Die meisten Menschen wissen es nicht. Sie fallen auf Werbebotschaften herein oder laufen wilden politischen Hasardeuren hinterher. Und das bloß, weil ihre Phantasie angefixt wurde, weil ihnen die die Botschaft der Verführer präsentiert wurde wie eine herrliche Erinnerung. Sie rührt ans Herz, an unsere besten Gefühle. Wie das funktioniert, zeigen jetzt Forscher des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften. Unser Gehirn ist nämlich verführbar.

Sie haben es auf eine ganz einfache, fast liebevolle Art gezeigt. Denn natürlich passiert das in unserem Leben tausende von Malen. In besonderen Gehirnarealen werden eigentlich belanglose Orte, Dinge, Ereignisse mit Gefühlen verknüpft. Gefühle machen solche Erinnerungen erst stark und präsent. Wenn wir uns erinnern, lodern die verknüpften Emotionen gleich mit auf.

Und je stärker die positiven Gefühle sind, umso positiver erinnern wir auch einen Ort.

Und so steigt das Institut erst einmal in unsere ganz normalen Erinnerungswelten hinab:

Es gibt sie, diese besonderen Orte im Leben, mit denen uns plötzlich etwas verbindet – zum Beispiel die unscheinbare Straßenecke, wo man zum ersten Mal geküsst wurde. Vorher haben wir diese Orte nicht einmal bemerkt, aber durch besondere Erlebnisse mit geliebten Menschen überträgt das Gehirn positive Emotionen auf sie. Somit verändert sich unsere Einstellung gegenüber den Orten – sie werden für uns besonders wertvoll. Unsere Einstellungen lassen sich aber nicht nur durch tatsächlich Erlebtes beeinflussen. Reine Vorstellungen von solchen Ereignissen können erstaunlicherweise eine ganz ähnliche Wirkung ausüben.

Und da wird es spannend. Denn hier lernt man, wie sich Dinge, Orte, selbst Kampagnen mit Emotionen aufladen lassen, die ganz tief in unsere Erinnerung hineingreifen.

Roland Benoit und Philipp Paulus haben es gemeinsam mit Daniel Schacter von der Harvard University nun in einer Studie gezeigt. Genauer gesagt, geschieht dieses Phänomen in einem Teil unseres Gehirns, dem ventromedialen präfrontalen Kortex. Dort werden Informationen über unsere Umwelt gebündelt und bewertet, wie die Forscher in der Zeitschrift „Nature Communications“ schreiben.

Dazu haben sie mehrere Studienteilnehmer gewonnen. Die sollten zunächst Personen benennen, die sie sehr stark mögen, und außerdem welche, die sie überhaupt nicht mögen. Zusätzlich wurden sie nach Orten gefragt, die sie eher als neutral einschätzen. Als die Probanden später im MRT-Scanner lagen, stellten sie sich lebhaft vor, wie sie mit einer von ihnen sehr gemochten Person an einem dieser neutralen Orte Zeit verbringen. In ihrer Vorstellung sollten sie außerdem mit der gemochten Person interagieren.

„Ich könnte mir also vorstellen, wie ich mit meiner Tochter im Fahrstuhl unseres Instituts bin und sie wild auf alle Knöpfe drückt. Dann fahren wir nach ganz oben, wo ich aussteigen würde, um ihr die Terrasse zu zeigen“, beschreibt Erstautor Roland Benoit, der die Forschungsgruppe „Adaptives Gedächtnis“ leitet.

Nach dem Scannen konnte er gemeinsam mit seinen Kollegen durch erneute Tests herausfinden, dass sich die Einstellung der Studienteilnehmer gegenüber den Orten verändert hatte: Sie mochten die vorher neutral bewerteten Orte lieber als am Anfang. Die positiven Emotionen, die sie mit geliebten Menschen verbinden, wurden im Gehirn mit eigentlich neutralen Orten verknüpft, haben diese quasi emotional aufgeladen.

Die Autoren beobachteten diesen Effekt zunächst mit Studienteilnehmern in Cambridge und konnten ihn daraufhin in Leipzig erfolgreich erneut aufzeigen.

„Wenn wir also nur in unserer Vorstellung an einem neutralen Ort sind, mit einer Person, die wir sehr mögen, übertragen wir den emotionalen Wert, den diese Person für uns besitzt, auf diesen Ort. Und dabei müssen wir das Ganze nicht einmal in Wirklichkeit erlebt haben“, fasst Mitautor Daniel L. Schacter zusammen.

