Im Artikel „WissZeitVG – Dem wissenschaftlichen Nachwuchs geht die Luft aus“ haben wir die Statements des Vereins „RespectScience“ und des Mittelbaus der Universität Leipzig zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) veröffentlicht. Wir sprachen über das Thema auch mit Roxana Cremer.
Sie ist Post-Doktorandin (Ph.D.) am TROPOS (Leibniz-Institut für Troposphärenforschung) in Leipzig, stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte und war bereit, uns zu der Problematik der Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZVG) aus Betroffenensicht Auskunft zu geben.
Frau Cremer, als Postdoc sind Sie, nach der Dissertation, in einer Forschungsgruppe im universitären oder Wissenschaftsbereich tätig und hier kommen wir gleich zu dem Problem des Wissenschaftsbetriebs. Für Postdocs gibt es meist nur befristete Arbeitsverhältnisse. Man weiß nie: Bekommt man den nächsten befristeten Vertrag? Wird das Projekt fortgeführt? Kurzum, was macht das mit einem?
Man macht sich extrem viele Sorgen über die Zukunft. Man überlegt eigentlich die ganze Zeit, ob man das wirklich möchte oder nicht. Man steht eigentlich so kontinuierlich unter Strom und denkt, okay, ich muss noch mehr machen, ich muss das noch besser machen, ich muss hier noch was extra machen. Ich sollte vielleicht nochmal zwei andere Sachen mehr machen. Ich sollte mich da noch vorstellen.
Und ja, wenn man so dann überlegt, dass man auch ein Privatleben haben will, da sind dann Abendstunden nochmal arbeiten nach den 40 Stunden total normal, weil man halt denkt: Okay, ich muss ja nochmal was extra machen, damit ich andere wieder ausstechen kann für die nächste Stelle.
Es ist ja die einzige Möglichkeit für jemanden, der im universitären Bereich oder in einem Forschungsinstitut arbeiten will. Jetzt gibt es die Reform des WissZVG, aber es scheint ja nur ein Reförmchen zu sein. Man hat so ein paar Dinge geändert, die aber nicht alle wirklich positiv sind.
Soweit ich das verstanden habe mit dem WissZVG, sollte das den Wissenschaftsstandort Deutschland fördern, hervorheben und attraktiver machen. Ich glaube nicht, dass man das damit erreicht. Der Ph.D. ist schon so die längste Zeit, die man an einem Ort hat und man verfestigt sich dann ja auch. Die meisten sind dann so Mitte 20, Anfang 30, wenn sie das machen.
Und dann nochmal mit Anfang 30 wieder sein Leben aufzugeben, umzuziehen, vielleicht nochmal in ein anderes Land, vielleicht wirklich nach Deutschland zu kommen für einen 2- oder 3-Jahres-Vertrag: Das ist ein enormer Kraftaufwand einfach, vor allem wenn man dann nicht so viele Ressourcen hat oder Privilegien. Gerade halt auch Kollegen, die aus dem nicht-europäischen Raum kommen, die müssen sich noch um Visa kümmern, die müssen Sicherheit haben.
Da ist dann der Zeitaufwand so hoch, dass kaum Zeit bleibt, Verbindungen aufzubauen, sich einzuleben und gute Arbeit zu leisten. Und wir können dann beobachten, dass man in diesen zwei Jahren kaum etwas geschafft hat. Man braucht drei bis sechs Monate, um sich ein Projekt einzuarbeiten und gefühlt muss man dann schon wieder anfangen, sich nach dem nächsten umzuschauen.
Die Befristung läuft, wenn ich es richtig mitbekommen habe, meist zwischen einem halbem und einem Jahr. Und da kommen wir zum nächsten Problem. Die Forschungsgruppen arbeiten ja meistens an Projekten, die irgendwo zwischen fünf und zehn Jahren dauern.
Jetzt hat die Reform eines gebracht, die Höchstdauer von Befristungen sinkt von 6 auf 4 Jahre. Was also bedeutet, nach 4 Jahren müsste man fest angestellt werden. Dafür ist meist kein Geld da im chronisch unterfinanzierten Forschungsbereich. Das bedeutet wahrscheinlich, dass danach nicht weiter beschäftigt wird und man dann raus ist?
Also was Sie gerade angesprochen haben mit den Projekten, die fünf bis zehn Jahre dauern, gerade auf EU-Mitteln: Teilweise hat es dann zur Folge, dass einfach die Köpfe, die sich das Projekt ausgedacht haben, gar nicht bis zum Ende da sind. Dadurch geht dann einfach extrem viel Wissen und auch Fähigkeiten verloren. Natürlich möchte man nicht, dass man irgendwie zehn Leute hat, die seit Jahren an diesem Institut sitzen und da dann einfach nur noch sitzen und ihre Zeit absitzen. Aber ich denke, da versteht man Wissenschaft falsch.
