Der Titel, den Dr. Stefan Klotz, Leiter des Themenbereichs „Ökosysteme der Zukunft“ sowie des Departments „Biozönoseforschung“ am Umweltforschungszentrum Leipzig, seinem Essay gegeben hat, ist ein wenig irreführend: „Warum die Ökosysteme der Zukunft multifunktional sein müssen“. Das klingt, als müssten wir jetzt erst einmal multifunktionale Ökosysteme entwickeln. Dabei sind sie das von Natur aus. Und wir müssen lernen, das zu verstehen. Denn davon hängt unser Überleben ab.

Der Essay ist quasi die thematische Einleitung für das neue Heft „Umweltperspektiven“, den inhaltsreichen Newsletter, den das Umweltforschungszentrum regelmäßig herausgibt, um über seine Forschungen zu berichten, aber auch drängende Umweltthemen zu diskutieren.

Und in den vergangenen Jahren hat sich auch am Umweltforschungsinstitut einiges gravierend verändert. Es sind deutlich mehr Forschungsbereiche hinzugekommen, die über das einzelne Spezialistentum hinausgehen und ganze Ökosysteme untersuchen und die darin existierenden Stoffkreisläufe, Abhängigkeiten und die Vernetzung der vorhandenen Arten.

Logischerweise streift das immer auch Themen wie Widerstandsfähigkeit, Anpassungsfähigkeit, öffnet aber erst recht den Blick darauf, was passiert, wenn Menschen monotone Nutzlandschaften schaffen und diese funktionierende Lebensvielfalt der Ökosysteme verarmen lassen und nicht mal bemerken, was da alles kaputt geht.

Mittlerweile weiß man selbst in der EU-Kommission, wie abhängig unsere Zivilisation von der Leistungsfähigkeit der natürlichen Ökosysteme ist und wie wir gerade dabei sind, unsere Überlebensgrundlagen zu zerstören, wenn wir weiter so im alten Nutzen- und Schädlingsdenken verbleiben.

„Die Ende Mai 2020 von der EU-Kommission veröffentliche Strategie zum Schutz der Biodiversität bis 2030 trägt den Untertitel ,Bringing nature back into our lives‘“, schreibt Stefan Klotz in seinem Essay. „Die Frage, wie es gelingen kann, die Natur wieder in unser Leben zu integrieren, ist von grundlegender strategischer Bedeutung für das Überleben der Menschheit und keineswegs neu. Die bislang dominierende Strategie bestand darin, immer mehr Ressourcen der Natur zu nutzen, um unser Leben zu verbessern. Heute sehen wir, wie dieser auf Wachstum orientierte Ansatz zu seinem Ende kommt. Wir übernutzen die meisten, auch die erneuerbaren Ressourcen und haben keine Steigerungsmöglichkeiten mehr.“

Stattdessen gehen selbst für unser Überleben wichtige Ökosystemdienstleistungen kaputt: Bienen, die für die Bestäubung wichtig sind, verschwinden, Böden erodieren, Trinkwasservorräte gehen verloren oder sind so belastet, dass sie als Trinkwasser nicht mehr geeignet sind. Riesige Regenwälder werden gefällt, um Palmöl anzubauen oder triste Soja-Monokulturen anzulegen, mit denen europäisches Vieh gefüttert wird. Die Böden verlieren ihre Organismenvielfalt, Meere ihre Fischbestände.

Wir müssen schnellstens lernen, wieder im Einklang mit einer intakten Natur zu leben. Auch hier mitten in Deutschland, wo die viel zu kleinen Schutzgebiete nicht mehr genügen, das Aussterben wichtiger Tier- und Insektenarten zu verhindern.

„Dennoch ist der Zeitgeist immer noch vom Wachstumsparadigma geprägt und von der Idee, man könne diesen Pfad weiter beschreiten, indem man entsprechende Technologien entwickelt oder sogar Ressourcen aus den Weiten des Weltraums nutzt“, schreibt Klotz.

„Dieses Paradigma steht im völligen Gegensatz zu naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Kein Ökosystem – und die Erde ist ein solches System – kann ständig seine Primärproduktion steigern. Auch die Annahme vieler Ökonomen, dass Ressourcen durch andere ersetzbar seien, übersieht die schlichte Tatsache, dass wir Menschen als biologische Wesen von Sauerstoff, Wasser, Kohlenhydraten, Fetten und Eiweißen sowie anderen Elementen abhängen.

Deshalb gibt es ganz objektive Grenzen des Wachstums – eine Erkenntnis, die der Club of Rome schon 1972 formulierte und die heute aktueller denn je ist. Die Idee, man müsse für unser Überleben nur für saubere Luft, sauberes Wasser und fruchtbare Böden sorgen, übersieht, dass hierzu die Vielfalt des Lebens, die Biodiversität der Erde, benötigt wird. Nur sie kann das Funktionieren der Ökosysteme sichern, ihre Produktivität erhalten oder auch für das Recycling von Stoffen sorgen.“

Folgerichtig beschäftigen sich Forschungsinstitute weltweit mit der Funktionsweise ganzer Ökosysteme, gar mit der Planung ganzer Landschaftsstrukturen, in denen der Mensch wieder ökologisch und im Einklang mit der Natur wirtschaftet. Ob freilich die nächsten zehn Jahre genügen, um das Ruder herumzureißen, ist völlig offen. Denn während der Klimawandel im Bewusstsein der meisten Menschen endlich angekommen ist, ist es die Dramatik des Artensterbens noch lange nicht.

Und deshalb endet Klotz mit einer deutlichen Mahnung: „,Bringing nature back into our lives‘ ist keine neue Variante einer ,Zurück zur Natur‘-Bewegung. Lernen von der Natur, Arbeiten mit der Natur und nicht entgegen natürlicher Prozesse, naturgemäße Nutzungskonzepte und Technologien und natürlich Änderungen in unserem Lebensstil und unseren Wertesystemen sind Lösungsansätze, die uns eine Zukunft ermöglichen. Mehr produzieren und mehr konsumieren, um mehr Kapital zu akkumulieren, führt uns dagegen weiter in die Sackgasse!“

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Keine Kommentare bisher

Wahrlich wichtige Worte von UFZ-Forschern angesichts der Klimakrise!
Aber wie kann es dann sein, dass UFZ-Wissenschaftler wie Professor Wirth und Mathias Scholz die intensive Forstwirtschaft im Leipziger Auwald voll und ganz unterstützen, massive Altdurchforstungen, Kleinkahlschläge, Schirmschläge (die Mittelwaldkatastrophe in der Burgaue), die Entnahme von etwa 6.500 Kubikmetern Holz alleine aus dem städtischen FFH-Gebiet? Und nicht auf namhafte Waldökologen wie Professor Ibisch, der viel über die Resilienz von Wäldern in der Klimakrise forscht und publiziert und auch die Forstwirtschaft im Leipziger Auwald scharf kritisiert hat, hören? Was ist da los? Ignoranz gegenüber systemischen Ansätzen im Wald und Verkennung der Klimakrise? Auwaldkran? Drittmittelforschung??
Ich kann das nur als skandalös bezeichnen.

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