Von vier Schรผssen durchlรถchert prรคsentiert sich das jรผngste Buch von Benjamin Fredrich, den meisten bekannt als Katapult-Grรผnder, studierter Politikwissenschaftler. Und hier zeigt er mal an einem brennend aktuellen Thema, was Politikwissenschaftler zu einem Thema wie โKriegโ zu sagen haben. Und wie sie die Kriege der vergangenen 225 Jahren ausgewertet und einsortiert haben. Es sind mehr als 100 Friedensfรคlle aus 100 Jahren Kriegsgeschichte, wie es im Untertitel steht. Die Menge kann einen schon vom Hocker reiรen.
Als wรคren Menschen zu blรถd, friedlich miteinander umzugehen. Als kรถnnten sie es nur miteinander aushalten, wenn sie sich gegenseitig die Schรคdel einschlagen und die Dรถrfer der anderen Menschen verwรผsten. Dabei ist das schon seit Jahrtausenden so. Und Fredrich kann einige der groรen Denker von Heraklit und Aristoteles รผber Augustinus von Hippo bis Kant, Rousseau und Hobbes zitieren, die alle ganz unterschiedliche Vorstellungen entwickelt haben, warum Kriege passieren.
Fรผr den einen ist Krieg โder Vater aller Dingeโ (Heraklit), fรผr andere nur ein Zeichen fรผr schlechte Regierungsfรผhrung (Platon), fรผr manch Modernen die โFortsetzung der Politik mit anderen Mittelnโ (Clausewitz). Die einen hielten den Krieg fรผr den Urzustand der Menschheit (Hobbes), die nรคchsten fรผr ein Produkt der Zivilisation (Rousseau). Und zumindest denken die klรผgeren Menschen seit Immanuel Kant und seinem Buch โZum ewigen Friedenโ darรผber nach, wie man Kriege vermeiden kann und Konflikte so lรถst, dass man nicht die jungen Mรคnner in wilden Gemetzeln verheizt.
Mรคnnerdomรคne Krieg
Das ist schwer, denn das setzt Kompromissfรคhigkeit voraus, die Fรคhigkeit, den anderen zu respektieren und die Grรผnde fรผr Konflikte zu verstehen. Und eine Fรคhigkeit, die viele nicht mal in ihrer Kinderstube gelernt haben: zurรผckzustecken und Konflikte nicht auszureizen, โbis jemand heultโ. Das fรคllt Mรคnnern statistisch schwerer als Frauen. Mit dem Ergebnis, dass fast alle Kriege auch auf das Konto von Mรคnnern gehen. Ausnahmen sind ein paar englische Kรถniginnen und Regierungschefinnen wie Indira Gandhi und Margaret Thatcher. Was auch schon wissenschaftlich untersucht ist. Aber noch nicht komplett.
Denn das Thema, das Fredrich natรผrlich ausspart, weil es ein wirklich dickes Buch fรผllen wรผrde, ist die Frage: Wer drรคngt eigentlich zur Macht? Und warum landen immer wieder Kerle an den Schalthebeln, die am Ende auch zu den grรถbsten Mitteln der Politik greifen, um ihren Willen durchzusetzen? Denn wenn man die Macht-Frage stellt, kommt man der Frage, warum Kriege รผberhaupt entfesselt werden, nรคher. Denn sie entstehen nicht einfach so. Sie sind auch kein Naturgesetz.
Weshalb man sie auch nicht berechnen kann. Bestenfalls statistisch erfassen und dann sortieren โ wie es Fredrich mit Verweis auf mehrere Studien zum Thema tut โ in die Arten der Kriegsbeendigung etwa. Mit dem Ergebnis, dass nicht mal die Hรคlfte der von Fredrich untersuchten Kriege seit dem Jahr 1800 durch totalen Sieg (also in der Regel die Unterwerfung des Gegners) beendet wurde, ein wachsender Anteil durch Kompromisslรถsungen, einige auch durch den Eingriff von Drittstaaten.
Und ein ziemlich groรer Anteil von Kriegen ist lediglich eingefroren, kann also jederzeit wieder aufflammen, weil mal wieder die eine oder andere Seite meint, es sei mal wieder Zeit fรผr blutige Taten. So wie im seit 1949 schwelenden Israel-Palรคstina-Konflikt.
Kein Jahr ohne Krieg
293 Kriege hat Fredrich untersucht. Das klingt nach viel, ist aber garantiert nicht alles, was da seit dem Jahr 1800 mal ohne, mal mit viel รffentlichkeit ausgetobt wurde. Einige wichtige Kriege fehlen ganz offensichtlich. Den Ersten Weltkrieg erwรคhnt Fredrich zwar mitsamt dessen fatalem Finale im Versailler Vertrag, in dem schon der Kern des nรคchsten Krieges steckte.
