Für FreikäuferLEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 72, ab 25. Oktober 2019 im HandelDas Reiseland Georgien wird immer populärer. Stefan Otto reist schon seit 2004 jährlich in den Kaukasus für einen ganz speziellen Urlaub. Der Biologe erforscht die Spinnenvielfalt in diesem Land am kaspischen Meer. Er hat dafür allerdings keine Forschungsstelle, er ist ehrenamtlich tätig, hat mittlerweile selbst mehre Arten entdeckt, ein georgisches Spinnenbuch übersetzt und eine Internetseite zu kaukasischen Spinnen aufgebaut. Sein wissenschaftliches Netzwerk reicht mittlerweile bis nach Sibirien und ins georgische Umweltministerium.
Herr Otto, woher kommt diese Faszination für Spinnen?
Ich hab als Kind schon Spinnen gefüttert und beobachtet. Wir hatten einen Kleingarten und da hab ich Fliegen ins Kreuzspinnennetz geworfen und hab geguckt, wie die Spinne die eingewickelt hat.
Und deswegen haben Sie dann auch Biologie studiert?
Ich hab Abitur gemacht und dann wollte ich irgendwas mit Umweltschutz,Ökologie machen. Ich ging zur Beratung hier an der Uni, da war Biologie das Naheliegendste. Aber eigentlich hatte ich da gar nicht mehr groß an Spinnen gedacht. Wir mussten im Studium eine Tier- oder Pflanzensammlung machen, um die Grundlagen des Sammelns als Biologe zu lernen. Das habe ich dann mit Spinnen gemacht. Da hab ich mir sofort ein Spinnenbuch gekauft und ab da war ich nicht mehr zu stoppen, bis heute.
Und wieviel Zeit verbringen Sie pro Woche mit Spinnen?Kann man das so bemessen? Haben Sie immer Donnerstag Spinnentag?
Das kann man so nicht sagen. Wenns gut läuft mach ich am Abend noch zwei Stunden was, aber es gibt auch mal eine Woche, wo ich gar nichts mache. Wenn ich von Arbeit komme, ist erst einmal ein bisschen Erholung angesagt und dann ist die Frage: Geh ich zum Training heute oder schlafe ich eine Runde oder hab ich irgendwas anderes noch zu tun oder mach ich noch irgendwas weiter.
Und warum jetzt eigentlich ausgerechnet Georgien und kaukasische Spinnen?
Bis 2004 hab ich Biologie studiert und hatte einen Bekannten an derUni in Jena, der hat mit seinen Studenten 2004 eine Exkursion nach Georgien gemacht. Ich habe die Gruppe begleitet nachdem ich ich erst mal im Atlas geguckt habe, wo Georgien und der Kaukasus eigentlich liegen. Ich dachte nicht, dass es dort etwas zu erforschen gibt. Ich dachte, die Sowjetunion mit ihren 5-Jahres-Forschungsplänen, die haben schon alles erforscht, die wissen was die für Tiere im Land haben oder in ihren Ländern, aber dann sind dort zwei Dinge passiert.
Das eine war, dass ich eine Spinne gefunden hab, das war eine relativ große, die lief dort einfach so im Gebirge über den Weg. Ich meinte sie zu erkennen. Und das andere war, dass ich mir in Tblissi im Antiquariat ein Spinnenbuch auf Georgisch gekauft habe.
Können Sie Georgisch mittlerweile lesen?
Mittlerweile ja, ich hab das Buch übersetzt. Und dann hab ich die Spinne ins Museum zu meinem Freund geschickt und da schreibt er mir zurück: „Stefan, das ist die nicht, die du dachtest. Das ist eine, die gibts in Europa nicht, die gibt’s eigentlich nur in Kirgisistan und Georgien ist 4.000 Kilometer weiter westlich. Es ist dort der Fund, das müssen wir unbedingt veröffentlichen“, sagte er.
Eigentlich ist es jetzt nicht so ein Ding, einen Spinnenfund zu publizieren. Aber dafür dass das so eine große auffällige Spinne ist, die eigentlich auch in Menschennähe wohnt, dachte ich: Kann nicht sein, so eine große Spinnen gefunden und die hat noch nie vorher jemand dort gefunden. Das hat mich so verblüfft. Und dann hab ich halt angefangen.
Einfach so ins Blaue hinein?
