Forschungen zum Klimawandel und zu den Temperaturentwicklungen in der jüngeren Menschheitsgeschichte gibt es jede Menge. Und auch Erkenntnisse zu markanten Klimaveränderungen in den letzten 2.000 Jahren. Aber wie wirkten die sich eigentlich auf die menschliche Zivilisation aus? Ein Thema, das eigentlich noch viel wichtiger ist und mit dem sich jetzt Forschende aus Leipzig beschäftigen – indem sie in die Archive alter europäischer Städte gehen.

Dass es an den Stellen, an denen sich das Klima deutlich veränderte, zu massiven Auswirkungen für die Menschen und ihre Kultur kam, ist bekannt. Manche dieser Ereignisse – wie Hungersnöte und Seuchen – haben auch die Geschichte massiv verändert.

Aber womit muss eine Zivilisation wirklich rechnen, wenn sich elementare klimatische Verhältnisse drastisch ändern?

Beispielhaft dafür ist der Übergang von der mittelalterlichen Warmzeit (ungefähr 950 und 1250) zur sogenannten Kleinen Eiszeit.

Der Übergang von der mittelalterlichen Warmzeit zur Kleinen Eiszeit wurde offenbar von starken Dürren zwischen 1302 und 1307 in Europa begleitet, die der feucht-kalten Phase der 1310er Jahre und der damit verbundenen großen Hungersnot von 1315 bis 1321 vorausgingen. Die Wetterlagen 1302 bis 1307 seien vergleichbar mit der Wetteranomalie 2018, als in Kontinentaleuropa eine außergewöhnliche Hitze und Dürre herrschte, schreiben die Forschenden der Leibniz-Institute für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO) und für Troposphärenforschung (TROPOS) im Fachjournal „Climate of the Past“.

Die Wettermuster damals würden den stabilen Wetterlagen ähneln, die seit den 1980ern häufiger auftreten und mit der verstärkten Erwärmung der Arktis in Zusammenhang gebracht werden. Übergangsphasen im Klima seien immer durch einen Zeitraum geringer Variabilität geprägt, in denen die Wetterlagen langanhaltend stabil sind, so die Hypothese der Leibniz-Forschenden aus dem Vergleich der Dürren 1302–07 und 2018.

Die Studie ist ein Zwischenergebnis der (http://www.leibniz-gwzo.de/de/forschung/mensch-und-umwelt/klimageschichte”) Freigeist-Nachwuchsforschungsgruppe zur Dante-Anomalie (1309–1321) am Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO). Die von der Volkswagen-Stiftung geförderte Nachwuchsgruppe untersucht den rapiden Klimawandel am Anfang des 14. Jahrhunderts und seine Auswirkungen auf das spätmittelalterliche Europa.

Der „Große Hunger“ (Great Famine, 1315–1321) gilt als größte gesamteuropäische Hungersnot des vergangenen Jahrtausends. Wenige Jahre später folgte mit dem „Schwarzen Tod“ (1346–1353) die verheerendste bekannte Pandemie, bei der etwa ein Drittel der damaligen Bevölkerung der Pest zum Opfer fiel.

Eingeleitet wurden diese Krisen damals von einer Phase rapiden Klimawandels nach 1310, die nach dem italienischen Dichter und Philosophen Dante Alighieri als „Dante-Anomalie“ (Dantean Anomaly) bezeichnet wird. Die 1310er Jahre gelten als Übergangsphase von der durch relativ hohe Temperaturen geprägten hochmittelalterlichen Klimaanomalie zur Kleinen Eiszeit.

Meteorologische Extremereignisse in alten Archiven

Das Forschungsprojekt aus Leipzig nimmt dabei besonders die Regionen Oberitalien, Südostfrankreich und Ostmitteleuropa unter die Lupe. Diese Gebiete wurden bisher wenig untersucht im Hinblick auf die große Hungersnot, bieten aber eine Vielzahl historischer Quellen, die helfen können, meteorologische Extremereignisse und ihre sozio-ökonomischen Auswirkungen zu rekonstruieren, die Aussagen zur Verwundbarkeit der Gesellschaft damals ermöglichen.