Auch die Jugoslawienkriege nennt er kurz als Beispiel fรผr eine moderne Intervention von Drittstaaten, die die Kriegsparteien zum Verhandeln zwangen. Allein hier stecken fรผnf verschiedene Kriege drin. Und auch den legendรคren Winterkrieg vermisst man, in dem Stalins Sowjetunion 1939/1940 eine verheerende Niederlage gegen Finnland erlebte. Und auch den sowjetisch-polnischen Krieg von 191 /1920 vermisst man, รผber den ja bekanntlich Isaac Babel seinen Roman โDie Reiterarmeeโ schrieb. Und genauso darf man den Irischen Unabhรคngigkeitskrieg von 1919 bis 1921 vermissen.
Man kommt also locker auf mindestens 300 Kriege, die seit dem Jahr 1900 angezettelt wurden. Manche als Befreiungskriege, manche als koloniale Eroberungskriege (die besonders im 19. Jahrhundert dominieren), manche als Stellvertreterkriege, als Kriege um Bodenschรคtze und Landgewinn. Manche einfach auch zur Stabilisierung von Macht. Statistisch fรผhren zwar demokratische Staaten wenige Kriege, weil ihre Regierungen immer einem Wahlvolk verpflichtet sind und bei der nรคchsten Wahl abgestraft werden kรถnnen.
Aber Fredrich erwรคhnt nicht ohne Grund auch Machiavelli, der den Krieb als durchaus rationales Instrument in der Machtpolitik feudaler Fรผrsten definierte. Was dann Fรผrsten aller Art immer wieder dazu veranlasste, sich an diesen Ratschlag auch zu halten und ein paar Kriege zu fรผhren. Bekanntester Vertreter dieser gelehrigen Schรผlerschaft: Friedrich II. von Preuรen.
Aber all diese Verweise zeigen natรผrlich, dass man es bei Kriegen weniger mit Logik zu tun hat, als mit Mรคnnern und ihren oft instabilen Machtgefรผgen. Denn den Clausewitz-Satz kann man auch vรถllig anders interpretieren: Krieg wird dann zur Option, wenn die Herren am Steuerpult mit friedlicher Politik nicht mehr weiter wissen. Krieg lenkt dann auch von den Problemen im eigenen Land ab.
Die Mรผhsal von Friedensarbeit
Aber Fredrich hat natรผrlich einen ganz aktuellen Anlass, รผber Krieg und Kriegsbeendigung nachzudenken โ nรคmlich den russischen Krieg gegen die Ukraine, der jetzt schon mehr als drei Jahre dauert und der auch in deutschen Wahlen zunehmend eine Rolle spielt, weil einige Parteien sich regelrecht zu Stellvertretern russischer Politik gemacht haben und neben einem sofortigen Waffenstillstand auch noch die Beendigung von Waffenlieferungen an die Ukraine fordern. Also letztlich ihre totale Unterwerfung, genau das, was der Kriegsherr im Kreml will.
Ganz offenkundig zieht das auch bei vielen Wรคhlern, die glauben, dass man so tatsรคchlich einen Krieg beenden kann. Man opfert eben das รผberfallene Land. Ist doch eh wurst. Ist es aber nicht. Die Leichtigkeit trรผgt. Wovon ja auch der mittlerweile zum Parteivorsitzenden der Linken gewรคhlte Jan van Aken in seinem Buch โWorte statt Waffenโ schrieb.
Er weiร nur zu genau, was fรผr eine zรคhe Arbeit es ist, Kriegsparteien รผberhaupt an einen Tisch zu bekommen und dann in langwierigen Verhandlungen รผberhaupt zu klรคren, wie beide aus diesem Krieg herausgehen kรถnnen, ohne das Gefรผhl einer dauerhaften Demรผtigung zu erfahren. Denn solche Demรผtigungen sind in der Regel genau der Anlass, der den nรคchsten Krieg provoziert.
Und dazu kommt das, was in den vergangenen Jahren mรผhsam aufgebaut wurde: ein System von Sicherheitsarchitekturen, in denen das Gespenst der alten nationalistischen Kriege gebannt wurde. Das beste Beispiel fรผr so ein Friedensprojekt ist die EU. Und da merkt man schon, warum ein Wladimir Putin und seine Anhรคnger im Westen die EU zerschlagen wollen. Gern aufgepeppt mit der verlogenen Forderung nach Frieden. Wer wieder die alten Kategorien von egoistischen Nationalstaaten feiert, der holt den Krieg, den die Europรคer so mรผhsam gebannt haben, durch die Hintertรผr wieder ins Haus.
Wenn einer รผberhaupt nicht verhandeln will
Natรผrlich รผberlegt Fredrich auch, wie der Krieg in der Ukraine beendet werden kรถnnte und zรคhlt auch drei mรถgliche Szenarien auf, die unter den Politikwissenschaftlern diskutiert werden. Alle drei klingen nicht besonders gut. Und alle derzeit von diversen politischen Akteuren propagierten Forderungen, es solle sofort einen Waffenstillstand geben und es solle (endlich) verhandelt werden, leiden schlichtweg an Ignoranz. Fredrich zรคhlt dutzende Versuche seit 2014 auf, Verhandlungen auf den Weg zu bringen. Doch einer ist schlichtweg nicht bereit, tatsรคchlich an den Verhandlungstisch zu kommen und von seinen Maximalforderungen abzurรผcken: Wladimir Putin.
