Begegnet sind sie sich nie – der Theologe Dietrich Bonhoeffer und der Schriftsteller Jochen Klepper. Aber was wäre, wenn sie sich in Berlin doch über den Weg gelaufen wären? Sie müssten sich doch bestens verstanden haben, vermutet Wolfgang Böllmann, Pfarrer im Ruhestand, für den beide Persönlichkeiten Anregung und Vorbild waren. Beide haben Menschen inspiriert – auch und gerade in der finsteren Zeit des Nationalsozialismus, den beide nicht überlebten.
Der eine engagierte sich im Widerstand, war extra aus Amerika zurückgekehrt, weil er seinen Platz dort sah, wo man gegen die Finsternis kämpfen konnte. Der andere war gerade dabei, beim Rundfunk eine Zukunft zu finden, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen und diese Zukunft zerstörten. Denn Jochen Klepper hatte Hanni Stern, eine jüdische Rechtsanwaltswitwe, geheiratet. Was ihm mit den neuen Rassegesetzen der Nazis fortan eine Arbeit beim Rundfunk unmöglich machte.
Er suchte sein neues Auskommen als Schriftsteller, veröffentlichte zum Beispiel 1937 den Roman „Der Vater“ über den preußischen Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., den Vater Friedrich II., der auch damals schon im Schatten seines Sohnes stand. Vielleicht zu Unrecht. Kleppers Roman jedenfalls wurde viel gelesen – auch von den Offizieren der Wehrmacht. Nur trafen die Rassenvorurteile der Nazis auch Kleppers Arbeit als Schriftsteller: Ein Ausschluss aus der Reichsschrifttumskammer drohte ihm auch diese Einnahmequelle zu nehmen.
Doch viel schlimmer war es für ihn zuzusehen, wie sich das Vorgehen der Nazis gegen die Jüdinnen und Juden immer mehr verschärfte. Nur seiner Stieftochter Brigitte gelang noch kurz vor Kriegsausbruch 1939 die Flucht nach England. Kleppers Versuche, seiner Frau Hanni und der Stieftochter Renate die Ausreise nach Schweden zu ermöglichen, scheiterten noch 1942, obwohl er durchaus Kontakte zu höheren NS-Funktionären hatte.
Verbunden im Glauben
Im Grunde ist Böllmanns Buch über die fiktiven Begegnungen Bonhoeffers mit Klepper ein Versuch, gerade Klepper wieder ins Gedächtnis der Gegenwart zurückzuholen. Bis heute werden seine tiefgläubigen Gedichte und Lieder immer wieder mal aufgelegt. Gedichte, die zu Herzen gehen und von seiner tiefen Gottergebenheit erzählen, die er sich bis zum Schluss bewahrte, auch wenn er sich nie wie Bonhoeffer berufen fühlte für ein Pfarrersamt.
Aber in einem begegnen sich die beiden in diesen fiktiven Gesprächen, die im Kern auf die original überlieferten Dokumente zurückgehen: In ihrem Anspruch, ihren Mitmenschen Trost zu geben und Mut zuzusprechen in scheinbar ausweglosen Zeiten. Doch beide zogen aus ihrem tiefen Glauben unterschiedliche Schlüsse. Während es bei Jochen Klepper im Grunde auf eine Ergebenheit in sein Schicksal hinauslief, bestärkte es Bonhoeffer darin, aktiv zu werden und alles zu tun, was in seinen Kräften stand, gegen das finstere Regime Hitlers anzuarbeiten.
Zu Klepper schreibt Böllmann: „Ich habe seine Enttäuschung nachempfunden, dass sich die im Glauben an Gott begründete Treue zu den Vätern, die er auch auf seine Obrigkeit bezog, gegen ihn wendete.“
Eine Haltung, die Bonhoeffer so nie geteilt hätte, sah er ja selbst in der Bibel, dass es dort die eine, gottgegebene Obrigkeit nicht gab, sondern viele Erzählungen gerade im Alten Testament von Herrschern berichten, die gegen die Gebote Gottes handeln und den Zorn Gottes deshalb auf sich ziehen. Was Bonhoeffer bestärkte in der Ansicht, dass ein mutiger Christ gegen diese Herrscher kämpfen müsse, um dem Gewissen wieder einen Platz in der Welt zu verschaffen.
