Mit Donald Trump und mittlerweile mehreren solcher Typen in den Staaten der westlichen Welt ist etwas Uraltes in die moderne Politik zurückgekehrt, eine Vorstellung von Macht, die direkt aus der Welt des Mittelalters zu stammen scheint und von der Denkart her auch stammt. Denn Demokratien sind – das haben viele Leute nie gelernt – Regulatoren der Macht. Sie grenzen die Rücksichtslosen und Machtbesessenen in ihrem All-Machts-Wahn ein. Denn Macht ist verführerisch. Und sie lockt Männer an, die für ihre Macht über Leichen gehen. Kann man über so etwas eine Satire schreiben?
Der bulgarische Autor Stojan Michailowski hat es getan. Vor über 100 Jahren, 1897, veröffentlichte er sein Poem „Buch für das bulgarische Volk“, ein Buch, das – so Ilija Trojanow – bis heute nicht übersetzt ist. Aus guten Gründen. Das Bulgarische selbst ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass Michailowski sein Poem in strenger Versform verfasst hat.
Und das ist, wenn man die Feinheiten einer gelungenen Satire übersetzen will, eigentlich tödlich. Das ist auch bei anderen großen Poemen, in denen es gar nicht so satirisch zuging, auch immer wieder misslungen – egal, ob Dantes „Göttliche Komödie“ oder Miltons „Verlorenes Paradies“. Wenn Dichter wirklich dafür sorgen wollen, dass ihr bestes Werk niemals in aller Schönheit in andere Sprachen übersetzt werden kann, dann reimen sie auf Teufel komm raus.
Aber ein preisgekrönter Autor wie Ilija Trojanow kennt da kein Pardon. Er kennt seine bulgarischen Pappenheimer und weiß, dass Michailowskis Werk in Bulgarien bis heute gern gelesen wird. Denn die Bulgaren haben ja mit diesem feinen Witz kein Problem. Sie sehen in den Strophen ohne Probleme auch die eigene politische Gegenwart. Denn die Männer, die mit aller Rücksichtslosigkeit versuchen, die Hebel der Macht in die Hand zu bekommen, die gibt es auch heute noch. Sie sind es, die Wahlen zu Schlammschlachten machen, die lügen, tricksen, beleidigen und das Volk mit falschen Versprechungen für dumm verkaufen …
Stachele die Heimtücke an …
Sorry, ja, das erinnert nicht nur an bulgarische Wahlkämpfe, sondern längst auch an deutsche. Denn die vergangenen Jahre waren – auch dank der a-sozialen Medien – ein klassisches Beispiel dafür, wie die alten Rezepte autoritärer Machtergreifung auch in scheinbar demokratischen Parteien wieder Fuß fassen konnten. Von den populistischen Krachmachern ganz zu schweigen, die die autoritäre Geste längst wieder zum eigentlichen Inhalt all ihrer Forderungen gemacht haben.
Beispiel gefällig? Bitte: „Ziehe die ehrenwerten und gutmütigen Gefühle durch den Schlamm der niederen Instinkte, unterdrücke ohne Gnade jeden Ausdruck von Mut und Tapferkeit, stachele die Heimtücke an und belohne die Kriecherei, betrachte jede Unabhängigkeit als Verfehlung, belohne großzügig jede Denunziation, verurteile die Irrlehre jedes freien Gedankens, erniedrige die Unbestechlichen, mache dich lustig über jedes Ideal …“
Man könnte atemlos werden. Und das Lachen krampft sich im Magen zusammen. Es ist die blanke Wahrheit, die Michailowskis Wesir hier seinem Neffen sagt, den er als seinen Nachfolger für sein Amt schulen will. 15 Tage nimmt er sich dafür Zeit. Es ist selbst uralt, hat das osmanische Reich jahrzehntelang mit genau den Rezepten regiert, die er jetzt seinem Neffen geradezu atemlos beizubringen versucht. Soweit er sie noch nicht kennt.
Vielleicht ist es auch ganz Trojanows Wesir. Denn er hat mit Michailowskis Poem tabula rasa gemacht und das Ganze kurzerhand in eine moderne Prosa übersetzt, sich auch die ganzen von Michailowski eingebauten Feinheiten von Zitaten in allen möglichen gelehrten Sprachen erspart. Er lässt den Wesir Klartext reden. So, wie ihn wohl auch die Bulgaren immer verstanden haben, seit Michailowskis Buch erschien. Übrigens erst knapp 20 Jahre nach dem Ende der osmanischen Herrschaft in Bulgarien. Wer wollte, konnte in dem Wesir tatsächlich einen Vertreter der alten Kolonialmacht sehen, der hier frei von der Leber weg über die Methoden seines Machterhalts redete.