Es gab schon eine Zahl in der Literatur, wie viele Spinnenarten es im Kaukasus gibt. Mithilfe verschiedener Publikationen habe ich dann in einer Datenbank zusammengetragen, welche Arten es schon geben müsste. Manches hatte sich auch wiederholt, manches nicht, und da war meine Liste relativ schnell länger als die offizielle Zahl. Da dachte ich mir: Ich hab hier mal eine Woche oder zwei Literatur gesammelt und die Arten hintereinandergeschrieben und dann bin ich schon bei 50 Arten mehr als in der Liste, die offiziell gilt.
Das ist komisch. Und dann hab ich einfach weitergesammelt. Mittlerweile habe ich schon über 200 Publikationen ausgewertet und da ist offizielle die Liste über 1.100 irgendwas Arten länger geworden. Ich hab sie jetzt als Datenbank im Internet. Für jede einzelne Art findet man dort die einzelnen Fundpunkte samt interaktiver Karte.
Da musste ich von jedem Ort die geografischen Koordinaten raussuchen, was auch nicht immer so einfach war, zumal es dort auch Orte gibt wie bei uns Chemnitz, das zwischendurch dann mal Karl-Marx-Stadt hieß und dann wieder Chemnitz, wo manchmal Orte auch wieder umbenannt wurden, wo ich irgendwann mal auf Wikipedia gelesen hab bis1960 hieß der Ort soundso.
Aber es ist doch jetzt eigentlich bitter, sie haben keine Forschungsstelle dafür und leisten so einen großen Beitrag, wenn ich das richtig verstanden habe. Ihr Beitrag ist ja jetzt nicht gerade gering.
Natürlich wär ein Lottogewinn schöner als kein Lottogewinn, aber es gibt halt nicht so viele Stellen. Das ist ja zum Beispiel noch mal ein Unterschied zu ehrenamtlichen Forschern. Forschung bedeutet ja oft, etwas ganz Neues zu entdecken: Ein ganz neues Prinzip, in der Physik zum Beispiel oder in der Geschichte eine ganz neue Quelle, eine neue Methode etablierst. Dafür bekommt man auch Stellen an der Uni.
Spinnen sammeln als Methode ist bekannt, Spinnen im Mikroskop angucken und vermessen und zeichnen, das sind alles bekannte Methoden, aber einfach rauszugehen und zu sagen, wir haben noch nicht alle gefunden eher nicht. Jedes Mal, wenn ich nach Georgien fahre, bringe ich Tiere mit, die ich in keinem Buch finde, aus dem tropischen Regenwald noch schlimmer, das ist fast all neu dann.
Wenn du irgendwo in Borneo bist oder so und Käfer mitbringst, 90 Prozent der Tiere, die du mithast, hat noch nie einer vorher gesehen irgendwo und man fragt sich, wo kommt diese ganze Artenvielfalt her. Und eigentlich kannst du natürlich sagen, das ist Wissenschaft, das ist neu, die Arten kennt noch keiner.
Aber andere sagen, naja gut, haben wir noch drei Käferarten neu oder noch 30 oder 300, das ist ganz schön, aber deshalb wird jetzt kein Institut aufgemacht, wo du ein Arbeitszimmer einrichtest mit Mikroskop und Leute dransetzt und sagst, wir fahren jetzt so lange in die Länder und sammeln, bis wir wirklich nichts neues mehr finden, bis sich alles wiederholt.
Es wird immer behauptet, es gäbe so eine große Artenvielfalt auf der Welt. Dabei kennt die Wissenschaft sie selbst nicht im Detail…
Man kann sich auch fragen, warum wir das nicht wissen, aber auf andere Planeten fliegen und sagen, wir wissen noch nicht mal, was wir auf unserem Planeten haben. Und machens kaputt gleichzeitig, das ist ja das Tragische noch dabei.
Nun haben Sie Ihre Sammlung hier zu Hause. Was machen Sie damit?
Ich schreib wissenschaftliche Artikel für Georgien, Listen für Nationalparks, wo Untersuchungen durchgeführt wurden. Die haben dort mit bestimmten Insektenfallen Bienen gesammelt, da sind aber auch die Spinnen reingelaufen. Und damit die die toten Spinnen nicht einfach nur wegschmeißen, werden sie mir geschickt. Ich bestimme die und dann kann ich sagen, so und soviele Spinnenarten habt ihr – ich sag mal 30 – für den Nationalpark noch dazu zu den bekannten.
