Wie schafft man einen Tyrannen aus der Welt? Das ist ja eine hochaktuelle Frage. In Syrien haben es die Syrer selbst in die Hand genommen. In anderen Ländern sitzen die Typen scheinbar fest im Sattel und alle Proteste nutzen nichts. Es ist ganz bestimmt kein Zufall, dass sich Historikerinnen und Historiker auf einmal wieder intensiver mit der Geschichte des Römischen Reiches beschäftigen. Und der brennend aktuellen Frage: Wie gefährdet ist die Demokratie?

Bei den großen historischen Vorbildern für Demokratie denkt man ja zumeist an Athen. Das Römische Reich fällt einem da nicht sofort ein, weil die römische Geschichte über Jahrhunderte von Kaisern geprägt war. So sehr, dass man glattweg übersieht, dass Rom über 450 Jahre lang eine Republik war mit Senatoren und Konsuln und einem tief verankerten Misstrauen gegen Alleinherrscher aller Art.

Über einen der berühmtesten Vorfälle, mit dem die römische Demokratie gewaltig in Gefahr geriet, schrieb die Leipziger Historikerin Charlotte Schubert ja gerade erst das Buch „Der Tod der Tribune“.

Michael Sommer ist Professor für Alte Geschichte an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und nimmt sich nun in diesem Buch jenen Moment vor, in dem die Republik tatsächlich beendet wurde. Nicht durch den Mord an Caesar. Sondern durch Caesars Aufstieg am Ende blutiger Bürgerkriege, in denen machtbesessene Männer bei ihrem Kampf um die Macht am Ende das ganze republikanische System aushebelten.

Ein System mit sehr ausgeklügelten Machtbalancen zwischen der römischen Elite – einer kleinen Zahl von Familien, die über Jahrhunderte die römische Politik bestimmten, und dem Volk, dem Plebs, wie er ja wirklich genannt wurde.

Auch du, Brutus?

Doch schon lange vor dem Auftreten von Cäsar, Pompeius und Antonius zeichnete sich ab, dass nicht mehr im Senat entschieden wurde, wer am Ende der starke Mann im Staat war, sondern in den Kriegen weitab von Rom. Bei den Legionen, die schwerreiche Männer mit eigenen Mitteln aufstellten, um damit Provinzen für Rom zu erobern. Männer, die nur zu bereit waren, die geradezu heiligen Regeln der Republik einfach zu ignorieren und ihre Rolle als Diktator dazu zu nutzen, mit ihren Feinden radikal abzurechnen.

In gewisser Weise war der Auftritt Sullas als Diktator schon eine Art Blaupause für das, was dann 30 Jahre später geschah. Aber natürlich geschieht nichts nach dem immer selben Grundmuster. Kräfteverhältnisse ändern sich. Parteien bilden sich. „Starke Männer“ erleiden Niederlagen. Und am Ende passiert ein Mordfall, der eigentlich zur Rettung der Republik gedacht war, der aber letztlich tatsächlich den Weg in die Tyrannei eröffnete und die Anhänger der alten Republik zu Freiwild machte.

Ein Mordfall, der längst auch Theatergeschichte gemacht hat mitsamt dem sterbenden Caesar zugeschriebenen „Auch du, Brutus?“ Ein Satz, der zwiespältiger nicht sein konnte. Denn einerseits war dieser berühmte Marcus Brutus Mitglied einer Familie, die seit den Taten seines Ahnherrn Lucius Brutus geradezu stellvertretend stand für die Verteidiger der Republik.

Andererseits hatte auch Marcus Brutus von Caesars Belohnungssystem profitiert. Wie auch etliche andere Senatoren, die sich zu Beginn des Jahres 44 v.u.Z. verschworen, den zum Alleinherrscher mutierenden Caesar umzubringen, bevor der Mann unangreifbar geworden wäre.

Kein Mord ohne Vorgeschichte

Es ist ein Mord mit Vorgeschichte, nicht nur, was die Motive der Beteiligten betrifft, sondern auch die römische Geschichte selbst, die bis dahin nun einmal eine republikanische Geschichte war, auch wenn sie in den letzten Jahrzehnten immer wieder von Bürgerkriegen geprägt war und von Männern, die ohne Skrupel althergebrachte Regeln außer Kraft setzten und auch vor Gewalt nicht zurückscheuten, um ihre Interessen durchzusetzen.

Und all das ist in der römischen Geschichtsschreibung durchaus gut dokumentiert – wenn auch oft sehr eingefärbt. Man darf den Quellen nicht bedingungslos glauben. Aber man kommt den Tatsachen näher, wenn man die Motive der Autoren kennt, stellt Michael Sommer fest und seziert diesen Mordfall so akribisch, als wäre es tatsächlich ein Kriminalfall von heute.

Er untersucht die Motive und Lebensläufe der wichtigsten Beteiligten, nimmt die großen politischen und kriegerischen Ereignisse unter die Lupe, die vor allem jenem Moment im Jahr 49 v.u.Z. vorausgehen, als Caesar nach seiner Rückkehr aus Gallien den Rubikon überschritt und damit Ereignisse in Gang setzte, die niemand mehr aufhalten konnte. Auch wenn die Republik schon vorher zum Spielball von Männern wie Clodius, Crassus und Pompeius geworden war. Keiner berichtet davon so umfassend und zeitnah wie Cicero in seinen Briefen und Schriften.

Aber hätte es damals schon Zeitungen gegeben, das Volk von Rom hätte den Ereignissen genauso ratlos gegenüber gestanden, wie es heute viele Wähler den auftrumpfenden Populisten aller Art gegenüber tun. Man muss die gegenwärtigen Zustände nur genügend schlecht reden, dann erscheint ein „starker Mann“ ziemlich bald als großer Retter in der Not, erst recht, wenn diese durch ihre Kriege reich gewordenen Männer das Volk auch noch üppig beschenken und mit ihren Soldaten über eine Macht verfügen, mit der sie den Frieden im Land jederzeit beenden können.

Geld regiert die Welt

Geld regiert die Welt. In Rom war das kein platter Spruch. Und auf einmal hat man so ein vertrautes Gefühl, wenn man diese über 2.000 Jahre zurückliegenden Vorgänge mit den Entwicklungen unserer Gegenwart vergleicht, wo unersättlich reiche Männer ohne Skrupel die Demokratien des Westens – allen voran die der USA – angreifen und kein Problem damit haben, die so lange funktionierenden Checks and Balances außer Kraft zu setzen, um sich im Grunde eine diktatorische Machtfülle zu sichern.

Andere populistische Parteien funktionieren gar nicht anders. Auch nicht in ihrer Demagogie. Und sehr genau zeichnet Sommer, wie zerrüttet die römische Republik schon war, als sich Caesar erstmals mit Pompeius und Crassus zum sogenannten „Ersten Triumvirat“ zusammentat. Und wie eigentlich schon da alles darauf hinauslief, dass einer dieser Männer nach der dauerhaften Alleinherrschaft streben würde.

Über 400 Jahre hatte der römische „Mythos von der Freiheit“ funktioniert, wenn auch zuallererst im Sinn der wenigen fürs Senatorenamt prädestinierten Familien. Ämter im alten Rom waren mit Würde und Ehre verbunden. Und sie waren teuer. Selten schaffte es ein homo novus, in diesen illustren Kreis vorzustoßen.

Und trotzdem gab es Männer wie Cato, die – aus stoischem Weltverständnis – die alten Werte nicht nur hochhielten, sondern auch bereit waren, dafür ihr Leben zu opfern. Das gehört im „Fall Caesar“ einfach dazu: auch die anderen Spieler auf der Bühne zu zeigen. Und Cato, Cicero, Trebonius und Kleopatra bekommen in jenem Teil der Falluntersuchung ihr eigenen Kapitel, in dem die römische Republik schon fast unaufhaltsam auf die Diktatur zurollt.

Wer war der Anstifter?

Doch keiner von ihnen kann Caesars Aufstieg verhindern. Als es dann ab Januar 44. v.u.Z. zur Verschwörung kommt, rücken Cassius, Marcus und Decimus Brutus, Ligarius und Antonius in den Fokus des historischen Forensikers, der unbedingt wissen möchte, wer eigentlich die Verschwörung angestiftet hat und wie der Anschlag auf Caesar heranreifte. Von den Motiven der Beteiligten ganz zu schweigen.

Deutlich aber wird, wie ihnen die Zeit im Nacken sitzt, denn zuschlagen müssen sie, bevor Caesar mit seinen Legionen aufbricht, um gegen die Parther in den Krieg zu ziehen. Weshalb sich alles in den „Iden des März“ bündelt und jener letzten Senatssitzung, zu der Caesar noch einmal im blutroten Gewand des Diktators auftreten soll – ohne Leibgarde.

