LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 72, ab 25. Oktober 2019 im HandelDoktor Falk Harnisch ist erst 37 Jahre jung und seit wenigen Tagen bereits Professor an der Universität Leipzig. Der passionierte Läufer ist Forscher in der Elektrobiotechnologie und drauf und dran, mit seinem Team und internationalen Wissenschaftlern Exkrementen, Abfall und CO2 einen höheren Sinn zu geben. Wenn es gut läuft, wird aus diesen Stoffen in zehn Jahren Flugbenzin gewonnen und der Energieverbrauch in Deutschland deutlich gesenkt. Noch gibt es aber einiges zu tun.
Herr Prof. Dr. Harnisch, seit 2012 arbeiten Sie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) im Bereich der Elektrobiotechnologie. Können Sie Ihre komplexe Forschungstätigkeit auf Leserniveau beschreiben?
Wenn wir durch die Felder fahren, sehen wir Windräder und Biogasanlagen. Beide machen Strom, den man ins Netz einspeisen und beispielsweise im Haushalt verbrauchen kann. Weil der Wind nicht immer weht oder die Biogasanlage nicht immer „gefüttert“ werden kann, gibt es eine zeitliche Schwankung der Stromproduktion.
Hinzu kommt dann noch eine zeitliche Verschiebung von Produktion und Verbrauch. Zu dieser zeitlichen Komponente kommt noch eine örtliche. Um beim Beispiel Windenergie zu bleiben, gibt es Gebiete wie Norddeutschland, wo traditionell viel Wind weht. Gleichzeitig ist unsere Infrastruktur und Industrielandschaft so gewachsen, dass industrielle Stromverbraucher eher im Süden sitzen. Es gibt also eine zeitliche Fluktuation und räumlich unterschiedliche Verteilungen des Stromverbrauchs.
Man kann den Strom in Batterien speichern oder diese elektrische Energie nutzbar machen, um nachhaltige Wertstoffe zu produzieren. Dies wird unter dem Schlagwort „Power-to-X“ zusammengefasst.
In der Elektrobiotechnologie nutzen wir Mikroorganismen, um mithilfe der elektrischen Energie Wertstoffe herzustellen. Die Verwendung von Mikroorganismen hat gegenüber anderen Verfahren den Vorteil, dass wir auch nachhaltige Ausgangsstoffe wie Abfall, Abwasser und CO2 nutzbar machen können.
In Kurzform ist das Ziel meiner Arbeiten: Abfallstoffe und elektrische Energie zu verwenden, um Grundstoffe für die chemische Industrie und grüne Kraftstoffe herzustellen.
Wie kommt man auf diese Idee?
Lassen sie mich dies über einen kleinen Exkurs erklären. In der Kläranlage gibt es Belebtschlammbecken, die die ganze Zeit mit Luft durchblubbert werden. Darin sind Mikroorganismen enthalten, die das Abwasser reinigen. Um das zu ermöglichen, muss Sauerstoff aus der Luft zugeführt werden.
Dafür braucht man relativ viel elektrische Energie, konkret ca. 0,3 kWh pro Kubikmeter Abwasser. Mit Hilfe der Elektrobiotechnologie kann ich es zukünftig so gestalten, dass ich diesen Sauerstoff nicht mehr unter Energieverbrauch zuführen muss und gleichzeitig elektrische Energie gewinne. Dies wird durch die Verbindung von Elektrochemie und Mikrobiologie erreicht, und ohne auf die Details einzugehen – entscheidend ist: Wir sparen Energie.
Die potentielle Einsparung ist dabei erheblich. Ungefähr zwei Prozent des gesamten US-amerikanischen Stromverbrauchs ist nötig, um Abwasser zu reinigen. Und es werden zehn Prozent des kommunalen Stromverbrauchs in Deutschland für Kläranlagen genutzt. Diese Energie kann man mit elektrobiotechnologischen Verfahren einsparen.
