Es klingt so einleuchtend: Wer in die Kirche geht, glaubt seltener an Verschwörungstheorien. Jedenfalls interpretiert eine Studie der Universität Bern und der Universität Leipzig den Zusammenhang von Religiosität und Rechtsextremismus so, dass kirchlicher Glaube im Osten Deutschlands gegen Rechtsextremismus „immunisieren“ kann. Aberglaube geht dagegen in ganz Deutschland häufig mit rechtsextremen Einstellungen einher. Aber das könnte eine völlig falsche Interpretation sein.

Die auch ein wenig verrät, dass Forscher vielleicht doch besser ohne Vorurteile an solche Auswertungen gehen sollten. Denn dann bestätigen sie nur, was sie vorher glaubten, schon zu wissen. Zum Beispiel diese Vermutung: “Während die Kirche Weltoffenheit und Toleranz fördern kann, ist Aberglaube mit einer simplen Weltsicht, Ethnozentrismus und Fremdenfeindlichkeit verbunden.“

Durchgeführt wurde die Studie von Prof. Dr. Stefan Huber, Leiter des Instituts für Empirische Religionsforschung an der Universität Bern, und Dr. Alexander Yendell vom Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig. Sie untersuchten, inwieweit verschiedene Formen von Religiosität rechtsextreme Einstellungen begünstigen oder eher verhindern. Dazu analysierten sie Daten einer repräsentativen Erhebung in Deutschland (Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften, ALLBUS 2018).

Die Autoren stellten fest, dass Religiosität mit Rechtsextremismus statistisch zusammenhängen, und zwar dahingehend, dass insbesondere im Osten Deutschlands die Anbindung an eine Kirche gegen rechtsextreme Einstellungen „immunisiert“. Das „immunisiert“ ist die Einschätzung der Forscher. Sie ist aber nicht belastbar, weil so etwas anhand der repräsentativen Erhebung gar nicht erhoben wird.

Das einzige, was diese Befragungen wirklich zeigen, ist ein statistischer Zusammenhang: Demnach sind Menschen, die in Ostdeutschland häufig den Gottesdienst besuchen und an kirchlichen Aktivitäten teilnehmen, deutlich seltener anfällig für rechtsextreme Einstellungen.

Zugleich zeigen die Forscher, dass im Osten wie auch im Westen Deutschlands Aberglaube mit rechtsextremen Einstellungen verbunden ist. „Der Glaube an Glücksbringer, Wahrsager, Horoskope und Wunderheiler geht häufig mit einer ethnozentrischen Sichtweise und rechtsextremen Einstellungen einher“, sagt Alexander Yendell.

Und wo bleibt der Rest?

Im Denkfehler der Forscher natürlich, die augenscheinlich felsenfest der Überzeugung sind, dass die Antipoden des modernen Denkens Glaube und Aberglaube sind. Als hätte es keine 300 Jahre Aufklärung gegeben, kein rationales und kein wissenschaftliches Denken. Das verblüfft schon.

Aber diese Beziehung wurde auch nicht untersucht. Womit dann all die Menschen, die weder rechtsextrem noch (aber-)gläubig sind, unter den Tisch fallen. Untersucht wurden nur die Menschen mit rechtsextremen Einstellungen, die – gar nicht überraschend – stark mit dem Glauben an „übernatürliche Kräfte“ bzw. Verschwörungen korrespondieren. Davon lebt ja der Rechtsextremismus geradezu. Und deswegen ist der Hauptgegner der Rechtsextremen eben nicht die Kirche, sondern die Aufklärung.

Nur im Osten gibt es übrigens auch den engen Zusammenhang zwischen Kirchenferne und Rechtsextremismus, im Westen ist er so nicht nachweisbar.

Was eben nichts über die Beziehung von Rechtsextremismus zur Kirche aussagt, sondern nur den mittlerweile sehr niedrigen Grad an Kirchenmitgliedschaften im Osten widerspiegelt.

Und da rückt ein ganz anderer Faktor ins Bild, nämlich das, was die Forscher als Gottesdienstbesuch und kirchliche Aktivitäten bezeichnen: Wer aktiv am Kirchenleben teilnimmt, hat ein völlig anderes Beziehungsgeflecht, bringt sich stärker in die Gemeinschaft ein und kapselt sich nicht in seinem Menschenhass ein. Kirchgemeinden tragen im Westen heute noch viele dieser gemeinschafts- und sinnstiftenden Tätigkeiten.

Wahrscheinlich würde man diesen Zusammenhang auch bei anderen gesellschaftlichen Tätigkeiten finden, bei denen Menschen aktiv werden und sich für ihre Gemeinde/Gemeinschaft einsetzen. Denn wer sich einbringt und immer wieder auch mit den anderen Menschen aus seiner Gemeinde zusammenkommt, neigt deutlich weniger zu Verschwörungsphantasien welcher Art auch immer. Und das nicht, weil er an Gott glaubt, sondern weil er in Übung bleibt, mit völlig unterschiedlichen Menschen an einer gemeinsamen Sache zu arbeiten.

Aber um das zu sehen, war die Fragestellung der Studie zu sehr auf Glaube-Aberglaube fokussiert.

Was schon verblüfft, denn spätestens seit der Debatte um den Klimawandel müsste auch den Soziologen klar sein, dass Verschwörungstheoretiker nicht die Kirche angreifen, sondern das wissenschaftliche Denken und den Zusammenhalt der menschlichen Gemeinschaft.

Tatsächlich zeigt die Studie also etwas völlig anderes: Dass Menschen, deren gesellschaftliche Verbindungen gestört bzw. zerstört sind, anfällig werden für rechtsextremistische Einstellungen.

Falsche Manns-Bilder, gestörte Nähe und Konfliktunfähigkeit im Korsett

Falsche Manns-Bilder, gestörte Nähe und Konfliktunfähigkeit im Korsett

Hinweis der Redaktion in eigener Sache (Stand 24. Januar 2020): Eine steigende Zahl von Artikeln auf unserer L-IZ.de ist leider nicht mehr für alle Leser frei verfügbar. Trotz der hohen Relevanz vieler Artikel, Interviews und Betrachtungen in unserem „Leserclub“ (also durch eine Paywall geschützt) können wir diese leider nicht allen online zugänglich machen. Doch eben das ist unser Ziel.

Trotz aller Bemühungen seit nun 15 Jahren und seit 2015 verstärkt haben sich im Rahmen der „Freikäufer“-Kampagne der L-IZ.de nicht genügend Abonnenten gefunden, welche lokalen/regionalen Journalismus und somit auch diese aufwendig vor Ort und meist bei Privatpersonen, Angehörigen, Vereinen, Behörden und in Rechtstexten sowie Statistiken recherchierten Geschichten finanziell unterstützen und ein Freikäufer-Abonnement abschließen (zur Abonnentenseite).

Wir bitten demnach darum, uns weiterhin bei der Aufrechterhaltung und den Ausbau unserer Arbeit zu unterstützen.

Vielen Dank dafür und in der Hoffnung, dass unser Modell, bei Erreichen von 1.500 Abonnenten oder Abonnentenvereinigungen (ein Zugang/Login ist von mehreren Menschen nutzbar) zu 99 Euro jährlich (8,25 Euro im Monat) allen Lesern frei verfügbare Texte zu präsentieren, aufgehen wird. Von diesem Ziel trennen uns aktuell 350 Abonnenten.

Alle Artikel & Erklärungen zur Aktion Freikäufer“

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar