In der Ukraine tobt seit drei Jahren der von Putin angezettelte Krieg. Er steht so stark im Fokus, dass man fast vergisst, dass vor 30 Jahren auch in einer anderen europรคischen Region der Krieg tobte und genau dieselben Verwรผstungen hinterlieรŸ. Nicht nur in den zerstรถrten Stรคdten und Dรถrfern. Auch in den Seelen der beteiligten Menschen. In denen der Geschundenen, Vertriebenen, Gefolterten. Aber auch in denen der Soldaten, die aus einer friedlichen Welt in diesen Irrsinn geraten sind und noch Jahrzehnte spรคter unter ihren Albtrรคumen leiden. Dies hier ist eine Soldatengeschichte.

Auch wenn im Titel einer der schรถnsten Flรผsse Bosniens steht โ€“ die Una. Und auch wenn der grรถรŸte Teil des Buches tatsรคchlich von friedlichen Zeiten erzรคhlt in einer Stadt am Ufer der Una, Bosanska Krupa, wo bis zum Krieg drei Gotteshรคuser nebeneinander standen โ€“ neben den beiden christlichen Kirchen die Stadtmoschee, die von den einrรผckenden bosnisch-serbischen Krรคften 1992 zerstรถrt wurde.

Heute ist sie wieder aufgebaut. Der Krieg ist lรคngst Geschichte. Aber fรผr den Mann, der hier seine Erinnerungen aufschreibt, ist das Leben geteilt in ein Davor und ein Danach. Im Danach ist er Schriftsteller, hat sich eingerichtet. Aber er weiรŸ, dass die Sache fรผr ihn nicht erledigt ist. Dass das alles noch erzรคhlt werden muss. Aber wie nur? Denn vom Krieg will er eigentlich nicht erzรคhlen. Jede Erinnerung an das, was er da erlebt hat, reiรŸt alte Wunden auf.

Getรถtet hat er auch. Auch das wiegt schwer, auch wenn er versucht, dafรผr eine nรผchterne Sprache zu finden und zu erklรคren, wie der Mensch sich verwandelt, wenn er eine Uniform anzieht, ein Gewehr nimmt und in Situationen geschickt wird, in denen jede Unvorsichtigkeit den Tod bringen kann und jeder Soldat auf der anderen Seite ein Feind ist. Wenn er also nur noch zum Tรถten unterwegs ist, zum Wachen in schlammigen Grรคben, zum Begraben seiner Freunde. Einem Zustand, in dem das wirkliche Leben mit all seinen Freuden schlichtweg nicht mehr existiert.

Der Albtraum des Nationalismus

Immer wieder schieben sich einige dieser Erinnerungen in den Erzรคhlstrom. Aber bis zuletzt grรผbelt er, wie er das alles eigentlich erzรคhlen sollte. Das โ€žVorherโ€œ war ihm viel wichtiger, denn das bestand nur noch aus Erinnerungen. Im Kopf stellt er die Liste all der Dinge zusammen, die sich einst in seine Wohnung befanden, bevor sich diese โ€“ wie so viele andere Hรคuser in der Stadt โ€“ in eine Ruine verwandelt hat. Vielleicht, dass andere noch die Erinnerungen an dieses frรผheren Lebens aus den Trรผmmern gesammelt haben.

So wie er als Soldat in fremden Hรคusern unterwegs ist und dort den vergilbenden Fotos der einstigen Bewohner begegnet. Denn das ist ja die Geschichte hinter diesem Krieg, der Wahnsinn des Nationalismus, der das alte Jugoslawien in Stรผcke riss und im Bosnienkrieg gerade die Heimat von Faruk ล ehiฤ‡ verheerte.

Die Zerstรถrung Sarajevos ist in der Regel vielen bekannt. Dass diese Zerstรถrungen auch kleinere Stรคdte betrafen, auch dort geplรผndert, gemordet und gefoltert wurde, eher nicht.

Aber man versteht, warum Faruk ล ehiฤ‡ darรผber eigentlich nicht erzรคhlen wollte. โ€žAber es sollte kein klassischer Bildungsroman sein, ohnehin bin ich ein Gegner des Erwachsenwerdens, denn ich war der รœberzahl an Menschen รผberdrรผssig, mรผde von der รผbertriebenen Ausfรผhrlichkeit ihrer Leben, weshalb ich im Buch so wenig wie mรถglich davon haben wollte. Freilich gelang es mir nicht, in dieser Absicht ein stilles Buch รผber das Wasser, die Pflanzen und die Tiere zu schreiben โ€ฆโ€œ

Auch wenn er es versucht.

