Da fühlt man sich doch glatt an die Wanderausflüge mit dem Geografielehrer erinnert, der die ganze Klasse zur nächstgelegenen Kiesgrube mitnahm und dort – am aufgeschnittenen Beispiel – zeigte, wie die Eiszeiten und Warmzeiten in Mitteldeutschland aufeinanderfolgten. Da merkte man sich noch so ein schönes Wort wie Elstereiszeit. Das war so schön einfach. Aber bei 400.000 Jahren ist gar nichts einfach. Damals trafen die ersten Menschen hier ein.

Die Glaziologen streiten sich schon seit über hundert Jahren, wann genau nun die Elstereiszeit begann. Oder ob es überhaupt eine einzige Eiszeit war – ein dicker, fetter, kilometerdicker Gletscher, der bis ins Gebiet der Weißen Elster vordrang. Oder ob es mehrere Eisvorstöße waren, unterbrochen von kurzen Interglazialen, in denen sich das Eis zurückzog und diesem Neuankömmling auf zwei Beinen neue Jagdgründe hinterließ. Das war damals noch der Homo Heidelbergensis, der Vorfahre des Neandertalers. Der aber dennoch schon einige wichtige Kulturtechniken beherrschte. Was man von ihm findet, sind meist nur seine Werkzeuge aus Feuerstein. Und der Feuerstein ist der wichtigste Ankömmling aus dem Norden, denn ihn haben die Gletscher aus Skandinavien mitgebracht. Deswegen wird die größte Ausdehnung der Eismassen in der Elstereiszeit mit der sogenannten Feuersteinlinie markiert. So weit kam das Eis damals.

Und was schon in den Erklärungen unseres Geografielehrers zusammenkam, weil es faszinierenderweise zusammengehörte, kommt auch in der Arbeit der Leipziger Anthrologen zusammen. Denn die interessieren sich aus gutem Grund eben auch für die Kiesgruben im Leipziger Raum. Und so nebenbei helfen sie auch noch den Geologen, ein paar Datierungsprobleme aus der Welt zu schaffen.

Denn: Wann begann denn nun diese verflixte Elstereiszeit?

Und wann tauchte der Mensch hier auf und bejagte die Tundra?

Mit Hilfe modernster Datierungstechniken haben Forscher des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie jetzt neue Daten zum zeitlichen Ablauf der Elster- und Saale-Eiszeit in Mitteldeutschland gewonnen. Die Forscher haben herausgefunden, dass die erste Vereisung im Quartär, die weite Teile Europas mit Eis bedeckte, bereits vor 450.000 Jahren stattgefunden hat und nicht – wie bisher angenommen – vor etwa 350.000 Jahren. Die Forscher zeigen weiterhin, dass die ersten Menschen Mitteldeutschland nach dem Rückzug dieser Gletscher vor etwa 400.000 Jahren besiedelten.

Diesen etwa 400.000 Jahre alte Schaber haben die Wissenschaftler während der Probennahme für die Lumineszenz-Datierung im Kieswerk Schladebach in Sachsen-Anhalt geborgen. Foto: MPI für evolutionäre Anthropologie
Diesen etwa 400.000 Jahre alte Schaber haben die Wissenschaftler während der Probennahme für die Lumineszenz-Datierung im Kieswerk Schladebach in Sachsen-Anhalt geborgen. Foto: MPI für evolutionäre Anthropologie

Die zeitlichen Abläufe der Kalt- und Warmzeitzyklen während des vor 780.000 bis 125.000 Jahren dauernden Mittelpleistozäns und die Rückkopplungsmechanismen zwischen Klimaverschiebungen und erdoberflächennahen Prozessen sind noch wenig erforscht. Das liegt vor allem daran, dass bisher nur wenige chronologische Daten aus Sedimentarchiven, die eiszeitliche, aber auch potenziell wärmere Klimaperioden repräsentieren, erhoben werden konnten.

Pleistozän – das ist das Eiszeitalter. Es gab mehrere davon. Die Elster-Kaltzeit fällt ins Mittelpleistozän, das die Forscher auf die Zeit vor 781.000 bis 126.000 Jahren ansetzen. Davon gehört die Zeit vor 475.000 bis vor 370.000 Jahren zur Elster-Kaltzeit.

Eigentlich gab es danach keine richtige Pause. Ab der Zeit vor 126.000 Jahren spricht man von der Jungeiszeit, die zwar gern für beendet erklärt wird, weil so vor ungefähr 11.000 Jahren das Holozän begann, die vom Menschen geprägte Epoche, weshalb manche Forscher diese Zeitspanne gern Anthropozän nennen wollen.

Aber in Wirklichkeit leben wir in einem Interglazial – einer Zwischeneiszeit. Die wir wahrscheinlich durch die menschgemachte Aufheizung der Erdatmosphäre nur verschoben und ausgedehnt haben.