Da ich mittels elektrobiotechnologischer Verfahren bei der Abwasserreinigung nicht nur elektrische Energie einsparen, sondern sogar in geringem Maße gewinnen kann, ließe sich die Abwasserreinigung noch mit der Gewinnung von Wertstoffen und Energieträgern – z. B. Wasserstoff – koppeln.
Das klingt ziemlich spannend vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte zu Umweltschutz und Energiewende. Woran hängt es, dass diese Verfahren noch nicht flächendeckend eingesetzt werden?
Das Grundphänomen wurde sogar bereits 1911 beschrieben, geriet aber in Vergessenheit. Die NASA hat es in den 1950er und 1960er Jahren aufgegriffen und versucht, aus Urin und Fäkalien Strom für die Raumschiffe zu erzeugen. Weil die Sonnensegel aber wesentlich besser waren, wurde auch diese Forschung wieder eingestellt.
Seit 2002/2003 erlebt das Forschungsfeld, welches jetzt als Elektrobiotechnologie bezeichnet werden kann, einen weltweiten massiven Aufschwung. In Deutschland gibt es schon erste Pilotanlagen für Abwasserklärung, unter anderem in Projekten der TU Braunschweig und TU Clausthal in Niedersachsen.
Die Umkehrung des Abbauprozesses, also die elektrobiotechnologische Synthese mithilfe von Mikroorganismen, ist seit 2010 im Fokus. Dabei erfährt diese ständig mehr Aufmerksamkeit und es werden vielfältige Konzepte und Produkte untersucht. Auch hier schreitet die Entwicklung weltweit mit Riesenschritten voran.
Wie ist der aktuelle Stand?
Wir sind noch nicht da, um 10 oder 100 Liter-Verfahren durchzuführen, aber auf dem Weg dahin. Beispielsweise arbeiten wir in Leipzig zusammen mit Kollegen der Universität Tübingen in einem Projekt namens MolkeKraft zusammen. In Deutschland fallen ca. 14 Millionen Tonnen Molkereiabwässer pro Jahr an. Davon sind ca. 4 Millionen Tonnen Sauermolke, welche nicht oder nur sehr eingeschränkt genutzt werden kann. Bisher benötigt man viel Energie um Molkerei-Abwasser zu klären.
In MolkeKraft arbeiten wir an einem Verfahren, aus diesen Abwässern im ersten Schritt organische Säuren und im zweiten Schritt Flugbenzin herzustellen. Das haben wir im Litermaßstab bereits geschafft und jetzt wollen wir es mit den Kollegen aus Tübingen auf einen 100 Liter-Maßstab hochskalieren.
Sie haben in Ihrem Team viele Experten aus verschiedenen Wissenschaftszweigen um Sie herum. Inwieweit ist die Kommunikation ein Problem, wenn Sie sich austauschen?
Das ist eine gute Frage, die viel zu selten gestellt wird. Man denkt immer, die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen verstehen sich alle sofort, aber nein. Die Sprache der einzelnen Disziplinen ist dabei für diese spezifisch. Wenn ich als Biochemiker mit einer Ingenieurin rede, ist die Kommunikation möglicherweise nicht eindeutig, weil dasselbe Wort für einen eine andere Bedeutung hat bzw. anders konnotiert ist.
Wie muss man sich das in der Praxis vorstellen?
Lassen Sie mich dies an einem prägenden Erlebnis aus meiner Promotionszeit illustrieren. Ich hatte während der Promotion mit einem befreundeten Physiker eine Teilarbeit erstellt. Abends beim Bier haben wir uns immer gut verstanden, aber als wir wissenschaftlich zusammengearbeitet haben, haben wir nach einem halben Jahr feststellen müssen, dass wir mit einer Begrifflichkeit etwas Unterschiedliches meinten.
Die Teilarbeit, die wir gemacht haben, mussten wir dann nach einem halben Jahr noch mal komplett neu aufrollen. Daraus habe ich natürlich gelernt und versuche nun, diese Transformationsleistungen zwischen den Fachdisziplinen frühzeitig zu ermöglichen.
