die Kolleg/-innen in der Märkischen Region und in Nordrhein-Westfalen, die hatten eine derart hohe Nachfrage, dass sie das jetzt im August wieder anbieten.

Dadurch, dass es sich um Industrieregionen und ehemalige Kohleabbaugebiete (Lausitz, Mitteldeutschland, Rheinisches Revier) handelt, wird wiederum der Versuch unternommen, den KI-Guide zukunftsorientiert auf und thematisch für diese klassischen Produzenten auszurichten. Wir versuchen das mit der Life-Science-Branche in einen anderen Wissenschaftsbereich und ein anderes Branchensegment zu überführen.

Ich fasse zusammen: Die Mitarbeitenden, die zum KI-Guide ausgebildet werden, sind dann befähigt, die Einführung und den Betrieb einer KI im Unternehmen grundlegend zu organisieren. Nicht das Technische, also sie müssen keine Algorithmen programmieren, die werden auch keine juristische Beratung durchführen. Aber sie wissen, wo die Schaltstellen sind, an denen etwas gemacht werden muss und sie haben das Verständnis dafür, was überhaupt geht.

Ja, das fasst es gut zusammen. Der Aufwand dahinter ist immens. Derzeit leite ich zusätzlich im Mittelstand-Digital Zentrum WertNetzWerke, Wertschöpfungslabor Leipzig ein Projekt in der Leder- und Textilindustrie. Da herrscht ebenfalls diese Erwartungshaltung vor: ChatGPT ist gekommen, und alles, was bisher nicht gekonnt wurde, geht jetzt mit KI. Mit diesen Hypes werde ich im ersten Workshop konkret aufräumen. Hier sensibilisiere ich, was momentan mit den einzelnen KI-Technologien überhaupt realistisch zu erreichen ist.

Das ist für ein Unternehmen, wenn die jetzt jemanden extern zu irgendwelchen Schulungen schicken müssten, viel zu aufwendig. Deswegen wollen wir diese Verbindungsstelle schaffen, Ansprechpartner für die Unternehmen und Mitarbeitenden sein, um zu filtern, ob sich die Investition in KI-Lösungen für die kleinen und mittleren Unternehmen lohnt oder nicht.

Herr Mühl, ich bedanke mich für das Gespräch und Ihre Zeit.

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