Und Max Frisch hat es zwar hübsch formuliert mit „Der Mensch erscheint im Holozän“. Aber wie die Funde belegen, erschien er in diesen Gegenden schon in der Elsterkaltzeit. Die Kiesablagerungen lassen sich heute mit modernen Messverfahren deutlich genauer zeitlich einordnen.

„Die mitteldeutschen Quartärsedimente sind für uns nahezu perfekte Archive. Sie helfen uns dabei, Klimaverschiebungen zu verstehen, die sich in den letzten 450.000 Jahren in der Region ereignet haben“, erklärt Tobias Lauer, Geochronologe am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und Ko-Autor der Studie, die jetzt zu diesen neuesten Forschungsbefunden in zwei mitteldeutschen Kiesgruben erschien. Denn hier sind alle Sedimente erhalten, die das Vordringen skandinavischer Gletscher nach bzw. ihren Rückzug aus Europa dokumentieren.“ Diese Ablagerungen sind in der mitteldeutschen Region und insbesondere im Gebiet um Leipzig durch zehntausende Bohrungen aus der Vorwendezeit und den frühen 1990er Jahren sowie Profilbeobachtungen im Zuge des vormaligen Braunkohleabbaus sehr gut dokumentiert.

Für die Forscher besonders relevant sind die Flussablagerungen lokaler Flüsse wie der Weißen Elster und der Saale, die zwischen den Moränen der sogenannten Elster- und Saale-Eiszeit erhalten geblieben sind.

„Vor allem der Zeitpunkt der ersten großen Vergletscherung ist in den letzten Jahrzehnten unter Fachleuten heftig diskutiert worden“, geht Lauer auf die Diskussion der Geologen ein. „Eine systematische Datierung der Flussablagerungen ergab nun, dass die Gletscher der Elstervereisung Mitteldeutschland schon innerhalb des Marinen Isotopenstadiums 12 vor etwa 450.000 Jahren erreichten, und die Region schon etwa 100.000 Jahre früher von kilometerdickem Eis bedeckt war, als bisher angenommen.“

Zur Datierung nutzten die Forscher die Lumineszenz-Methode, mit deren Hilfe bestimmt werden kann, wann und über welchen Zeitraum hinweg Mineralkörnchen zuletzt dem Sonnenlicht ausgesetzt waren.

Die Flussablagerungen enthalten auch Steinartefakte aus dem Alt- und Mittelpaläolithikum, die wichtige Informationen über die frühe menschliche Ausbreitung in Mitteleuropa liefern, so wie in der Kiesgrube Schladebach in Sachsen-Anhalt.

„Die ersten Spuren der altsteinzeitlichen Besiedlung dieses Gebiets durch Menschen reichen bis etwa 400.000 Jahre zurück. Die Besiedlung fand höchstwahrscheinlich während der Warmzeit statt, die der ersten großen Vergletscherung folgte“, erklärt Ko-Autor Marcel Weiss, Archäologe am Leipziger Max-Planck-Institut. „Diese Spuren werden durch mehr als 6.000 altsteinzeitliche Steinartefakte belegt, die in den Kiesgruben von Wallendorf und Schladebach in Sachsen-Anhalt gefunden wurden.“

Steinartefakte aus der mittleren Altsteinzeit aus Flussablagerungen der Region sind den Forschern zufolge 300.000 bis 200.000 Jahre alt und deuten auf die Anwesenheit des Neandertalers hin. Flusskiesablagerungen aus den oberen Sedimentschichten des ehemaligen Braunkohletagebaus Zwenkau, das südlich von Leipzig in Sachsen liegt, enthielten die ältesten mittelpaläolithischen Steinwerkzeuge. Dieser Fundkomplex, der als Steinartefaktinventar von „Eythra“ bekannt ist, enthält zahlreiche Faustkeile, deren Alter die Forscher nun auf etwa 280.000 Jahre datieren konnten.

Die jüngsten Sedimente, aus denen die Forscher die neuen Daten gewonnen haben, gehören zur sogenannten Saale-Vereisung. Vor etwa 150.000 Jahren stießen die skandinavischen Gletscher nochmals nach Mitteldeutschland vor.

„Unsere Daten werden einen großen Einfluss auf das Verständnis der zeitlichen Abläufe von Eiszeitzyklen und Klimaveränderungen im eiszeitlichen Europa haben“, so die Autoren. „Die erste große Vergletscherung hatte riesige Auswirkungen auf die Umwelt und veränderte die gesamte Landschaft. Das neu ermittelte Alter der Funde aus der älteren und mittleren Altsteinzeit wird uns zukünftig dabei helfen zu rekonstruieren, wie die Menschen Mitteldeutschland und Mitteleuropa nach diesen großen Klimaereignissen besiedelt oder wieder besiedelt haben.“

Dank der neuen Datierungen können Wissenschaftler nun auch erforschen, wie sich Menschen an die Klimaverschiebungen zwischen Kalt- und Warmzeiten während des Mittelpleistozäns vor etwa 450.000 bis 150.000 Jahren angepasst haben.

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