Wie dieser Mechanismus im Gehirn funktioniert, konnten die Forscher anhand von MRT-Daten aufzeigen. Eine wichtige Rolle spielt dabei eine Region im vorderen Hirnbereich, der ventromediale präfrontale Kortex. Hier werden Informationen etwa über einzelne Personen und Orte unserer Umwelt gespeichert, wie Benoit, Paulus und Schacter annahmen. Diese Gehirnregion bewertet auch, wie wichtig die einzelnen Personen und Orte für uns sind.

„Wir schlagen vor, dass dort Repräsentationen unserer Umwelt gebündelt werden, indem Informationen aus dem ganzen Gehirn zusammenlaufen und zu einem Gesamtbild gefasst werden“, erklärt Benoit. „Zum Beispiel gäbe es dort eine Repräsentation mit Informationen über meine Tochter – wie sie aussieht, wie ihre Stimme klingt, wie sie in bestimmten Situationen reagiert. Die Idee ist nun, dass diese Repräsentationen auch eine Bewertung beinhalten – zum Beispiel, wie wichtig meine Tochter für mich ist und wie sehr ich sie mag.“

Wenn die Probanden etwa an eine Person gedacht haben, die sie lieber mochten als eine andere Person, sahen die Wissenschaftler in dieser Region Anzeichen verstärkter Aktivität. „Wenn ich mir nun meine Tochter im Aufzug vorstelle, wird im ventromedialen präfrontalen Kortex sowohl ihre Repräsentation als auch die des Aufzugs aktiv. Hierdurch kann es zu Verknüpfungen zwischen diesen Repräsentationen kommen – der positive Wert der Person wird somit auf den vorher neutralen Ort übertragen.“

Was ja auch bedeutet: Über diesen Weg sind wir emotional beeinflussbar. Wir können uns auch selbst beeinflussen, indem wir geliebte Menschen mit eher neutralen Erinnerungen verbinden.

Aber passiert dasselbe nicht auch in Werbung und Politik? Sorgen also auch andere Menschen dafür, dass wir positive Emotionen auf Dinge übertragen, die uns eigentlich fremd sind? Funktioniert so Manipulation? Und zwar eine folgenreiche?

Weshalb sich die Neurowissenschaftler mit diesem Phänomen beschäftigen: Sie wollen die einzigartigen Fähigkeiten des Menschen besser verstehen, nur durch Vorstellungskraft Dinge zu erleben und von dem Vorgestellten genauso zu lernen wie durch tatsächlich Erlebtes.

Das könnte auch große Vorteile bei der Entscheidungsfindung bringen oder auch helfen, Risiken zu vermeiden. Die Kraft auch negativer Gedanken zu erforschen, könnte Benoit zufolge der nächste Schritt sein. Denn viele Menschen machen ja auch die gegenteilige Erfahrung: Viele Erinnerungen sind mit negativen Emotionen belegt und machen den Menschen regelrecht bedrückt und hoffnungslos.

„Wir zeigen in unserer Studie, wie reine Vorstellungen dazu führen, dass Dinge positiver bewertet werden. Eine wichtige Frage ist aber auch, welche Folgen dieser Mechanismus etwa für Menschen hat, die sich tendenziell eher negative Vorstellungen von ihrer Zukunft machen“, sagt Benoit. „Menschen, die etwa unter einer Depression leiden, könnten auf diese Weise vielleicht auch eigentlich neutrale Dinge durch die Kraft der negativen Gedanken abwerten und somit für sich ein negatives Bild von der Welt erschaffen.“

Zumindest das zeigt die kleine Studie: Über Emotionen sind wir beeinflussbar. Der Prozess läuft meist völlig unbewusst ab. Und wenn wir seiner bewusst werden, können wir ihn in gewisser Weise wohl auch steuern. Oder werden manipulierbar, wenn wir es nicht mal ahnen. Ein augenscheinlich sehr spannendes Forschungsfeld, das genau jene Schnittstelle beleuchtet, an der unser Interesse an der Welt mit Emotionen verstärkt wird. Emotionen steuern, wie wir die Welt sehen. Nur eine Frage wird immer wichtiger: Wie beeinflussbar sind wir gerade dadurch? Und: Reicht es, sich dessen bewusst zu sein?

Originalpublikation: Roland G. Benoit, Philipp C. Paulus and Daniel L. Schacter: „Forming attitudes via neural activity supporting affective episodic simulations“ in „Nature Communications“ (2019), DOI: 10.1038/s41467-019-09961-w

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