Tanz, das ist Frohsinn, Bewegung, Lebensfreude. Deshalb diente er auch immer der Vereinnahmung durch die Politik – gerade in autoritär regierten Ländern. Da haben die Menschen dann zwar nicht viel mitzureden. Aber tanzen dürfen sie – auch bei ganz großen Wettbewerben. Und in der DDR gab es allerlei davon. Die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig und die Universität Leipzig haben im Herbst 2023 ein Forschungsprojekt gestartet, das sich mit Tanz in der DDR befasst.

Unter dem Titel „Kulturerbe Tanz in der DDR“ widmet sich dieses Pilotvorhaben einerseits der systematischen Erfassung von Tanzfesten und Wettbewerben, Choreographien und Aufführungen mithilfe digital vernetzter Daten und andererseits den individuellen Erfahrungen von Tanzschaffenden, vor allem durch Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen.

Tanz in der DDR ist immer noch nicht umfassend erforscht

Tanz in der DDR ist bisher noch relativ wenig erforscht. Spannende Fragestellungen ergeben sich zum Beispiel zu Art und Reichweite der ideologischen Vereinnahmung und Kontrolle der tänzerischen Praxis durch die sozialistische Kulturpolitik, die sich auch auf deren Dokumentation ausgewirkt hat.

„Eindrücklich erfahrbar wird das“, so Projektmitarbeiterin Dr. Melanie Gruß, „besonders an der Schule von Gret Palucca in Dresden, an den Volkstanzfesten in Rudolstadt und an den Arbeiterfestspielen sowie an den regelmäßigen Ballettwettbewerben“.

Quellengrundlage des Projekts sind vor allem die Bestände des Tanzarchivs Leipzig, des ehemaligen Tanzarchivs der DDR, die sich heute in der Universitätsbibliothek Leipzig befinden.

„Diese Materialien umfassen eine breite Palette von Tanzwerken, Aufführungen, Tanzveranstaltungen und Festen, dokumentiert in Fotografien, Filmen, Plakaten, Programmheften und sonstigen Schriften“, berichtet der Projektleiter Prof. Dr. Patrick Primavesi vom Institut für Theaterwissenschaft der Universität Leipzig. Und weiter: „Die Dokumente spiegeln aber vor allem das sozialistische Weltbild der DDR wider, sodass Widersprüche und Doppeldeutigkeiten in Bezug auf die offizielle Kulturpolitik sich oft erst auf den zweiten Blick erschließen“.

Das Projekt zielt daher darauf ab, die Expertise von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu nutzen, um die Materialien besser einordnen und kritisch analysieren zu können. Es will Einblicke in die tänzerische Praxis der DDR gewinnen, mit Fragen zur künstlerischen Freiheit und zu politischen Restriktionen ebenso wie zu institutionellen Rahmenbedingungen und individuellen Handlungsspielräumen im Alltag.

Digitale Infrastruktur entwickelt

Im Projekt wird zugleich eine digitale Forschungs-Infrastruktur entwickelt, die es ermöglicht, Ereignisdaten mit den Materialien aus dem Tanzarchiv und den aktuell durchgeführten Interviews zu verknüpfen.

„Das Ziel ist es, ein Datenmodell zu schaffen, das die Komplexität der Tanzereignisse und der gesellschaftlichen Zusammenhänge angemessen abbildet und die Recherche erleichtert“, sagt Dr. Franziska Naether von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften. Somit trage das Projekt auch zur Weiterentwicklung digitaler Methoden bei der Erforschung des immateriellen Kulturerbes bei, das sich als kulturelle Praxis vor allem in Aufführungen und anderen Ereignissen manifestiert, weniger in bleibenden Artefakten.

„Inhaltlich geht es darum“, so Prof. Primavesi, „den Tanz und das Tanzen in der DDR in seiner jeweiligen Komplexität zu erfassen und zu verstehen. Das eröffnet neue Perspektiven nicht nur auf die DDR-Tanzgeschichte, sondern ermöglicht auch eine genauere Betrachtung der gesamtdeutschen Tanzentwicklung seit der Friedlichen Revolution.“

Das Projekt „Kulturerbe Tanz in der DDR. Pilotprojekt zur Modellierung von Ereignisdaten unter exemplarischer Berücksichtigung des Erfahrungswissens von Expertinnen und Experten“ läuft noch bis Frühjahr 2026 und wird finanziert durch die Forschungsförderung des Freistaats Sachsen.

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