Ein Zirkus fürs Volk
Aber diese Methoden sind nicht außergewöhnlich. Im Gegenteil. Sie gehörten immer schon zum Erhalt autoritärer Herrschaft. Und etliches, was der Wesir hier ausplaudert, findet man so ähnlich auch in Machiavellis „Der Fürst“ und anderen Fürstenratgebern. Nicht alle haben so einen Skandal hervorgerufen wie „Der Fürst“. Denn die meisten boten immer noch ein Mäntelchen von Moral und christlicher Fürstentugend. So viel, dass darauf ein ganzes Genre edler Ritterromane aufbauen konnte.
Doch Macht war niemals edel oder gütig. Autokraten brauchen ein Volk, das den Starken und Rücksichtslosen bewundert. Denn es kuscht nicht, weil die Gesetze gerecht sind und die Herren edelmütig. Es kuscht, weil die Macht sich brutal gibt und rücksichtslos alle Idealisten köpft, rädert, aufhängt, erschießt oder – gnädig – nur für ein paar Jahrzehnte ins Straflager steckt. Man darf sich bei den Belehrungen des Wesirs immerfort an die Gegenwart erinnert fühlen. Und nicht nur die in den autokratisch regierten Ländern.
Denn eins haben die a-sozialen Medien in Gemeinschaft mit den ganz klassischen Skandalmedien geschafft: den Nutzern wieder das schöne Gefühl zu geben, dass Politik ein Zirkus ist, dem man mit Bewunderung für jeden Griff unter die Gürtellinie zuschaut.
„Es gehören stets zwei dazu, vergiss also nicht, dass das Volk belogen werden will, es will eingeschläfert werden mit leeren Phrasen und sinnlosem Getöse, es möchte an leere Versprechungen glauben“, sagt der Wesir. Und man denkt unwillkürlich an eine Flut genau so gestrickter Wahlkampfplakate. „Die Staatskunst ist ein Marionettentheater, das Volk hängt an den Fäden und nimmt es mit Belustigung hin, dass mit ihm gespielt wird.“
Willig und korrupt
Genau da darf einem das Lachen im Halse stecken bleiben. Die Satire gilt nicht nur dem mächtigen Wesir und seinen korrupten Handlangern, die gar nicht korrupt genug sein können, damit der Wesir in aller Ruhe durchregieren kann. Sie gilt auch dem Volk, das sich so gern betrügen lässt und den größten Schaumschläger zum Wahlsieger macht.
Hauptsache, er hat in der Arena gewonnen, egal, mit welchen Methoden. Denn das Volk redet zwar gern von Moral und Idealen, liebt aber – wie der Wesir in immer neuen Lehrstunden erklärt – vor allem den Zirkus und die lustigsten Clowns in der Manege.
Und natürlich die gelungene Inszenierung der Lüge. „Ohne Doppelzüngigkeit und Verschlagenheit kannst du die Menschen nicht nach Belieben führen“, sagt der Wesir. Da darf man an die Brexiteers denken, an die MAGA-Meute, an Autokraten aus aller Welt. Und an Medien, die die Anliegen diese Leute verkaufen, als wären es ernstzunehmende Dinge. Aber über Medien hat der Wesir auch so einiges zu sagen, über Idealisten oder korrupte Minister, die einem da aus jüngerer deutscher Vergangenheit ebenso einfallen.
Trojanow weiß, wie heutig diese Satire ist. Weil sie eben nicht nur die Herrschaftsmechanismen in einem Feudalstaat mit einem allmächtigen Minister beschreibt, der ganz genau weiß, dass seine Macht auf Grausamkeit, Gnadenlosigkeit, Lug und Trug aufgebaut ist.
Auch den eigenen Kettenhunden gegenüber, die sich am Staat bereichern und glauben, keiner merke das, wenn die Millionen einfach verschwinden. Aber wer Dreck am Stecken hat, ist jederzeit erpressbar und willig. Und der Wesir sammelt fleißig jede kleine Untat, jeden Unterschleif. Mit Dieben lässt sich gut regieren. Sie werden immer tun, was der Wesir befiehlt.
Entzückte Massen
Und das ganz und gar nicht Verblüffende ist: Was der Wesir sagt, ist gar nicht geheim. Kluge Leute haben diese Mechanismen der Macht und der Täuschung längst eingehend untersucht. Es gab ja stets genug Beispiele, die man nur mit etwas Abstand und ohne das ganze Brimborium von Volk und Ehre und glorreicher Zukunft untersuchen konnte. Und Trojanow stellt die Zitate all dieser Männer und Frauen, die die Mächtigen genauer analysiert haben, einfach neben den in Prosa übersetzten Text.
Säuberlich mit Verweisen versehen, die zeigen, auf welch eine Tradition menschlicher Gewieftheit der Wesir ganz beiläufig zurückgreifen kann, auch wenn er seine Kunst des Regierens dem Neffen verkauft, als hätte er sich alles ganz allein in einsamer Regierungsarbeit zugelegt.