Wie bewahrt man sich die Zuversicht?
Und dass Kleppers Urvertrauen in die Gottgegebenheit der Herrscher am Ende für ihn zur Tragödie werden würde, erlebt man ja regelrecht mit, wenn Böllmann am Ende die letzten Lebensjahre seiner beiden Protagonisten erzählt – die letzten Versuche Kleppers, seine Familie vor den Vernichtungslagern der Nazis zu retten, etwas kürzer. Denn diese Versuche endeten ja mit einer niederschmetternden Enttäuschung, die Klepper am Ende den Freitod wählen ließ. Da war er gerade 39 Jahre alt.
Auch das eine Parallele zu dem jüngeren Dietrich Bonhoeffer, der ebenfalls 39 war, als ihn die Nazis am 6. April 1945 hinrichteten. Die letzten Jahre hatte Bonhoeffer im Gefängnis verbracht und dort einige seiner bis heute vielgelesenen Schriften verfasst. Die sich natürlich auch mit der Frage beschäftigten, wie man in seinem Glauben auch dann stark und zuversichtlich sein kann, wenn die Zukunft eigentlich aussichtslos ist. Wie schafft man es unter solchen Umständen, nicht zu verzweifeln oder gar zu zerbrechen, stattdessen selbst noch Mutmacher für Andere zu sein?
Das ist nicht nur eine Frage für Gläubige. Das reicht viel weiter. Und steht immer wieder für aufrechte Menschen, die unter Bedingungen zu leiden haben, die gerade das Menschliche auszulöschen drohen. Das sieht auch Böllmann so – auch wenn er vor allem das christliche Selbstverständnis der beiden Männer in den Mittelpunkt seiner Geschichte rückt.
„Um das, was ihn im Evangelium Jesu Christi ergriffen hatte, für Deutschland zu bewahren, der Welt freie Entfaltungsmöglichkeiten und damit echte Menschlichkeit zu erhalten, hat er sich nicht gescheut, dem menschenverachtenden Rad des Nationalsozialismus in die Speichen zu greifen“, schreibt er zu Bonhoeffer.
Menschlichkeit braucht auch heute Mut
Und Böllman erinnert auch daran, dass es rund 80 Jahre nach dem Tod dieser beiden Männer wichtig ist, an ihr Wirken zu erinnern. Denn dieser Mut bleibt immer aktuell, ist es heute wieder, wo eine Menge Leute wieder von diktatorischen Zuständen träumen und ganz selbstverständlich in Kauf nehmen, dass wieder Menschen entrechtet und unterdrückt werden.
Das braucht mehr als einen deutlichen Appell an menschliche Aufrichtigkeit und den Mut, sich gegen die Wortführer der Entmenschlichung zu stellen. Und – wie Klepper – auch jenen Zuversicht zu geben, die an den Zuständen verzweifeln.
Und das muss nicht einmal in einem beiderseitigen Übereinstimmen enden. Auch das demonstriert Böllmann in den Gesprächen der beiden: Manchmal enden sie einfach im Schweigen und in der Akzeptanz, dass man die Haltung des Anderen nicht wirklich nachvollziehen kann – aber akzeptieren und auch ein Stück weit verstehen. Aber dazu braucht man nun einmal die Bereitschaft zum Zuhören und dazu, sein Gegenüber auch in seiner Ratlosigkeit zu akzeptieren.
In gewisser Weise sind sich die beiden am Ende eben doch begegnet, wenn auch nur in fiktiven Gesprächen, die jedes für sich die Dimensionen des Menschseins beleuchten in Zeiten wie diesen. Zeiten, in denen es ringsum sichtlich nicht viel gibt, was einem Hoffnung macht, dass es jemals wieder besser wird.
Wolfgang Böllmann „Wenn ich dir begegnet wäre …“ Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2024, 18 Euro.
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