„Wir wollen damit zeigen, dass der historische Klimawandel viel besser rekonstruiert werden kann, wenn nicht nur Klimaarchive wie Baumringe oder Sedimentkerne genutzt werden, sondern auch historische Quellen. Das Einbeziehen der geisteswissenschaftlichen Forschung trägt deutlich dazu bei, die gesellschaftlichen Folgen des Klimawandels in der Vergangenheit besser zu verstehen und Schlussfolgerungen für die Zukunft zu ziehen“, erklärt Dr. Martin Bauch vom GWZO, der die Nachwuchsgruppe leitet.

In der jetzt veröffentlichten Studie wurde eine Vielzahl historischer Quellen ausgewertet: Chroniken aus dem heutigen Frankreich, Italien, Deutschland, Polen und Tschechien. Regionale und städtische Chroniken gaben Auskunft zu historischen Stadtbränden, die ein wichtiger Indikator für Dürren waren. Verwaltungsschriftgut aus Siena (Italien), der Grafschaft Savoyen (Frankreich) und der zugehörigen Region Bresse ließen Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Entwicklung zu.

Anhand der Daten war es beispielsweise möglich, die Weizen- und Weinproduktion in der französischen Region Bresse abzuschätzen und mit der Weizenproduktion in England zu vergleichen. Da der Ertrag stark von klimatischen Faktoren wie Temperatur und Niederschlag abhing, sind dadurch Rückschlüsse auf das Klima im jeweiligen Produktionsjahr möglich.

Während der Sommer 1302 in Mitteleuropa noch sehr regenreich war, folgten ab 1304 mehrere sehr trockene, heiße Sommer. Aus Sicht der Klimageschichte handelt es sich dabei um die stärkste Dürre des 13. und 14. Jahrhunderts.

„Auch aus dem Nahen Osten berichten Quellen von großer Dürre. So führte der Nil beispielsweise ungewöhnlich wenig Wasser. Wir denken daher, dass die Dürre 1304 bis 1306 nicht nur ein regionales Phänomen war, sondern wahrscheinlich transkontinentale Ausmaße hatte“, berichtet Dr. Thomas Labbé vom GWZO.

Das Drama stabiler Hoch- und Tiefdruckgebiete

Anhand der Auswirkungen rekonstruierte das Team die historischen Wetterlagen zwischen Sommer 1302 und 1307. Durch Auswertungen der Dürre 2018 und ähnlichen Extremereignissen ist inzwischen bekannt, dass in solchen Fällen in der Regel eine sogenannte „Niederschlagsschaukel“ (Precipitation Seesaw) vorherrscht. So bezeichnet die Meteorologie einen starken Kontrast zwischen extrem hohen Niederschlägen in einem Teil von Europa und extrem niedrigen Niederschlägen in einem anderen.

„Die Ursache dafür liegt meist in stabilen Hoch- und Tiefdruckgebieten, die ungewöhnlich lange in einer Region verharren. 2018 lagen beispielsweise sehr stabile Tiefs lange über dem Nordatlantik und Südeuropa, was zu starken Niederschlägen dort und einer extremen Dürre dazwischen in Mitteleuropa führte“, erläutert Dr. Patric Seifert vom TROPOS, der sich als Meteorologe um die Rekonstruktion der Großwetterlagen kümmerte.

Die Analyse der möglichen Großwetterlage deutet darauf hin, dass zwischen 1303 und 1307 meistens ein starkes, stabiles Hoch über Mitteleuropa gelegen haben muss, was die extreme Dürre in diesen Jahren erklären würde.

Die Analyse dieser historischen Wettersituationen ist von besonderem Interesse, da aktuell diskutiert wird, wie sich der Klimawandel in der Arktis auf das Wetter in Europa auswirkt. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Arktis mehr als doppelt so stark erwärmt wie andere Regionen der Erde. Dieses Phänomen wird „Arktische Verstärkung“ (Arctic Amplification) genannt und von einem DFG-Sonderforschungsbereich unter Leitung der Universität Leipzig untersucht.

Eine Theorie nimmt an, dass durch die überproportionale Erwärmung der Arktis die Temperaturunterschiede zwischen den mittleren Breiten und der Region um den Nordpol sinken und damit auch die atmosphärische Dynamik abnimmt. Als Folge können sich Wetterlagen länger halten als früher, so eine gängige Hypothese.

