Der Mensch hat sich zur größten Umweltbelastung weltweit entwickelt. Das erstaunliche ist: Oft werden die Schäden, die er an seiner Umwelt anrichtet, nur separat betrachtet. Als wenn der Plastikmüll an der einen Stelle mit dem CO2 an anderer Stelle und den Pestiziden an dritter Stelle nichts zu tun hätte. Doch die simple Wahrheit ist: Die Schädigungen, die der Mensch durch seine Lebensweise anrichtet, summieren sich zu einem multiplen Umweltstress.

Ein Thema, mit dem sich jetzt Wissenschaftler des Umweltforschungszentrums einmal näher beschäftigt haben. Denn nicht jeder Organismus kann mit den Verschlechterungen seiner Umweltbedingungen gut umgehen. Manche werden schon von leichten Veränderungen massiv in Mitleidenschaft gezogen.

Eine gewisse Stressresistenz haben alle Organismen. Das gehört dazu. Sie müssen ja auch damit umgehen können, dass andere Organismen sich verändern, vermehren oder aggressiver werden. Aber was passiert, wenn noch zusätzliche Schadstoffe das Leben sauer machen? Wenn Schadstoffe gar auf ein sowieso schon gestresstes System treffen?

Jeder Organismus auf der Erde ist dem Einfluss verschiedener Umweltbedingungen und anderer Lebewesen ausgesetzt. Diese Faktoren können Stress auslösen und das Lebewesen so anfälliger für weitere Einwirkungen von außen machen.

Ein Team unter der Leitung von UFZ-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern konnte nun am Beispiel von Gewässerlebewesen zeigen, dass die Anwesenheit von Umweltstress die Wirkung von Schadstoffen auf Organismen um ein Vielfaches erhöht. Zudem entwickelten sie ein Modell, das es ermöglicht, ausgehend von der Stärke des Umweltstresses die erhöhte Schadstoffwirkung vorherzusagen. Ihre Erkenntnisse veröffentlichten sie jetzt im Fachmagazin Scientific Reports.

Tiere und Pflanzen sind – auch in unberührter Umgebung – gleichzeitig einer Vielzahl von natürlichen und vom Menschen gemachten, sogenannten anthropogenen Stressoren ausgesetzt. Das kann zum Beispiel der Mangel an Wasser sein, der einhergeht mit einer Konkurrenzsituation um Nahrung, dem Befall durch einen Parasiten oder der Konfrontation mit Umweltchemikalien, zum Beispiel Pestiziden. Aus allen Bereichen der Ökologie ist bekannt, dass solche gleichzeitigen Wirkungen von Stressoren unterschiedlichster Art große Folgen für Pflanzen und Tiere eines Ökosystems haben können, obwohl die Stressoren einzeln betrachtet kaum wahrnehmbare Wirkungen auslösen.

Wie die Forschungsergebnisse des Wissenschaftlerteams vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), der Universität Koblenz-Landau und der Universität der Bundeswehr München nun zeigen, kann die Anwesenheit von Umweltstress die Wirkung von Schadstoffen um einen Faktor von bis zu 100 erhöhen.

Um die Maßnahmen zum Erhalt der biologischen Vielfalt effektiver und zielgenauer  gestalten zu können, ist es also in jedem Fall wichtig, vorhersagen zu können, wie sich die Kombination der verschiedenen Stressoren auf einzelne Populationen auswirkt. Da hilft es nichts, nur einen Stressor zu betrachten oder gar auszuschalten, wenn der Druck auf einen Lebensraum an anderer Stelle weiter bestehen bleibt.

Erstaunlicherweise existiert trotz einer Vielzahl an Forschungsarbeiten in diesem Themenbereich und der Kenntnis über die Wirkungen einzelner Stressoren bisher kein universeller Ansatz für eine solche Vorhersage der Wirkungen in ihrer Gesamtheit.

Mit den jetzt vorgelegten Forschungsergebnissen ist diese Vorhersage nun möglich, bestätigt Studienleiter Prof. Dr. Matthias Liess vom UFZ: „Wir haben ein Modell entwickelt, mit dem wir den quantitativen Gesamtstress berechnen können, der auf ein Lebewesen einwirkt. Und zwar indem wir die einzelnen Stressoren miteinander in Beziehung bringen und dabei auch die individuelle Stresskapazität berücksichtigen.“

Denn diese unterscheidet sich zwischen den Organismen einer Population erheblich: Die Meisten haben eine mittlere Stresskapazität, Wenige sind schon kleinen Belastungen nicht gewachsen, Andere halten problemlos großen Belastungen stand.

Die Studie beruht auf Daten aus wissenschaftlichen Untersuchungen der letzten 15 Jahre, die sich mit der kombinierten Wirkung von Schadstoffen wie Pestiziden und Schwermetallen befassen oder untersucht haben, wie Umweltstressoren – zum Beispiel Nahrungsmangel, Räuberdruck und UV-B-Strahlung – auf Lebewesen wirken. Auf dieser Basis gelang es den Forschern in den letzten drei Jahren, allgemeingültige Muster der Kombinationswirkungen auf Wirbel- und wirbellose Tiere in aquatischen Systemen zu identifizieren und in einem Modell zu formalisieren. Dieses Modell (SAM – Stress Addition Model) macht es nun erstmals möglich, die kombinierte Wirkung von Stressoren auf Populationen von Insekten, Krebsen und Amphibien vorherzusagen.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erwarten, dass sie ihr Modell in den kommenden Jahren so weiterentwickeln können, dass es künftig für alle Stressor-Kombinationen anwendbar ist. Und dann ist der nächste Schritt fällig: eine Ausweitung seines Gültigkeitsbereiches über den bislang betrachteten aquatischen Lebensraum hinaus. Für Matthias Liess ist das keine Utopie: „Der Zusammenhang zwischen der Stärke des Umweltstresses und der Schadstoffwirkung scheint derart universell zu sein, dass er wahrscheinlich auch für terrestrische Systeme und den Menschen gilt“.

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