Eigentlich hatte unsereiner ja so seine Vorstellungen über den Neandertaler: Robust, weniger kälteempfindlich, hart im Nehmen und deshalb auch viel früher dabei, die rauhen nordischen Breiten zu besiedeln. Aber jetzt haben Forscher eine Genvariante aufgespürt, die darauf hindeutet, dass der Neandertaler schmerzempfindlicher war als der moderne Mensch. Was einen ja auch wieder auf Gedanken bringt.

Worum geht es im Detail? – Schmerz wird durch spezielle Nervenzellen übertragen, die aktiviert werden, wenn potenziell schädliche Einflüsse auf verschiedene Teile unseres Körpers treffen, erläutert das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in seiner Mitteilung die Ausgangslage. Diese Nervenzellen verfügen über einen speziellen Ionenkanal, der eine Schlüsselrolle beim Auslösen des elektrischen Schmerzimpulses spielt, der an das Gehirn übertragen wird.

Einer neuen Studie von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und des Karolinska Institutes in Schweden zufolge empfinden Menschen mehr Schmerzen, die die Neandertaler-Variante dieses Ionenkanals geerbt haben.

Seit in Leipzig das Neandertaler-Genom sequenziert wurde, können die Forscher ganz gezielt einzelne Sequenzen untersuchen, ob sie im Genom heute lebender Menschen ebenso zu finden sind – und natürlich umgekehrt: Sequenzen, die in der heutigen medizinischen Forschung aufgefallen sind mit dem Neandertaler-Genom vergleichen.

Die stetig steigende Anzahl sequenzierter Neandertaler-Genome ermöglicht es Forschern nun erstmals, genetische Veränderungen zu identifizieren, die bei vielen oder allen Neandertalern vorhanden waren. Wenn diese Veränderungen bei heute lebenden Menschen vorkommen, können so auch deren physiologische Auswirkungen im Vergleich zu Menschen ohne diese Genvariante untersucht werden. Man kann also von gesundheitlichen Erfahrungen heutiger Menschen auf das zurückschließen, was auch der Neandertaler erlebt haben kann.

Ein Gen, das solche Veränderungen aufweist, haben Hugo Zeberg, Svante Pääbo und Kollegen genauer analysiert: Insbesondere Menschen aus Mittel- und Südamerika, aber auch in Europa, haben eine Neandertaler-Variante eines Gens geerbt, das für einen Ionenkanal kodiert, der die Schmerzempfindung auslöst.

Anhand von Daten aus einer umfangreichen Bevölkerungsstudie in Großbritannien zeigen die Autoren, dass Menschen, die die Neandertaler-Variante des Ionenkanals tragen, mehr Schmerzen empfinden.

„Wie viel Schmerzen Menschen empfinden, ist vor allem von ihrem Alter abhängig. Menschen, die die Neandertaler-Variante des Ionenkanals haben, empfinden mehr Schmerzen – in etwa so, als wären sie acht Jahre älter“, sagt Erstautor Hugo Zeberg, Forscher am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und am Karolinska-Institut.

„Die Neandertaler-Variante des Ionenkanals weist drei Aminosäure-Unterschiede zu der üblichen ‚modernen‘ Variante auf“, erklärt Zeberg. „Während einzelne Aminosäuresubstitutionen die Funktion des Ionenkanals nicht beeinträchtigen, führt die vollständige Neandertaler-Variante mit drei Aminosäuresubstitutionen bei heute lebenden Menschen zu einer erhöhten Schmerzempfindlichkeit.“

Auf molekularer Ebene wird der Neandertaler-Ionenkanal leichter aktiviert, was erklären könnte, warum Menschen, die diesen geerbt haben, eine niedrigere Schmerzgrenze haben.

Aber gleichzeitig warnen die Forscher vor zu schnellen Rückschlüssen.

„Ob Neandertaler mehr Schmerzen empfunden haben ist allerdings schwer zu sagen, weil Schmerz außerdem sowohl im Rückenmark als auch im Gehirn moduliert wird“, sagt Svante Pääbo. „Aber diese Arbeit zeigt, dass die Schwelle zur Auslösung von Schmerzimpulsen bei Neandertalern niedriger war als bei den meisten heute lebenden Menschen.“

Hat also die Spezies am Ende die Oberhand gewonnen, die weniger Schmerz empfunden hat? Wobei das ja bestimmt nicht so ursächlich war. Aber es regt zum Nachdenken darüber an.

Leipziger Forschungsergebnis: Frauen mit Neandertaler-Gen bringen mehr Kinder zur Welt

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