Wieviele Spinnen haben Sie entdeckt?
Zwei Arten haben wir beschrieben und von zwei oder drei habe ich erstmals das unbekannte Geschlecht gefunden. Du hast immer Männchen und Weibchen, und manchmal wurde bisher nur das Männchen oder nur das Weibchen beschrieben. Da fragt man natürlich erst mal Kollegen und schickt E-Mails nach Moskau oder nach Sybirien, wo dann Kollegen sitzen die sich auch auskennen.
Woher wissen Sie, dass das die Spezialisten sind?
Man kennt die eigentlich. Es gibt ja jetzt eine gewisse Anzahl von Spinnenfamilien, da weiß ich halt, Baldachinspinnen, da sitzt ein Kollege in Moskau, bei den Sackspinnen auch, bei irgendwelchen Riesenkrabbenspinnen der sitzt in Frankfurt am Main im Senckenbergmuseum, und da hast du deine Leute einfach wo du weißt, die schreibste an.
Was ist denn das faszinierende an einer Spinne? Das Image der Spinne an sich ist ja so wie von nem Banker vielleicht, eher negativ.
Keine Ahnung, kann ich nichts zu sagen. Wenn ich eine Spinne sehe guck ich hin und frag mich, was das ist.
Wahrscheinlich eine kindliche Prägung auch.
Ja, die Spinnen die ich früher gefüttert hab.
Ist einfach so drin, quasi.
Vielleicht hätte es auch was anderes sein können, irgendwelche Käfer. Es ist einfach ein stückweit dieWelt verstehen. Das hat auch was kriminalistisches, du hast was gefunden in der Natur und findest es komisch, in Büchern ist nicht zu finden, was es ist. Dann fährst du in einen Wald, bringst ein paar Spinnen mit, legst die unter das Mikroskop und von den 100 findest du halt 97 in einem Buch. Und dann sind drei drin, die sind in den Büchern nicht drin. Das ist auch ein schönes Gefühl, da was neues zu entdecken.
Wie so eine kleine Sucht kann man sagen.
Kann man sagen. Ein Ameisenforscher hat auch mal gesagt: Wie kannst du das psychologisch erklären, dass du dich ins Flugzeug setzt, in irgendein tropisches Land fliegst, wo andere in den Urlaub hinfliegen und dann mietest du dir ein Auto, fährst ins Gebirge hoch, gehst in den Wald. Du schwitzt, du leidest, du frierst, du wirst durchnässt vom Regen, der körperliche Aufwand ist enorm.
Wir sind mit dem 25-Kilo-Rucksack drei Wochen in Georgien unterwegs gewesen. Das ganze Spinnensammelzeug hatten wir mit. Und dann hast du was gefunden, packst es ein, machst mühsam Etiketten dran, schreibst abends noch müde dein Tagebuch im Zelt. Und wenn du dann fertig bist fährst du mit dem Mietwagen oder mit dem Bus wieder zum Flughafen zurück, bist total glücklich, fliegst wieder nach Hause und dann hast du 3 Jahre zu tun, dir das alles anzugucken und zu vergleichen und zu beschreiben.
Das beschreiben die Naturforscher ja schon seit Jahrhunderten, Humboldt, Darwin. Es ist auch für mich zunehmend wichtig wenn ich irgendwo hinfliege, dass das ein bisschen einen höheren Sinn hat. Im Studium wollte ich immer nur wissen welche Spinnen das sind. Da wars für mich das tollste, da so nen Namen dranzukleben. Das find ich jetzt immer noch schön, aber jetzt find ichs mittlerweile schön, einen Artikel zu schreiben, das Buch übersetzt zu haben. Das laden auch viele runter.
Ich hab jetzt die Zahlen nicht drin, aber das ist über unsere Spinnengesellschaft veröffentlicht und das ist dort die Publikation, die am meisten runtergeladen wurde. Ich kenne mittlerweile Leute im Umweltministerium Georgiens und die sagen, das ist toll dass du das machst und die fragen dann immer nach und nutzen die Datenbank auch.
Was definiert die Spinne im Vergleich zu anderen?
Acht Beine, zwei Körperteile. Am Vorderkörper sind acht Beine dran, du hast die Spinnenwarzen hinten und vorne als Mundwerkzeuge diese beiden Giftklauen. Das ist so das, womit man auf den ersten Blick die Spinne erkennt. Nahe Verwandte, andere Spinnentiere sind die Weberknechte.
