Es gibt schon eine ganze Reihe Leipziger Erklärungen, Manifeste und Agenden. Aber viele haben einen wichtigen Kern und haben mehr als nur eine kurze Medien-Aufmerksamkeit verdient, denn ihre Autoren wissen meist sehr genau, wo die Probleme brennen. So war es bei der „Leipzig Charta“ von 2007, so ist es bei der „Leipziger Erklärung“ von 2018.
Ende April fand am Umweltforschungszentrum (UFZ) in Leipzig der 13. Deutsche Naturschutzrechtstag (DNRT) zum Thema „Naturschutzrecht und Landwirtschaft“ statt. In diesem Rahmen beschloss die Mitgliederversammlung des DNRT e.V. die sogenannte „Leipziger Erklärung“. Darin werden die Bundesregierung und der Bundesgesetzgeber aufgefordert, „im Zusammenwirken mit der Wissenschaft, den Landwirten und den Verbänden ein modernes biodiversitätserhaltendes, klimaschonendes und gewässerschützendes Landwirtschaftsgesetz zu konzipieren, das zusammen mit entsprechenden Gesetzgebungsakten in Frankreich und anderen Mitgliedstaaten der EU richtungsweisend auch für die künftige Agrarförderung in der EU wäre“.
In der Leipziger Erklärung heißt es unter anderem: „Über 50 Prozent der Fläche Deutschlands werden landwirtschaftlich genutzt. Die bisherige Landwirtschaftspolitik der Bundesregierung und deren Umsetzung in den Bundesländern haben zu einem dramatischen Verlust an Biodiversität in der Fläche geführt. Verantwortlich für den Biodiversitätsverlust auf dem Lande sind die Bewirtschaftungsmethoden der industrialisierten Landwirtschaft im Verbund mit der Agrochemie.
Vom Rückgang betroffen sind nicht nur Pflanzen, Wiesenbrüter und Säugetiere, sondern zunehmend und in alarmierendem Ausmaß auch Insekten, die die Grundlage für die Artenvielfalt (und z. B. auch für den Obstanbau) darstellen. Die Probleme der Massentierhaltung und das Beispiel Glyphosat (Herbizide, Biozide) sind allen bekannt und zeigen deutlich, dass ein grundlegender Wandel erforderlich ist.“
Der DNRT e.V. sieht eine wesentliche Ursache für die alarmierenden Umweltprobleme der industrialisierten Landwirtschaft in der Zersplitterung und in den inhaltlichen Defiziten des Agrarumweltrechts. Er fordert ein modernes Landwirtschaftsgesetz, „das Definitionen, Ziele und die Rahmenbedingungen für die künftige Landwirtschaftspolitik in Deutschland festlegt. In diesem Gesetz wären (u. a.) die Mindestanforderungen, also die Betreiberpflichten der landwirtschaftlichen Nutzung festzulegen, die für jede Art von Landwirtschaft (auch) außerhalb der Schutzgebiete gelten sollen, damit Umwelt, Klima und Biodiversität nicht weiter Schaden nehmen“.
Diese Betreiberpflichten sollen dynamisch zu verstehen sein „(wie die Betreiberpflichten im Bundesimmissionsschutzgesetz, die sich am jeweiligen Stand der Technik orientieren und die bislang nicht für die Bodenbearbeitung gelten, sondern einzig für bestimmte emissionsrelevante Anlagen); sie sind im neuen Landwirtschaftsgesetz (oder über entsprechende Ermächtigungen in dazugehörigen Verordnungen) möglichst konkret auszugestalten.
Die Überwachung dieser Vorgaben durch die Landwirtschaftsbehörden ist sicherzustellen. Bei diesen Anforderungen an die landwirtschaftliche Bodennutzung sind klare, nachprüfbare Ober- und Untergrenzen festzulegen. Das bezieht sich nicht nur auf die Verwendung von Gülle, anderen Düngemitteln oder Pflanzenschutzmitteln, sondern z. B. auch auf den Erosionsschutz, die Erhaltung von Grünland und die natürliche Ausstattung der Nutzflächen.
Hierbei handelt es sich um Ordnungsrecht, das ohne Ausgleichszahlungen von allen Betrieben zwingend einzuhalten und bei Nichteinhaltung mit Sanktionsmöglichkeiten auszustatten ist. Die bestehenden Gesetze und Verordnungen (Düngegesetz, neue Düngeverordnung 2017, Vorschriften zur ‚Stoffstrombilanz‘) sind in dieses neue System des Landwirtschaftsrechts zu integrieren. Soweit sie schon brauchbare Ansätze aufweisen, sind diese auszubauen. Die Betreiberpflichten sollen die weitgehend unwirksame ‚gute fachliche Praxis‘ (GfP) aus dem Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) und dem Bundesbodenschutzgesetz (BBodSchG) ablösen.“
Und weiter heißt es in der ‚Leipziger Erklärung‘: „Im neuen Landwirtschaftsgesetz sollte auch geregelt werden, welche besonderen Formen der Landwirtschaft wegen ihres Nutzens für das Gemeinwohl dem Grunde nach förderungsfähig sind und welche (wegen ihrer schädlichen externen Effekte) gerade nicht. Besondere Formen der Landwirtschaft wie der ökologische Landbau, die Imkerei, Schäferei oder die Mutterkuhhaltung und andere Formen der Weidetierhaltung sollen eine rechtliche und wirtschaftliche Absicherung erhalten.
Alternative Formen der Landwirtschaft sind ausdrücklich zuzulassen. Dazu gehören auch klein- und großflächige Landschaftspflegemaßnahmen, die Schaffung und Wiederherstellung vernetzter Biotopstrukturen, die nicht (oder nur am Rande) der Lebensmittel- oder Futtermittelerzeugung dienen, sondern in erster Linie dem Naturgenuss und der Bereicherung der Erlebniswelt gerade auch von Kindern und Jugendlichen.“
Prof. Dr. Wolfgang Köck vom UFZ, der den 13. Deutschen Naturschutztag nach Leipzig geholt und die Konferenz wissenschaftlich geleitet hat, erläutert: „Die Landwirtschaft ist in vielerlei Hinsicht umweltrechtlich privilegiert. Umweltrechtlich Einfluss genommen wurde bislang in hohem Maße über das Direktzahlungssystem der EU bzw. über Förderungen sogenannter ‚Agrarumweltprogramme‘. Es wird Zeit, das Agrarumweltrecht ordnungspolitisch auf die Füße zu stellen, d.h. vollziehbare umweltbezogene Grundpflichten für die landwirtschaftliche Bodenbearbeitung zu etablieren.“
Prof. Dr. Detlef Czybulka von der Universität Rostock, Vorsitzender des DNRT e.V. und Initiator der „Leipziger Erklärung“, ergänzt: „Eine Politik der nachhaltigen Landwirtschaft darf sich nicht in Krisenmanagement erschöpfen, sondern sie bedarf klarer ordnungspolitischer Orientierungen und langfristiger Weichenstellungen auch für eine gesellschaftlich akzeptierte Förderung der Landwirte. Das Landwirtschaftsgesetz von 1955 ist ein Anachronismus. Die Rechtszersplitterung muss durch ein inhaltlich durchdachtes neues Landwirtschaftsgesetz abgelöst werden. Der DNRT e.V. ist bereit, an der Erarbeitung gesetzlicher Lösungskonzepte mitzuwirken und die vielfältige juristische wie fachliche Expertise seiner Mitglieder einzubringen.“
Auch der WWF macht auf die Nitrat-Brühe im Grundwasser der Leipziger Region aufmerksam
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