Manches steht bei Machiavelli, manches bei Brecht, manches bei Hobbes, manches bei Lenin und Stalin, manches auch schon bei Aesop oder bei Jonathan Swift. Nur scheinen viele Menschen die Parabeln der großen Autoren und die Selbstbeschreibungen der Autokraten einfach nicht mit ihrer eigenen politischen Wirklichkeit in Bezug setzen zu können. Lieber glaubt man alle Versprechungen, mit denen die Wähler im Wahlkampf geködert werden. Auch wenn es dieselben wie vor zehn Jahren sind und auch damals nichts davon umgesetzt wurde.
Das Volk lässt sich ja so gern ködern. Es muss nur schneidig zugehen: Hoch die Fahnen! MAGA! Oder mit den Worten des Wesirs: „Das gezückte Schwert vermag die Massen sogar zu entzücken. Egal, ob auf kultivierte Weise, ob mit europäischer Finesse oder orientalischer Noblesse, egal, ob als Pöbel oder Tafelrunde, jede Gesellschaft hat ein Bedürfnis danach, unterdrückt zu werden. (…)
Das Volk schätzt nicht die Heldentat zum Wohle aller, sondern die Großtat an sich, ob gut oder schlecht, ob in ihrem Interesse oder nicht, spielt keine Rolle. Damit eine Maßnahme Zustimmung findet und Begeisterung entfacht, muss sie nur gigantisch sein, einzigartig und ungewöhnlich. Auf die Größenordnung kommt es an, nicht auf die moralische Ordnung.“
Her mit Grönland! Her mit Kanada!
Achja, das „Volk“
Man kann die Worte des Wesirs als Plädoyer für eine durch und durch amoralische Politik lesen. Oder eben als entlarvende Satire für autokratisches Machtdenken, das eben nicht nur Männer in Autokratien zelebrieren, sondern auch ihre Blutsbrüder, die sich als „Macher“ in Demokratien feiern lassen und tatsächlich nur an sich selbst denken, ihren Ruhm für die Geschichtsbücher und die Peanuts für die mitgebrachten Halunken.
Autsch. Aber es liest sich genau so und hat sich für die Bulgaren wohl über 100 Jahre auch genauso gelesen: als eine kluge, manchmal wirklich poetische und gnadenlose Beschreibung der Mechanismen der Macht, wie sie viele machtversessene Männer, die in Politik und Wirtschaft Karriere machen, wirklich verstehen.
Und auch so anwenden. Trickreich, ihren Machiavelli immer griffbereit, um darin die nächsten Winkelzüge zu finden, mit denen man das so leicht zu beeindruckende Volk dazu bringt, einem Stimme, Macht und Geld zu geben. Wobei man eben in Trojanows Übersetzung auch spürt, wie der Begriff „Volk“ bei diesen Leuten wirklich gemeint ist. Denn „Volk“ ist bei ihnen nur die verführbare und einzuschüchternde Masse, nicht der einzelne Mensch mit seinen Sorgen und Träumen.
Die Trickkiste der Macht
Was bleibt? Ein furioser Lesegenuss, bei dem man zwischen „So ist es!“ und „Diese Dreckskerle!“ hin- und hergerissen wird, mal heulen und mal fluchen will, und trotzdem von einem unbändigen Lachen zerrissen wird darüber, wie radikal Michailowski/Trojanow den Mächtigen die Maske vom Gesicht reißen. Mit einigen auf den Zitat-Seiten genussvoll ausgebreiteten Widersprüchen, denn dass die Perfidie der Macht nicht untersucht und kritisiert worden wäre in den vergangenen Jahrhunderten, kann man ja nicht sagen.
Wobei Trojanow auch die Apologeten der Macht nicht weglässt, die das, was der Wesir hier erzählt, mit quasi-philosophischem Bombast aufgeladen haben – wie der Nazi-Rechsphilosoph Carl Schmitt. Ist ja nicht so, dass die Schandtaten der Mächtigen nicht auch Anbeter finden, die die Verbrechen auch noch verklären.
Was aber der Lesefreude keinen Abbruch tut. Im Gegenteil: Die vielen Zitate zeigen, welchen Kosmos Michailowski mit seinem Poem tatsächlich aufgemacht hat und wie sehr seine Satire die menschliche Wirklichkeit trifft. Eine Wirklichkeit, in der die einen nicht mal wissen wollen, wie Macht funktioniert. Und wo die anderen bestens informiert jeden Trick anwenden, um Macht zu bekommen. Und zu behalten. Ein Buch, passend zur Zeit. So aktuell hat sich wahrscheinlich auch das bulgarische Vorbild zuvor nicht gelesen.
Ilija Trojanow „Das Buch der Macht“ Die Andere Bibliothek, Berlin 2025, 26 Euro.
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