Die Kommunikation in einem nicht nur internationalen sondern auch interdisziplinären Team mit einem Informationsaustausch zu versehen, ist meiner Ansicht nach neben dem inhaltlichen Arbeiten essentiell für den Erfolg. In unserem Team ist das ein dauerhafter Prozess, auch wenn man sich zum Teil Jahre kennt.
Ein Forschungsteam verändert sich ständig und es kommen neue Kolleginnen und Kollegen mit eigenen oft bereichernden fachlichen und persönlichen Hintergründen hinzu und andere verlassen uns. Wenn Doktorarbeiten nach drei bis vier Jahren beendet werden, ist es in der Wissenschaft nur natürlich, dass die frisch Promovierten die Arbeitsgruppe verlassen.
Mitte Oktober haben Sie eine W3-Professur an der Uni Leipzig angetreten und sind aber auch noch am Helmholtz-Zentrum tätig. Inwiefern ändert sich nun jetzt etwas für Sie, für Ihr Team und für Ihre Forschungsarbeit? Und was bedeutet W3 überhaupt?
W3 ist die Besoldungsgruppe. Früher gab es C3, C4-Stellen. Sie unterscheiden sich hinsichtlich der Ausstattung und Reputation. Aber das sind nur Beschreibungen. Für mich definieren sich dadurch keine Unterschiede zwischen den wissenschaftlichen Leistungen von Kolleginnen und Kollegen.
Für mich bedeutet die Berufung, dass ich eine langfristige Planungssicherheit habe und eine klare Perspektive für 30 Jahre und mehr. Ich will dies nutzen, um in Leipzig einen Schwerpunkt für die Elektrobiotechnologie und nachhaltige (Bio)Chemie mit aufzubauen.
Wenn ich auf einem niedrigeren akademischen Level wäre, wäre die Wahrscheinlichkeit größer, früher oder später gezwungen zu sein woanders zu forschen. Dies ist durch die Berufung unwahrscheinlicher geworden.
Das zweite ist, dass ich in meiner bisherigen Stelle als Privatdozent nicht vollkommen eigenständig Doktoranden und Doktorandinnen betreuen konnte. Als Professor kann ich jetzt meine Doktorandinnen und Doktoranden selbst zur Promotion führen. Das „Doktorkinder“-Doktorvater-Verhältnis ist dadurch jetzt noch fester.
Des Weiteren kann ich nun auch langfristig eigenständig Studierende ausbilden, und so für dieses wichtige Thema begeistern und fit für die Zukunft machen. Zudem hat auch das Team eine bessere Planungssicherheit, weil ich durch die Zuweisung von Stellen sichere Möglichkeiten für meine Mitarbeitenden habe und das Thema langfristig auf der Forschungsagenda des UFZ steht.
Aber wie kann es sein, dass Sie an der Uni Leipzig und am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung gleichzeitig sind?
Das funktioniert nach dem sogenannten Jülicher Modell. Ich wurde vom Freistaat Sachsen an die Universität Leipzig berufen und werde mit der Vertragsunterschrift von der Universität wieder beurlaubt um ans UFZ zurückzukehren, um dort meine Forschungsleistung zu erbringen.
Gleichzeitig habe ich alle Rechte und Pflichten eines Professors der Universität Leipzig, wenngleich mit weniger Lehrverpflichtungen.
Wo sehen Sie das Forschungsfeld der Elektrobiotechnologie in zehn Jahren? Was wird im Alltag für die Menschheit greifbar sein?
Um bei dem Beispiel von vorhin zu bleiben, werden die Menschen Kunststoff und Kraftstoff nutzen, die mithilfe eines elektrobiotechnologischen Verfahrens der Kollegen hier oder weltweit hergestellt wurden. Wenn wir das schaffen, dann können wir sehr, sehr zufrieden sein.
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