Deutschland bemüht sich um Klimaneutralität, doch vor allem der Ausbau der Windenergie an Land kommt nur stockend voran. Was sind die Gründe dafür? Was müsste passieren, um diese Energieart stärker als bisher nutzen zu können? Wo sind die Hürden? – Wissenschaftler/-innen der Nachwuchsforschungsgruppe Multiple Umweltwirkungen Erneuerbarer Energien (MultiplEE) der Universität Leipzig haben gerade gemeinsam mit Kolleg/-innen des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) Leipzig einen Policy Brief zu dieser Thematik verfasst.
In dem geben sie der Bundesregierung Handlungsempfehlungen für den angestrebten Ausbau der Windenergie und ordnen die aktuellen Lösungsvorschläge dazu wissenschaftlich ein. Im Interview erläutert der Leiter der Nachwuchsforschungsgruppe MultiplEE, Juniorprofessor Dr. Paul Lehmann, die in dem Paper formulierten fünf Thesen.
Herr Lehmann, wann soll das Sommerpaket der Bundesregierung zum Ausbau der Windenergie verabschiedet werden?
Die Bundesregierung will noch vor der Sommerpause diverse Vorschläge vorlegen, um die Energiewende voranzubringen. Die ersten Entwürfe werden schon für Mai erwartet. Geplant ist unter anderem ein Windenergie-an-Land-Gesetz. Damit sollen mehr Flächen für neue Windenergieanlagen bereitgestellt und deren Genehmigung vereinfacht werden.
An wen konkret richten sich Ihre Politikempfehlungen?
Der Policy Brief fasst Ergebnisse aus der Windenergieforschung der letzten Jahre an der Universität Leipzig sowie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) zusammen. Er richtet sich insbesondere an Entscheider und Entscheiderinnen in Politik, Verwaltung und Verbände – aber auch an interessierte Bürger und Bürgerinnen.
Sie und Ihre Kolleg/-innen empfehlen, Ländern und Kommunen positive Anreize zur Ausweisung von Flächen für Windenergie zu geben.
Wie könnten diese aussehen?
Es liegt vor allem in der Hand von Ländern und Kommunen, Flächen für die Windenergie bereitzustellen. Das werden sie aber nur dann in ausreichendem Maße tun, wenn Länder, Kommunen und die Menschen vor Ort unmittelbar vom Ausbau der Windenergie profitieren. Kommunen können beispielsweise eine Abgabe von den Windparkbetreibern erhalten. Bislang ist die Zahlung für die Betriebe freiwillig.
Diese Art der finanziellen Beteiligung könnte durch eine verpflichtende Abgabe gestärkt werden. Möglicherweise muss die Abgabe auch erhöht werden. Bisher erhalten Kommunen in der Nähe eines Windrads ungefähr 20.000 Euro pro Jahr und Windrad. Und auch Bürger und Bürgerinnen könnten noch stärker von den Windenergieanlagen vor Ort profitieren – etwa durch vergünstigte Stromtarife oder Bürgerenergiegenossenschaften.
Es ist daher gut, dass die Bundesregierung die Förderbedingungen für Bürgerenergiegenossenschaften vereinfachen will. Insgesamt könnten solche Anreize einen Beitrag dazu leisten, dass sich mehr Menschen vor Ort für die Windenergie einsetzen. Umfragen zeigen nämlich, dass eine schweigende Mehrheit der Bevölkerung kein Problem mit Windrädern vor der Haustür hat.
Befürchten Sie, dass es durch den von Ihnen vorgeschlagenen Verzicht von Siedlungsmindestabständen zu Windkraftanlagen zu Protesten der Anwohner oder Kommunen kommen könnte?
Wichtig ist zunächst: Ein Mindestschutz von Anwohnerinnen und Anwohnern wird immer gewahrt sein. Das Bundesimmissionsschutzgesetz legt Mindestabstände zwischen Windrädern und Siedlungen fest, um Menschen vor Lärm zu schützen. Diese Regeln würden weiter gelten. Abgeschafft werden sollten jedoch pauschale Siedlungsmindestabstände, die noch mal deutlich über die Regelungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes hinausgehen.
Solche Regelungen gelten seit einigen Jahren zum Beispiel schon in Bayern oder Nordrhein-Westfalen. Weitere Länder wie Sachsen und Brandenburg wollen jetzt ebenfalls einen pauschalen Mindestabstand von tausend Metern einführen. Es gibt jedoch keine eindeutigen wissenschaftlichen Belege, dass solch pauschale Mindestabstände die Akzeptanz der Windenergie verbessern können. Die pauschalen Mindestabstände zu Siedlungen reduzieren aber die verfügbaren Flächen für die Windenergie drastisch.
Sie können auch dazu führen, dass Windenergieanlagen von Siedlungen weg hin in ökologisch sensiblere Bereiche verdrängt werden. Letztlich schaffen die aktuellen, pauschalen Siedlungsmindestabstände so auch viele neue Konflikte. Damit ein Verzicht auf pauschale Siedlungsmindestabstände gesellschaftlich akzeptiert wird, braucht es mehr Bewusstsein für diese Aspekte.
Stichwort Artenschutz: Wie könnten artenschutzrechtliche Vorgaben konkretisiert werden? Warum ist das bis jetzt noch nicht geschehen?
Konkretisiert werden müssen insbesondere die Regelungen für das artenschutzrechtliche Genehmigungsverfahren für neue Windräder. Welche Tierarten müssen dafür berücksichtigt werden? Wann genau besteht ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko für diese Tierarten? Unter welchen Bedingungen können artenschutzrechtliche Ausnahmen gewährt werden?
Bislang wird das mehr oder weniger verbindlich durch jedes Bundesland selbst geregelt. Die Bundesländer haben sich nie auf gemeinsame Standards verständigen können. Es ist daher gut und sinnvoll, dass Bundesumweltministerium und Bundeswirtschaftsministerium nun konkretisierte und bundesweit einheitliche Regelungen festlegen wollen.
Sie empfehlen auch eine Ausweitung des Flächen-Monitorings. Wie weit ist das bis heute gediehen? Wo gibt es noch Probleme?
Im letzten Jahr wurde ein Bund-Länder-Kooperationsausschuss eingesetzt, um unter anderem ein Flächen-Monitoring auf den Weg zu bringen. Der Bericht des Ausschusses enthält bislang aber nur sehr grobe Daten dazu, wie viele Flächen die Bundesländer in der Summe für die Windenergie bereitstellen. Benötigt werden räumlich viel höher aufgelöste Daten. Nur so kann man feststellen, inwieweit die Flächen überhaupt für die Windenergie geeignet sind und wie viele Windräder dort bereits stehen.
Diese Informationen sind notwendig, um abschätzen zu können, ob die Flächen für die Erreichung der Energiewendeziele ausreichen. Die Sammlung dieser Daten ist bislang extrem aufwendig. Sie liegen dezentral bei Ländern, regionalen Planungsverbänden und Kommunen. Diese Planungsträger sollten daher zukünftig verpflichtet werden, ihre Daten regelmäßig an eine Bundesbehörde zu melden.
Das Interview führte die Medienredaktion der Uni Leipzig.
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