Was heutigen Diktatoren ja nicht mehr passieren wird. Sie haben alle aus der Geschichte gelernt. Auch die dümmsten, die nicht einmal über das strategische Genie eine Caesar verfügen. Dass die Verschwörer nicht wirklich überschauen, was da auf sie zukommt, erzählt Sommer dann im letzten Kapitel, als zwar der Anschlag gelingt und die Verschwörer mit ihren blutigen Waffen hinaus aufs Forum treten. Aber sie haben nicht vorausgesehen, wie der Plebs von Rom auf das blutige Attentat reagieren würde. Und auch nicht, wie wenig genügen würde, aus ihnen statt „Rettern der Republik“ verfolgte Staatsfeinde zu machen.

Was den Vorwurf nach sich zog, sie hätten zwar wie Männer gehandelt, aber wie Kinder gedacht. Auch das eine zeitgenössische Einschätzung, die ein wenig den Blick darauf verstellt, dass dieses Problem auch heute noch jeden betrifft, der versucht, ein Land beim Abkippen in die Diktatur aufzuhalten. Denn da geht es um den Glanz „mächtiger Männer“ genauso wie um das, was „das Volk“ dabei fühlt und denkt oder wer es am besten manipulieren kann.

Denn wie schon Bert Brecht richtigerweise sagte: Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Und in diesem entscheidenden Jahr 44 v.u.Z. hatten die Römer garantiert die Nase voll von all den Kriegen und Bürgerkriegen, die Rom nun seit Jahren in Atem hielten. Mit Cäsar verbanden sie ganz bestimmt die Hoffnung, dass jetzt endlich Ruhe einkehrte im Land.

Der geplatzte Traum von Freiheit

Auch so entstehen die Hoffnungen, die man mit „starken Männern“ verbindet. Und Caesar war ja höchst spendabel, auch nach seinem Tod noch. Aber Michael Sommer zeigt eben auch, dass selbst so ein Ereignis wie Caesars Ermordung eine lange Vorgeschichte hat. Eine Vorgeschichte, in der der Zustand der alten Republik genauso eine Rolle spielt wie die Rolle diverser macht- und prestigehungriger Männer und die Persönlichkeit Caesars, die sich erst genau unter diesen Bedingungen entfalten konnte.

Hier wird die Spannung von Geschichte greifbar, die die Historiker regelrecht zu Forensikern macht. Die dann – wie Michael Sommer – einen über 2.000 Jahre zurückliegenden Mordfall untersuchen, als wäre er gerade eben passiert.

Und auch wenn es Sommer gar nicht benennt und sich Verweise auf die Gegenwart erspart, spürt man, dass dieses Stück römische Geschichte voller Aktualität ist. Vielleicht nicht erklärt, was gerade in der Gegenwart passiert. Aber zeigt, wie Menschen in solchen Situationen agieren und reagieren. Und Dinge in Bewegung kommen, weil eine Handvoll Leute begonnen hat, das Bestehende für unwichtig und überholt zu erklären und zu behaupten, das ginge alles viel besser, wenn nur ein „richtiger Mann“ die Zügel in die Hand nimmt.

Am Ende bedeutet dies das Ende der Republik und eines jahrhundertelang funktionierende Traumes von Freiheit, der mal das Herz Roms schlagen ließ.

Sommer kommt den wahrscheinlichen Motiven der Täter sehr nahe. Und zeigt damit letztlich auch, warum das Komplott trotzdem scheiterte, obwohl Caesar starb. Und damit letztlich auch, warum die Tötung des Tyrannen allein nicht genügt, wenn man die Republik retten will. Oder glaubt, es zu wollen, was bei den Tatbeteiligten auch nicht so eindeutig ist.

Noch so eine Lehre für die Gegenwart: Nichts ist so eindeutig, dass man es hübsch in gut und böse, schwarz und weiß teilen kann. Menschen sind käuflich, opportunistisch, auf ihren Vorteil bedacht und selten so aufrecht und berechenbar wie ein Cato. Eher so windelweich wie Cicero, der um seine Schwächen nur zu genau wusste und möglicherweise Caesar sogar ganz öffentlich gewarnt hat, dass sich da was zusammenbraut. Wozu er nicht einmal Hellseher sein musste, nur ein verdammt guter Beobachter.

So spannend kann die Aufarbeitung eines historischen Kriminalfalls sein. Und so lehrreich für eine ganz ähnlich unüberschaubare Gegenwart.

Michael Sommer „Mordsache Caesar“ C. H. Beck, München 2024, 26 Euro.

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