Die AfD ist für ihre Sympathisant/-innen und Unterstützer/-innen eine attraktive Gefühlsgemeinschaft, ein Ort zum rechten Wohlfühlen. Sie bietet ihren Anhänger/-innen aufwertende Identitäten und vermittelt eine Gefühlswelt, die sie gegen kritische Einwände immunisiert. Zu diesen Ergebnissen kommt der Politikwissenschaftler Dr. Florian Spissinger von der Universität Leipzig.

Für seine ausgezeichnete Dissertation beobachtete er in zwei verschiedenen Regionen Deutschlands Vortragsveranstaltungen, Stammtische sowie Wahlkampfstände der AfD und führte Interviews mit AfD-Unterstützer/-innen.

Die AfD präge und festige die Gefühle und Identitäten von Menschen, etwa indem sie bestimmte Narrative verbreite, so ein zentrales Argument seiner Studie. Untergangsnarrative, wie beispielsweise von einer drohenden „Ökodiktatur“ oder vom „Bevölkerungsaustausch“, verdichteten sich zu einer Gefühlswelt, die den Blick von AfD-Sympathisant/-innen ausrichte und sich in deren Alltagserleben permanent selbst bestätige.

Wer sich in dieser Gefühlswelt bewege, suche und finde überall „Beweise“ für die eigene Überzeugung, derzufolge alle anderen Parteien, allen voran die Grünen, eine „deutschlandfeindliche“ Politik betreiben würden.

Hinzu komme, dass diese Gefühlswelt etwa beim kollektiven Schimpfen und spöttischen Gelächter in der AfD-Gemeinschaft weiter verfestigt werde, so Dr. Florian Spissinger: „Dabei können sich AfD-Unterstützer/-innen als Teil einer großen und wichtigen Gemeinschaft, als ‚Widerständige‘ oder auch als ‚Erwachte‘ erleben. Sie können sich als eine Avantgarde fühlen, wenn sie bei ihren Zusammenkünften auf die politische Konkurrenz beispielsweise kopfschüttelnd oder belustigt herabschauen.“

Die Abkehr vom politischen und medialen „Mainstream“ übersetze sich in ein „erhabenes Gefühl der Befreiung“.

Eine geschlossene Weltsicht

„Man sieht sich als aufgeklärt und überlegen gegenüber einer Welt aus ‚Schlafschafen‘ und medialer ‚Verblendung‘. Wer sich bereits wie selbstverständlich in der neurechten Gefühlswelt bewegt, wird von Warnungen und Kritik – ob vom Verfassungsschutz oder von Bekannten – in aller Regel nicht zum Umdenken bewegt oder gar ein schlechtes Gewissen bekommen.

Eher wird daraus die Bestätigung der eigenen Weltsicht gezogen und das Gefühl bekräftigt, als einzige noch ‚frei‘ denken zu können und ‚die Wahrheit‘ zu vertreten“, erklärt Spissinger. Wegen der aufwertenden, bestätigenden und immunisierenden Funktionsweise der neurechten Gefühlswelt sei es so schwierig, diese Menschen zur Umkehr zu bewegen, so der Wissenschaftler.

Zusammenkünfte, Reden und Texte analysiert

Grundlage von Spissingers Erkenntnissen bildet eine ethnografische Forschungsmethode: Insgesamt 15 Zusammenkünfte in je einer Stadt in Ost- und Westdeutschland hat der Wissenschaftler im Jahr 2019 beobachtet, von Podiumsveranstaltungen über Stammtischformate bis hin zu Treffen an lokalen Wahlkampfständen. Dort führte er mit rund 40 AfD-Sympathisant/-innen und Unterstützer/-innen Interviews und Gespräche.

Beliebte Untergangsnarrative

„Zudem habe ich die Reden der AfD-Politiker/-innen, die Resonanz im Publikum, aber auch Wahlkampfmaterialien sowie neurechte Literatur in einer intertextuellen Analyse integriert“, so Spissinger. Es gehe darum, „Narrative, Identitäts- und Gefühlsangebote auszumachen, die sich über die verschiedenen Quellen, Beobachtungen und Kontexte hinweg ähneln beziehungsweise wiederholen.“

Zwar fließen in die Untersuchung auch die regionalen Differenzen zwischen den beiden Untersuchungsorten ein – Spissinger widmet sich etwa dezidiert der aufwertenden Identitätspolitik der AfD für ihre ostdeutschen Wähler/-innen – vor allem konzentriert sich die Untersuchung jedoch auf die überregional geteilte Gefühlswelt.

So wird beispielsweise deutlich, dass es sich bei den AfD-Narrativen gegen den Kohleausstieg am ostdeutschen Untersuchungsort und gegen den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor am westdeutschen Untersuchungsort letztlich um Varianten desselben handelt: Es gehe um anti-klimapolitische Untergangsnarrative, die den Eindruck von einer „deutschlandfeindlichen Politik der Deindustrialisierung“ verbreiten sollen. In Anbetracht derartiger Bedrohungsszenarien könne man sich bei der AfD als Partei des „Widerstands“, der Rettung und der Hoffnung fühlen, so Spissinger.

Die Aussagekraft der ethnografischen Studie über die neurechte Gefühlspolitik und Gefühlswelt gehe über bloße Momentaufnahmen bei AfD-Veranstaltungen an zwei Orten in Deutschland hinaus, so Spissinger. Er verorte die Gefühlswelt von AfD-Sympathisant/-innen in einem großen Kontext: Sie sei auch Ausdruck eines weit verzweigten, zunehmend international und digital geprägten Netzwerks, in dem neurechte Narrative und Gefühle zirkulieren.

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Die Dissertation von Florian Spissinger „Die Gefühlsgemeinschaft der AfD. Narrative, Praktiken und Räume zum Wohlfühlen“ ist im Verlag Barbara Budrich erschienen und kostenlos als Open Access verfügbar.

Spissinger war Doktorand am Institut für Politikwissenschaft der Universität Leipzig. Mit seiner Dissertation gewann er den „Budrich-Dissertationswettbewerb promotion 2023“ und wurde für den Deutschen Studienpreis 2024 der Körber-Stiftung nominiert.

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Es gibt 2 Kommentare

Eine Gruppe mit solchen Strategien zu binden und zu festigen ist ja zunächst ganz unabhängig von der Weltanschauung, das funktioniert auch bei “Autofahrer vs. Radfahrer” oder “Grillfans vs. Nudelesser”, beliebig erweiterbar.

Ein Großteil der Menschheit scheint aber seit “Das Leben des Brian” nichts dazu gelernt zu haben – ideologische Ge- und Verschlossenheit als Programm ist nicht demokratietauglich.

Der einstmals von Wiglaf Droste bei ganz anderen politischen Strömungen diagnostiziert “wohlige Mief der Gruppe” soll der AfD nicht zuzugestehen sein? So daß man wenigstens sowas wie “Unbehagen als internes Programm” verlangt?

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