Nicht nur Leibniz und Reger gehören 2016 zu den großen Jubilaren in Leipzig. Werden wir das noch oft erzählen an dieser Stelle? Natürlich. An Leibniz kam man in diesem Jahr nicht vorbei, Reger gehört zum großen Kosmos der Komponisten. Aber es ist wie zuletzt bei Rabener und Gellert: Schriftsteller sind irgendwie nicht wichtig. Also haben auch die Mitarbeiter des Stadtgeschichtlichen Museums nur nach Leibniz und Reger gesucht. Und ihrer Handschrift.
Am Freitag, 25. Februar, stellten sie die Ergebnisse eines aufwendigen Projekts vor: Seit fast einhundert Jahren wird in den Magazinen des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig ein Schatz von 33.000 Autographen gehütet, der in den letzten zehn Jahren schrittweise ans Licht geholt wurde.
Seit 2009 war dieses Vorhaben ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Projekt, das nun zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht wurde. Alle Schriftstücke wurden inhaltlich erschlossen, digitalisiert und online publiziert, um sie als Quellenreservoir für die europäische Kulturgeschichte weltweit zugänglich zu machen. Die Daten wurden in Informationsstrukturen der deutschen und europäischen Wissenschaft eingebunden, so zum Beispiel in den Kalliope-Verbund, in Kürze in die Deutsche Digitale Bibliothek sowie in das europäische Portal Europeana.
Die Sammlung umfasst Handschriften, Noten, Visitenkarten, Tagebücher, Stammbücher und andere Schriftstücke aus den Bereichen Theater/Musik, Bildende Kunst, Wissenschaft/Gelehrte, Befreiungskriege sowie Politik. Durch ihre Themenvielfalt spiegelt sie die kulturhistorische Bedeutung der Stadt Leipzig in eindrucksvoller Weise wider.
Und dann versucht die Museumsmannschaft für sich zu definieren, was an dieser Sammlung wichtig ist: „Zweifellos stellen die Briefe international bekannter Persönlichkeiten die Glanzlichter der Sammlung dar. Doch nicht nur Unterschriften von Prominenten wie z.B. Napoleon Bonaparte machen den Reiz eines Schriftstücks aus.“
Dabei geht es um mehr: Die Briefe dienen in der Forschung vor allem als Informationsträger. Oft verbergen sich darin wertvolle historische Informationen, die wie ein fehlender Mosaikstein Wissen ergänzen und in Zusammenhang mit anderen Schriftstücken ein einheitliches Bild ergeben. Deshalb ist die Dokumentation von Personen, Orten und Ereignissen von besonderer Bedeutung.
Und da ist man dann bei der seltsamen Art, wie in Leipzig Jubiläen ausgewählt werden.
Die Stadt Leipzig begeht in diesem Jahr Jubiläumsfeierlichkeiten für zwei Persönlichkeiten, die ihre Spuren in der Autographensammlung hinterlassen haben: der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) und der Komponist Max Reger (1873-1916).
Und da wird der Netzwerkcharakter des Projekts wichtig: Zwei bislang der Forschung unbekannte Leibniz-Schriftstücke konnten nach ihrer Veröffentlichung durch Wissenschaftler der Forschungsstellen in Münster und Hannover in einen Zusammenhang mit anderen Hinterlassenschaften des Gelehrten gestellt und in deren Online-Katalog integriert werden. Es handelt sich um den 1712 in lateinischer Sprache verfassten Brief an den Mathematiker Christian Wolff in Halle über die von Leibniz entwickelte Technik der Infinitesimalrechnung sowie um ein „Numeratio Nova“ tituliertes Manuskript über das Dualsystem.