Omas Haus am Fluss

Ganze Kapiel sind glasklare Erinnerungen an eine Kindheit an der Una, in Omas kleinem Haus dicht am Ufer des Flusses, das immer wieder von Hochwassern bedroht ist. Er schreibt vom Angeln und ganzen Tagen am Fluss, in denen er der einen besonderen Forelle nachjagt.

Er schildert den Fluss in den Jahreszeiten, seine grรผne Klarheit, wie er frisch aus dem Gebirge herabstrรถmt, seine schlammige Verfรคrbung, wenn er Hochwasser fรผhrt. Immer wieder kehrt er dahin zurรผck. Denn dieser Ort โ€“ die Kindheit im Kopf โ€“ ist Zuflucht und Verbindung in ein anderes Leben, das vom Krieg regelrecht abgeschnitten wurde. Einem Krieg, der auch Omas windschiefes Haus in Trรผmmer verwandelt hat.

โ€žWรคre ich katholisch, wรผrde ich meine jetzige Zerrissenheit zwischen dem Wunsch nach einem normalen Leben und dem Blutdurst fรผr heilig erklรคren, nicht mehr und nicht wenigerโ€œ, beschreibt er den Gang durch eine verlassene StraรŸe im Krieg.

โ€žDabei liebte ich mein Leben รผber alles, so sehr, dass ich sogar bereit war, dafรผr zu sterben. O sรผรŸe Zรคrtlichkeit des Krieges, die du mein Herz zur Explosion treibst. Und dieser Kriegshimmel, mit ockerfarbenen Sternen wie bei van Gogh, der sich รผber meiner Liebe zur unbekannten StraรŸe ausweitet, war die Rettung. Das weiรŸ ich erst jetzt. Vor der Verlockung von Hass und Rache.โ€œ

Frag mich nicht, wer ich bin

Denn das ist es eigentlich, was es ihm so schwer macht, die Erinnerungen an den Krieg zuzulassen. Weil der Krieg aus einem friedliebenden Menschen etwas macht, was ihm vรถllig fremd ist. In der Erinnerung an den Jungen, der er vor dem Krieg war, findet er Halt, das ist der Teil von ihm, der ihn mit seiner Vergangenheit verbindet. Aber da ist noch der Andere, der er im Krieg sein musste.

Den er im Grunde gleich im ersten Satz erwรคhnt, mit dem er in seinen Roman einsteigt. Der auf keinen Fall ein Bildungsroman werden sollte: โ€žIch, das bin manchmal nicht ich; ich, das ist Gargano. Dieser andere ist das wahre Ich. Der aus dem Schatten. Der aus dem Wasser. Blond, zerbrechlich, schwรคchlich. Frag mich nicht, wer ich bin, denn das macht mir Angst.โ€œ

Aber letztlich fragt er sich das doch. In Bildern, Erinnerungen, manchmal Trรคumen. Als hรคtte er ganze Teile seines Lebens unter der Hypnose des indischen Magiers aus dem Zirkus erlebt. Als wรคre das einem Anderen passiert. Im Grunde brachte es Saลกa Staniลกiฤ‡ schon auf den Punkt, als er zu diesem Buch feststellte, dass es ein Buch รผber das รœberleben ist. So wie es 15 Jahre nach dem Krieg erzรคhlbar war.

Als Bildungsroman schlicht unmรถglich. Als Abenteuerroman erst recht. Das Leben ist zweigeteilt. Die Erinnerung an die Stadt der Kindheit fast selbst schon Mythos. Die Blitzlichter aus dem Kriegserleben eigentlich nicht auszuhalten, nur noch aus der Distanz erzรคhlbar. Als wรคre er gar nicht dort gewesen. So wie man das รผberhaupt noch erzรคhlen kann, ohne in seinen eigenen Albtrรคumen zu landen.

In Bosnien und Herzegowina machte das Buch Furore, als es 2011 erschien. Seither wurde es in 17 Sprachen รผbersetzt und erscheint nun endlich auch in der Reihe Sonar von Voland & Quist und ergรคnzt jene Titel, mit denen der Sรผdosten Europas dort vertreten ist. Und auch wenn es ein anderer Krieg war, schildert Faruk ล ehiฤ‡ hier etwas, wie es auch die ukrainischen Soldaten erleben.

Und viele werden sich spรคter so oder so รคhnlich an ihren Krieg erinnern. An ein geradezu mythisches Vorher und ein zerrissenes Danach. Und vielleicht einen Fluss, der sie wie die Una mit ihrer Kindheit und ihrem verloren gegangenen Selbst verbindet.

Faruk ล ehiฤ‡ โ€žVon der Unaโ€œ Voland & Quist, Berlin und Dresden 2025, 24 Euro.

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