Ich kenne keinen Wissenschaftler, der nicht irgendwie innerlich getrieben und neugierig ist weiterzumachen. Ich kenne niemanden, der auf seiner festen Stelle sitzt und einfach nicht mehr arbeitet und publiziert. Man hat dann ja auch oft noch die Lehre dabei, vor allem bei Festanstellungen. Man ist immer noch irgendwo eingebunden, man hat immer noch Studenten, die man betreut und mentort.
Ich habe das Gefühl, in der Politik ist das ganze Prinzip einfach gar nicht verstanden und die wissen nicht, wie so ein täglicher Ablauf oder auch so einen Projektablauf aussieht.
Sie sind auch stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte. Gibt es denn aus Ihrer Sicht, was diese Befristung betrifft, geschlechtsspezifische Unterschiede?
Ja, die sind extrem. Dieses Gesetz wird, glaube ich, den Verlust von Frauen in der Wissenschaft noch schlimmer machen. Im Bachelorstudium ist das Verhältnis meistens noch 50:50. Im Master geht dann die Zahl ein bisschen runter, da sind etwa 40–45 % Frauen, 55–60 % Männer, das ist auch noch relativ ausgeglichen. Beim Ph.D., da kommt dann extrem auf den Fachbereich an, gerade bei uns im naturwissenschaftlichen Bereich. Dann beginnt halt dieses Prinzip von der Leaky Pipeline.
Da brechen die Zahlen der Frauen ein und wir gehen von diesen 40–45 %, die wir noch haben im PhD, runter auf 20. Wenn man dann überlegt, dass Frauen am Ende von ihrem Ph.D. Ende 20, Mitte 30 sind, das ist genau der Zeitpunkt, an dem man eine Familie gründen möchte. Und da geht uns einfach Top-Talent verloren, denn die gehen in sichere Berufe, wollen nicht mehr alle zwei, drei Jahre die Stadt oder das Land wechseln.
Und das, obwohl in den letzten 20, 30 Jahren probiert wurde, mehr Frauen in höhere Positionen und in Festanstellungen zu bekommen. Bei Festanstellungen im Wissenschaftsbereich ist der Frauenanteil unter 10 %. Wir müssen jetzt gar nicht darüber reden, was mit People of Color oder anderen Minderheiten passiert, da sind die Zahlen noch schlechter. Und ja, dieses Gesetz wird halt das bisschen Fortschritt, was wir in den letzten zwei Jahrzehnten gemacht haben, wieder zerstören.
Selbst wenn es an Instituten Projekte mit Vereinbarkeit von Familie und Beruf gibt, ist da diese Unsicherheit: „Dann bist du raus und dann kommen so viele Top-Talente nach.“ Da kann man sich halt an zwei Fingern abzählen, wie viele Chancen man hat und wie hart man arbeiten muss, wie viel Arbeitszeit man reinstecken muss, um da wieder Fuß zu fassen.
Also letztendlich schätzen Sie so ein, dass in dieser Situation bei der Auswahl gesagt wird: Aus Sicherheitsgründen nehme ich Männer? Grade in den Forschungsinstituten heißt es dann eventuell: Ach, um Gottes Willen, die Frau geht auf die 30 zu, da nehme ich dann lieber einen Mann für die nächste Befristung, für die Festanstellung sowieso, denn die Frau könnte ja plötzlich auf die komische Idee kommen, dass sie eine Familie haben will?
Könnte passieren. Am TROPOS ist es so, dass die Frau den Vortritt hat, wenn man den gleichen Lebenslauf hat oder gleich stark gewertet wird. Aber es kann natürlich auch sein, dass die Frauen von Anfang an wieder sagen: Nee, das tue ich mir nicht an. Also man braucht in dem Sinne dann ja auch so einen gewissen Narzissmus, um sich selber ganz toll zu finden, dass man dann überhaupt diesen Schritt geht und sagt: Ich bin so toll, ich mache das, denn auf mich kann die Wissenschaft nicht verzichten.
Ich persönlich sehe da Frauen eher in der Minderheit, die das so sagen. Auch von meinen Freundinnen (egal ob Doktorandinnen oder Postdocs) sagen viele: Ich mag die Wissenschaft, ich liebe das Schreiben, ich liebe das Datenauswerten, das Datensammeln, aber dieses ganze System, dieses ganze Framing ist auf lange Sicht zu anstrengend, vor allem wenn man Kinder möchte.