Die unterscheidet man von einer Spinne, weil der Weberknecht nur einen Körper hat an dem die Beine dransitzen, der hat keine Spinnenwarzen, der macht kein Netz.
Weberknecht, wo man landläufig “Ganker” zu sagt?
Genau, sehr lange Beine. Da gibt’s auch ähnliche Spinnen wie die Zitterspinne in der Wohnung, die so unter der Decke lebt, die ganz schnell wackelt. Da sagen manche auch Ganker dazu, aber wenn du genau hinguckst, siehst du zwei Körperteile: Vorderkörper und Hinterleib und diese Spinne ist in einem Netz. Dann kanns kein Weberknecht sein.
Man sagt ja, Menschen die Spinnen bei sich zu Hause haben – also nicht im Terrarium, sondern in den Ecken – sind sehr reinliche Leute, weil Spinnen nur dahin kommen, wo es ordentlich ist. Ist da was dran?
Nö, in unaufgeräumten Schuppen gibt’s auch viele Spinnen.
Aber solang der Schuppen mit den Spinnen nicht in Georgien steht ist er für Sie nicht interessant?
Prinzipiell schon, aber ich weiß genau, wenn ich die Spinne jetzt mitnehme, muss ich ein Etikett dranmachen, ich muss die Koordinaten dann ordentlich in mein Tagebuch schreiben undsoweiter. Wenn ich die schon getötet habe, spüre ich auch ein bisschen die Verantwortung, die auch wissenschaftlich zu bearbeiten, dann muss ich die zu Hause unters Mikroskop legen, die Internetseite aufmachen für die Bestimmung, mit meinen Büchern arbeiten undsoweiter.
Das ist alles ein Arbeitsaufwand, den ich eigentlich nicht so ganz gern mache, aber das gehört halt dazu, dann kann man das alles nachvollziehen.
Und für die georgischen mach ich das auch gerne, da brauch ich das ja auch immer wieder, wenn ich die Artikel schreibe. Aber mir die Arbeit zu machen jetzt für jede Spinne, die mir in Deutschland über den Weg läuft, da hab ich dann vielleicht an dem Tag auch was anderes zu tun.
Ist Georgien so anders gegenüber Deutschland, wenn es um die Spinnenarten geht?
Ich hab die Überlappung jetzt nicht ausgerechnet, aber vielleicht 70% der Spinnen, die ich in Georgien finde, die gibt’s auch in Deutschland. Wenn du dort langläufst und dir Spinnen anguckst und schon mal in Deutschland bewusst welche angeguckt hast, erkennst du auch vieles wieder. Die Kreuzspinne findest du am Wegrand und irgendwelche kleinen Wolfsspinnen, die da rumlaufen. Da sind dann vielleicht auch andere Arten, aber es gibt da auch Arten, die es auch bei uns gibt.
Das ist vielleicht auch etwas, warum ich Georgien gerne mache, sodass ich dort nicht ganz so verloren bin wie im tropischen Regenwald. Da wäre ja wirklich alles neu, da kannste dich neu einarbeiten, aber findest halt auch keine Art, die es irgendwie hier gibt, die du von hier kennst und Georgien ist halt irgendwie so eine Mischung. Da hast du die, die ich von hier kenne, dann kommen dazu noch die aus dem Mittelmeerraum, dass du da eben auch mal ne schwarze Witwe hast oder irgendwelche anderen, die mehr so in den heißeren Gebieten vorkommen.
Viele schöne Springspinnen gibt’s da, die sehr schön aussehen und so umherhüpfen. Die gibt’s dann da auch in großer Zahl, in großer Vielfalt. Dann kommen so ein paar asiatische Arten dazu und dann kommen noch die genuinen kaukasischen Spinnen dazu.
Im Kaukasusraum gab es viele Gebiete, die während der Eiszeit nicht vom Eisschild bedeckt waren, sondern von den warmen Winden vom schwarzen Meer her immer eisfrei waren. Die Wälder, die es heute dort gibt, sind immer noch Überbleibsel von damals, und dadurch gibt es dort auch noch ein paar Vogelspinnenarten.
Dr. Kai Nowak über Elterntaxis: „In der BRD starben 1970 rund 21.000 Menschen im Straßenverkehr“
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