„Auch wenn es sich im Mittelalter um eine Phase der Abkühlung handelte und wir jetzt in einer Phase der menschgemachten Erwärmung leben, könnte es Parallelen geben: Die Übergangszeit zwischen zwei Klimaphasen könnte durch geringere Temperaturunterschiede zwischen den Breitengraden geprägt sein und länger anhaltende Großwetterlagen verursachen, was eine Zunahme von Extremereignissen erklären könnte“, gibt Patric Seifert zu Bedenken.

Erst die Dürren, dann die Stadtbrände

Parallel zu den Dürren verzeichneten die Forschenden in ihrer Studie eine erkennbare Zunahme an Stadtbränden. Brände waren für die eng bebauten Städte im Mittelalter eine große Gefahr, da es damals noch keine Feuerwehren wie heutzutage gab. Am besten dokumentiert zwischen 1302 und 1307 ist wahrscheinlich ein Brand in Florenz, bei dem am 10. Juni 1304 über 1.700 Häuser brannten. Aus den Quellen für Italien und Frankreich ergab sich eine Korrelation zwischen extremer Trockenheit und Bränden.

„Wir denken, dass wir in unserer Analyse erstmals einen Zusammenhang zwischen Bränden und Dürren über einen Zeitraum von 200 Jahren gefunden haben. Große Stadtbrände folgten meist ein Jahr nach den Dürren. Die Holzstrukturen in den mittelalterlichen Häusern reagierten mit Verzögerung. Wenn sie aber einmal ausgetrocknet waren, entzündeten sie sich sehr leicht“, erklärt Martin Bauch vom GWZO.

Der Zusammenhang von Dürre und Feuer war auch den Zeitgenossen bewusst: Die Bürger wurden damals verpflichtet, Wassereimer neben die Haustür zu stellen sozusagen als Feuerlöscher, die jederzeit verfügbar sein sollten. Erst später wurden organisierte Feuerwehren gegründet, so z. B. um 1348 in Florenz.

Aus den Städten in Oberitalien sind größere Infrastrukturmaßnahmen als Reaktion auf die Dürren überliefert: Parma und Siena investierten in größere, tiefere Brunnen. Siena in der Toskana kaufte sich extra einen Hafen am Meer und baute diesen nach den Dürrejahren 1302 bis 1304 aus, um darüber Getreide importieren zu können und unabhängiger von der heimischen Produktion zu werden.

„Unserer Auswertung zufolge war die Dürre 1302 bis 1307 ein Jahrhundertereignis. Keine andere Trockenheit erreichte im 13. und 14. Jahrhundert diese Dimensionen. Das nächste Ereignis dieser Größenordnung war erst die Dürre 1360 bis 62, die sich quer über Europa erstreckte und auch aus Japan, Korea und Indien überliefert ist“, schlussfolgert Annabell Engel, M.A., vom GWZO.

Im Zusammenhang mit der globalen Erwärmung rechnet die Forschung mit häufigeren Extremereignissen wie Dürren. Während viele Studien bereits für die 1340er Jahre kurz vor der Pestepidemie starke Schwankungen zwischen den Jahren belegten, war das erste Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts, ganz anders als die 1310er Jahre, bisher kaum im Blick der Forschung.

Die Leibniz-Forschenden konnten nun erstmals zeigen, dass außergewöhnliche trockene Sommer 1302 bis 1304 südlich und 1303–1306 nördlich der Alpen die Folge von stabilen Wetterlagen und sehr unterschiedlich verteilten Niederschlägen waren. Die Studie aus Leipzig wirft so ein neues Licht auf die ersten Jahre des 14. Jahrhunderts mit seinen dramatischen Veränderungen und schlägt den Bogen zu den Klimaveränderungen der Gegenwart.

„Rückschlüsse auf die zukünftige Entwicklung des Klimas des 21. Jahrhunderts lassen sich aus unserer Studie allerdings schwer ableiten. Während im 14. Jahrhundert noch natürliche Schwankungen des Klimas dominierten, ist es heute der Einfluss des Menschen auf das Klima“, merken Martin Bauch und Patric Seifert an.

Publikation: Bauch, M., Labbé, T., Engel, A., and Seifert, P.: A prequel to the Dantean Anomaly: the precipitation seesaw and droughts of 1302 to 1307 in Europe, Clim. Past, 16, 2343–2358, https://doi.org/10.5194/cp-16-2343-2020, 2020.

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