Das WissZVG ist ja nur ein Teil des Problems. Wir haben es vorhin schon mal angesprochen, unter Finanzierung des Forschungsbereiches. Was wäre denn jetzt eigentlich wünschenswert? Ob jetzt sechs Jahre oder vier Jahre befristet, das ist ja nur marginal wichtig. Am Ende sollen ja die Leute in der Wissenschaft auch bleiben, zumindest ist ein Teil.
Also für mich persönlich fehlt der Mittelbau zwischen Professor und Studierenden. Es gibt wenig Stellen, für die man keinen Professorentitel braucht, so etwas wie ein Gruppenleiter oder eine Schlüsselstelle Technik und Forschung, wo man noch andere Aufgaben hat. Da gibt es so ein paar Festanstellungen, aber auch wenig. Und das Problem ist momentan auch: Wenn diese Stellen frei werden, gibt es wieder mehr Männer, die sich darauf bewerben als Frauen.
Also es gibt definitiv zu wenig feste Stellen. Man könnte vielleicht auch mal überlegen, ob das immer 100%- Stellen sein müssen oder ob vielleicht auch 50–60 % Stellenfinanzierung reichen und sich dann die Wissenschaftler mit Projektgeldern ihr eigenes Gehalt aufbessern könnten. Das wäre in meinem Kopf gerade eine vielleicht ganz gute Idee, denn mit 50–60 % Gehalt kann man auch mal ein, zwei Monate gut leben, ohne dass man sich gleich Sorgen machen muss und kann ein bisschen damit planen.
Selbstverständlich muss beachtet werden, dass dadurch die Rentenansprüche sinken. Generell würde ich sagen, dass das ganze System Wissenschaft nochmal überarbeitet werden müsste. Denn es hat halt doch sehr viel damit zu tun, wen man kennt, dass man am richtigen Ort zur richtigen Zeit ist. Und es gibt immer noch diese Vereine, diese kleinen Gruppierungen, die Leute ausschließen.
Und abgesehen von den Stellen und abgesehen von dem ganzen Geld: Die Wissenschaft muss einfach noch diverser werden, damit wir einfach das Top rauskriegen von dem, was wir an Wissen in unserer Gesellschaft haben. Und das ist halt in der Wissenschaft momentan nicht repräsentiert.
Auf gut Deutsch gesagt, ist also unser Wissenschaftssystem auf einem Stand, welcher der heutigen Zeit nicht entspricht?
Man sieht das häufig noch. In den Naturwissenschaften ist es noch ein bisschen besser als in anderen Wissenschaften. Wir haben ja das Glück, wir werden dafür bezahlt unsere Promotion zu machen. Wenn man in den Fachbereich Philosophie schaut, die machen das alle in ihrer Freizeit. Es ist halt einfach ein Graus, wenn man das hört. Dann gibt es natürlich in den sozialen Bereichen dann doch mal den Überhang an Frauen.
Dieses System ist aufgebaut auf Meriten, Alter und Erfahrung. Und es ist ganz schwierig dann als junger Wissenschaftler, junge Wissenschaftlerin da irgendwas zu arbeiten oder zu bewegen oder Änderungen anzustoßen.
Man sieht jetzt ein paar Veränderungen. Und da kommt der Verein Respect Science ins Spiel. Wir Wissenschaftler müssen uns endlich wie eine Gewerkschaft zusammenschließen, um für unsere Rechte einzustehen, damit wir zusammen als Gruppe sagen können, das brauchen wir. Da kommt dann wieder diese Befristung ins Spiel. Wenn man nur zwei, drei Jahre an einem Ort ist und 100 % in die Arbeit stecken muss, dann kann man sich nicht noch organisieren.
Und alles, was an Änderungen stattfinden soll, das passiert sowieso in einem anderen Zeitraum. Dann sind es wieder diese fünf bis zehn Jahre, bis sich was verändert am Institut. Das heißt, viele Sachen, die man versucht anzustoßen, da bekommt man Ergebnisse gar nichts mehr mit, weil man dann weg ist.
Also man arbeitet letzten Endes für die nächsten drei Generationen?
Genau, aber man weiß halt auch nicht, ob es weitergetragen wird im Institut, ob dann jemand das Projekt wieder in die Hand nimmt und sagt, ich drücke weiter, ich versuche, dass wir das ändern können. Das weiß man halt nicht, wenn man dann ja gezwungenermaßen umziehen muss oder den Standort wechseln muss für einen neuen Postdoc, für ein neues Projekt.
Frau Cremer, ich danke Ihnen für das Gespräch.
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