Womit man wieder bei den Grรผnden wรคre, warum Kriege tatsรคchlich enden. Fast immer spielt dabei eine Rolle, dass eine โ oder beide โ Kriegsparteien nicht mehr kรถnnen, ihnen die Waffen ausgehen oder die Wirtschaft in die Knie geht oder das Volk nicht mehr mitspielt. Sie werden also in der Regel durch ganz reale Gegebenheiten gezwungen, รผber ein Kriegsende nachzudenken. Was zumindest die Fรคhigkeit voraussetzt, die eigene Haltung รคndern zu kรถnnen.
Was aber leider Autokraten zumeist abgeht. Sie kรถnnen sich Niederlagen oder nur halbgewonnene Kriege nicht leisten. Und machen โ siehe Hitler und Napoleon โ immer weiter und spekulieren noch auf den Endsieg, wenn sie den alliierten Gegnern nichts mehr entgegenzusetzen haben.
Und so macht Fredrich im Grunde mehrere Dinge deutlich. Das eine ist die schlichte, aber von einigen politischen Akteuren einfach negierte Tatsache, dass man so einen Krieg, wie ihn Russland gegen die Ukraine fรผhrt, nicht einfach von heute auf morgen am Verhandlungstisch lรถsen kรถnnte, sondern dass das wohl eher eine langwierige und zรคhe Angelegenheit wird, bei der die Ukrainer eine Menge mitzureden haben.
Und eine andere ist, dass auch ein schneller Friedensschluss das Problem nicht lรถst, weil er den Grund fรผr den รberfall Russlands auf die Ukraine nicht aus dem Weg rรคumt โ das imperialistische Denken, mit dem Russland alle seine Nachbarstaaten dominieren will. Ein Denken aus der Klamottenkiste der Geschichte.
Da kommt dann nรคmlich das Volk ins Spiel, der groรe Lรผmmel, die Menschen in der Ukraine ganz konkret, die nach drei Jahren Krieg erst recht keine Lust haben, sich wieder unter die Knute Russlands zu begeben. Sie bevorzugen eindeutig das westliche Modell der Demokratie, orientieren sich deshalb nach Europa.
Die Angst der Autokraten vor der Demokratie
Eine Perspektive, die vielleicht bei der Untersuchung der Kriege der jรผngsten Zeit etwas mehr Klarheit schaffen kรถnnte, denn etliche dieser Kriege sind die von Autokraten, die jede demokratische Regung in ihrem Land in Blut ertrรคnken. Dafรผr steht auch der syrische Bรผrgerkrieg, dafรผr steht der Bรผrgerkrieg in Myanmar, dafรผr steht der Krieg Russlands gegen Georgien. Man hat es also nicht nur mit Staatsmรคnnern zu tun, die an ihrem Kabinettstisch entscheiden, jetzt mal Krieg zu fรผhren.
Man hat es auch mit einer Welt von Mรคnnern zu tun, denen jedes Mittel recht ist, jede Verรคnderung hin zu einer demokratischen Welt zu unterdrรผcken. Und immer dann, wenn es dem einen Autokraten gelingt, fรผhlen sich andere Autokraten animiert, es ihnen nachzumachen.
Und so lautet eine von neun Thesen, die Fredrich am Ende aufstellt: โWie ein Krieg endet, ist entscheidend fรผr einen langfristigen Frieden.โ Und das ist โ auch bei aller von ihm geรคuรerten Skepsis โ auch auf den Krieg in der Ukraine gemรผnzt. Denn ein รผberstรผrzter Waffenstillstand, gar ein schnelles Kriegsende, wie es sich ein chaotisch agierender Donald Trump denkt, wรผrden den Konflikt nicht wirklich lรถsen.
Friedenslรถsungen sind komplex, sind aber letztlich unmรถglich, wenn sich eine Kriegspartei รผberhaupt nicht bewegen will, weil sie glaubt, dass sie langfristig doch total gewinnen kann.
Ein Buch, das so manchen Friedenswilligen durchaus zum Nachdenken bringen kรถnnte darรผber, ob ein einziger Ruf nach Frieden eigentlich genรผgt, wenn man keine Lรถsungswege fรผr einen wirklich dauerhaften Frieden im Angebot hat. Wer da lauter Friedenstauben auf seine Wahlplakate malt, aber keine Lรถsungen bieten kann, belรผgt seine Wรคhler. Anders kann man das nicht formulieren.
Benjamin Fredrich โWie Kriege endenโ Katapult Verlag, Greifswald 2025, 15 Euro.
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