Die "Öffentliche Hand" verantwortet die öffentliche Daseinsvorsorge. Dem steht die viel kritisierte, zunehmende Privatisierung in nahezu allen Bereichen der öffentlichen Infrastruktur nicht entgegen. Die Finanzwissenschaftler Prof. Dr. Thomas Lenk und Dr. Enrico Schöbel vom Institut für Öffentliche Finanzen und Public Management der Universität Leipzig haben die Entwicklung sozialer Dienstleistungen, insbesondere im Gesundheits- und Pflegebereich, im Lichte öffentlicher Finanzen untersucht.

“Angesichts begrenzter öffentlicher Mittel und einer älter werdenden Gesellschaft vollzieht sich kein Sozialstaatsabbau, jedoch ein Formenwandel des Sozialstaats”, sagt Dr. Enrico Schöbel.

Ihre Untersuchungsergebnisse haben Lenk und Schöbel gerade in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift “Sozialer Fortschritt” veröffentlicht.

“Das Staatsverständnis wandelt sich von der Wohlfahrtsproduktion hin zur Gewährleistung sozialer Standards”, resümiert Schöbel. “Die Steuer- und Abgabenquote und die Beiträge zur Sozialversicherung konnten stabil gehalten werden. Statt einer Ausweitung der staatlichen Produktion sozialer Dienstleistungen wurde gestiegenen und neuen Bedarfen im Gesundheits- und Pflegebereich insbesondere durch das Auftreten neuartiger privater Dienstleister entsprochen, die einer tendenziell zunehmenden staatlichen Regulierung unterworfen sind.”

Die Herausforderungen an den Gesundheits- und Pflegebereich steigen angesichts des demografischen Wandels weiter an. “Zudem haben veränderte Lebens- und Erwerbsstrukturen zur Folge, dass soziale Dienstleistungen – bislang noch häufig durch persönliche Hilfestellungen von Angehörigen abgedeckt – vermehrt über den Markt nachgefragt werden”, so der Experte.

Bereits seit Mitte der 1990er Jahre hat die marktvermittelte private Produktion von Gütern und Leistungen im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge erheblich zugenommen. Laut Schöbel können die zunehmend ausdifferenzierten sozialen Bedarfe heute zumindest besser als in der Vergangenheit befriedigt werden: “Die Bedürfnisse der Nachfrager im Bereich der Pflege sind vielfältiger geworden. Früher fand die Pflege in der Familie oder im Pflegeheim statt, heute gibt es ein um verschiedene Leistungen dazwischen erweitertes Leistungsspektrum. Mit der Erweiterung um ambulante Pflege, Tagespflege, Leistungen im Haushalt und so weiter wird den individuellen Bedarfen an Pflege im gewohnten häuslichen Umfeld besser entsprochen.”
Wie das Statistische Bundesamt für das Jahr 2011 berichtet, sind rund 60 Prozent der ambulanten Pflegedienste und rund 30 Prozent der Krankenhäuser private Anbieter. Lenk und Schöbel zufolge wird der privatwirtschaftliche Gesundheits- und Pflegebereich höchstwahrscheinlich weiter wachsen.

Das Problem der staatlichen Finanzierbarkeit sozialer Dienstleistungen dürfte sich künftig weiter verschärfen. “Die Zahl der Erwerbstätigen, die Beiträge zur Sozialversicherung leisten, wird voraussichtlich zurückgehen. Die Zahl der Alten und der Pflegebedürftigen hingegen wird steigen, womit immense zusätzliche Kosten verbunden sind. Zudem sind steuerliche Belastungsgrenzen erreicht und die öffentlichen Haushalte unterliegen künftig verschärften schuldenbegrenzenden Regelungen”, erklärt Lenk. “Die Alternative der Finanzierung öffentlicher Sozialleistungen über Nutzungsentgelte und Gebühren birgt die Gefahr in sich, dass Personen von den Leistungen ausgeschlossen werden, die sich diese nicht leisten können.”

Im Rahmen der sozialen Sicherung hat der deutsche Staat laut Angaben des Statistischen Bundesamts im Jahr 2011 etwa 768 Milliarden Euro für soziale Dienstleistungen ausgegeben. Im Jahre 2005 waren es etwa 670 Milliarden Euro. Schöbel führt aus: “Tendenziell zeigt sich ein Anstieg im historischen Zeitablauf. Die Sozialquote, das heißt der Anteil der Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt, ist in den vergangenen zehn Jahren allerdings leicht zurückgegangen. Somit lässt sich momentan kein Wachstum des Sozialstaates konstatieren. Mit Blick auf die Ausweitung privater Dienstleistungen kann man dennoch von einem sozialen Wachstum sprechen.”

Denn die sozialen Dienstleistungen im Gesundheits- und Pflegebereich unterliegen einer tendenziell zunehmenden staatlichen Regulierung. Der Staat gewährleistet damit den gesellschaftspolitisch definierten Standard, ohne das Angebot auf staatlich produzierte Leistungen zu beschränken. Außerdem bringe der private Sektor nicht nur Staatsausgaben für Vorleistungen, sondern in die öffentlichen Haushalte flössen auch zusätzliche Einnahmen aus Einkommens-, Körperschafts- und vor allem Gewerbesteuer.

Der Staat trägt also weiterhin die Verantwortung für ein zukunftsfestes Angebot sozialer Dienstleistungen. “Es ist immer wieder ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess, wie viel Staat wir eigentlich wollen”, sagt Lenk. Umso wichtiger sei die stetige Anpassung der politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen. “Von einem Rückzug des Staates kann demzufolge nicht die Rede sein, da dieser soziale Standards festlegt und gewährleistet. Politische Entscheidungsmöglichkeiten bleiben damit erhalten.”

Thomas Lenk und Enrico Schöbel: Soziale Dienstleistungen im Lichte öffentlicher Finanzen. Sozialer Fortschritt, Band 62, Heft 8-9/2013, S. 234-246.

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