Von Max Reger ist ein Schreiben an einen unbekannten Adressaten überliefert, das er im Jahr 1913 in seiner Funktion als Konzertmeister der Meininger Hofkapelle verfasste. Reger bestätigt darin die Aufführung zweier Konzerte in Berlin und erklärt, dass er dringend darauf bestehen müsse, die von ihm komponierte „Romantische Suite“ in diesem Rahmen aufzuführen. Er wolle damit jene Scharte auswetzen, welche eine „total verunglückte“ Aufführung vom 28. Dezember in Berlin verursacht habe.
Diese über den Kalliope-Verbund veröffentlichte Detailinformation erregte die Aufmerksamkeit des Max-Reger-Institutes in Karlsruhe. Der Brief wurde in die Gesamterfassung aller Briefe Regers integriert, die seinen Alltag dokumentieren und Erkenntnisse über das Leben und schöpferische Wirken eines gefragten Komponisten liefern können.
Und da man im Kalliope-System selbst suchen kann, lohnt sich natürlich auch die Suche nach anderen Leipzig-Jubilaren, die nicht mal die Aufmerksamkeit der großen Feier-Veranstalter erreicht haben.
Da wäre ein gewisser Friedrich Gerstäcker, vor 200 Jahren in Hamburg geboren, Nikolaischüler und zwischen seinen Amerikareisen immer wieder in Leipzig zu Hause, 1862 auch Begleiter von Alfred Brehm auf der Ägyptenreise mit Herzog Ernst II. Und natürlich haben sich auch Autographe von Gerstäcker aus seinen diversen Leipzig-Zeiten erhalten, darunter auch etliche Briefe aus Leipzig, wo er auch zwischen 1845 und 1849 lebte, mit einem gewissen Robert Blum Bekanntschaft schloss und auch seinen ersten Bestseller veröffentlichte: „Die Regulatoren von Arkansas“, erschienen 1847 bei Otto Wigand, eigentlich dem maßgeblichen Verleger des „Jungen Deutschland“ (der unter anderem auch Stirner, Feuerbach und später „Das Kapital“ von Marx verlegte).
Bekannt war Gerstäcker auch mit einem gewissen Gustav Freytag, auch Jahrgang 1816, auch nicht in den Leipziger Jubiläen berücksichtigt. Der gab ab 1848 in Leipzig die national-liberale Zeitschrift „Die Grenzboren“ heraus. Natürlich in Leipzig.
Gottsched darf nicht vergessen werden. Sein 250. Todestag dürfte dasselbe Gewicht haben wie Regers 100. Todestag. Und eigentlich ebenso überfällig ist auch, Gustav Keil zu würdigen, den Verleger der „Gartenlaube“, der in diesem Jahr ebenfalls 200 Jahre alt wird. Aber die Schwerpunktsetzung bei den Jubiläen zeigt, wie wenig das geistige Leben heute Widerhall findet auf der großen städtischen Bühne. Und damit geht auch völlig unter, dass in Leipzig im 19. Jahrhundert nicht nur Musik gemacht wurde, sondern auch ein Hotspot der werdenden Demokratie war, der wichtigste Verlagsort für das „Junge Deutschland“ – und für das lesehungrige, auf Abenteuer versessene Publikum sowieso.
Damit verglichen wirkt die Jubiläenauswahl 2016 eher bescheiden und höchst ästhetisch. Als scheute man den Stoff, der wirklich zum Diskutieren einlädt.
Als Bild ausgewählt ist hier ein Brief von Max Klinger an seine Lebensgefährtin Elsa Asenijeff, in dem er um Entschuldigung bittet, dass er ihr Kummer zugefügt hat. Da stehen auch so schöne Sätze drin wie: „Süsse, Du machst mich verrückt.“ oder „Verzeihe Deinem ungeschickten dummen Bären, der Dich so liebt und so leiden macht!“
Der Brief muss nach aus der Frühzeit ihrer Beziehung stammen.
Von Max Klinger sind übrigens 2.323 Autographe erhalten, von Elsa Asenijeff 1.662, von Gerstäcker nur 147, von Otto Wigand 120.
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