Der Titel dieses Buches ist irreführend. Genauso wie der Name der Übersetzungs-App www.machtsprache.de, die Lucy Gasser und Anna von Rath 2021 gegründet haben. Es ist ein Spiel mit der Doppeldeutigkeit, die tief in der deutschen Sprache verankert ist und die Macht mit dem Machen nicht ganz zufällig in engste Verwandtschaft gebunden hat. Unauflöslich, könnte man sagen.
Denn Sprache bildet natürlich Verhältnisse ab. Damit auch Machtverhältnisse. Obwohl genau das, was die App andeutet, so nicht zutrifft: Die deutsche Sprache ist (genauso wenig wie etwa das Englische) nicht die Sprache „alter weißer cis-Männer“. Schön wär’’s. Dann wäre das Entrümpeln so schön einfach. Es ist eben nicht einfach Machtsprache. Und gemacht hat sie auch keiner.
Was Lucy Gasser und Anna von Rath indirekt auch zugestehen, wenn es um all die heutigen Versuche geht, das Sprechen und Schreiben „gerechter“ zu machen. Wobei es auch darum eigentlich nicht geht. Jedenfalls nicht um Gerechtigkeit. Sondern um Gleichberechtigung, Respekt und Wahrnehmung. Um eine inklusive Sprache. Oder doch eher um eine inklusivere.
Um die vor allem die Betroffenen der sprachlichen Ausgrenzung und Abwertung nun seit Jahren ringen und auch kämpfen. Da geht es um viel mehr als die hart umkämpften Gendersternchen, die endlich dafür sorgen sollen, dass sich auch sprachlich die Tatsache abbildet, dass es nicht nur Menschen gibt, die sich eindeutig den beiden Kategorien männlich und weiblich zuordnen lassen wollen. D
ass der Kampf zum Beispiel auf diesem Gebiet so ausdauernd und öffentlich geführt wird, hat natürlich damit zu tun, dass Menschen, die sich nicht als cis definieren, tatsächlich benachteiligt, ausgegrenzt und diskriminiert wurden – bis in die Gesetzeslage hinein. Hinter der sprachlichen Ausgrenzung steckte (und steckt) auch eine reale.
Welche Norm gilt?
Die Sprache kann nichts dafür. Die bildet ab, was ist und wie es die Sprechenden wahrnehmen. Sie schaffen damit auch Normen, welche die Sprache strukturieren. Und zum Widerstand gegen alle Veränderungen am Sprachgebrauch gehört auch eine sehr junge Tatsache – nämlich das Bemühen von Wissenschaftlern, Reformern und Verlegern, überhaupt eine einheitliche Normsprache zu setzen, die in Schulen vermittelbar und in einer auf schriftliche Verständigung angewiesenen Gesellschaft notwendig ist.
Ein Thema, über das in all den heutigen Sprachkämpfen praktisch nie gesprochen wird. Unsere ganze heutige wissensbasierte Gesellschaft ruht auf einer mit viel Fleiß und vielen Duden-Auflagen entwickelten Normsprache, die für alle gültig und entschlüsselbar ist.
Nicht unbedingt verbindlich. Das betont ja auch immer wieder die Duden-Redaktion, wenn wieder einmal das Gejammer interessierter Kreise anhebt, der „Duden“ wolle den Deutschen Vorschriften fürs Sprechen und Schreiben machen. Da haben dann einige Leute im Deutschunterricht nicht aufgepasst: Der „Duden“ hält den aktuellen Stand des Sprachgebrauchs in Deutschland fest, zeigt also, wie die Deutschsprechenden aktuell – in der Regel – sprechen und schreiben.
Das entwickelt sich permanent. Sprache ist kein starres Gebilde, sondern sie fließt. Und sie bietet Widerstände. Denn wie gesprochen wird, das bestimmen keine Sprachprofessoren. Und auch nicht all die Leute, die sich aus guten Gründen jede Menge Gedanken machen darüber, wie man „sensibel und diskriminierungsarm“ sprechen und schreiben könnte.
Was übrigens auch ein Begehren aus der Not ist. Denn zur Wahrheit gehört eben auch, dass man auch mit der gewöhnlichen Normsprache diskriminierungsarm schreiben kann. Dafür muss man sich ein bisschen Mühe geben und auch die Betroffenen mitdenken. Beziehungsweise die Vergessenen, all jene Menschen, die sich nicht mitgemeint fühlen, wenn man einfach von Männern und Frauen schreibt oder das generische Maskulinum nutzt.
Das ja nicht entstanden ist, weil mächtige Männer unbedingt im Mittelpunkt stehen wollten, sondern weil Sprache auch zur Vereinfachung drängt. Menschen wollen nicht erst groß nachdenken beim Sprechen. Spreche sollte leicht und selbstverständlich sein und trotzdem die Botschaft vermitteln, die man vermitteln will.
Weniger Gedankenlosigkeit
Das Problem: Dadurch haben sich auch uralte Vorurteile in der Sprache festgesetzt. Ausgrenzungen, Abwertungen und Diskriminierung. Übrigens nicht nur gegen marginalisierte Menschen, die sich in die Stereotype von männlich und weiblich nicht fügen wollen und können.
Die beiden Autorinnen durchstreifen auch die anderen Felder von Ausgrenzung und Diskriminierung durch unsensibles Sprechen – da geht es um all die Menschen mit BeHinderungen (wie sie es schreiben), die in der Vergangenheit immer wieder zu den abgewerteten Gruppen gehörten. Da geht es aber auch um den in der Sprache manifesten Rassismus, der heute besonders im Fokus der Kritik steht.
Und nein: Es ist nicht zu viel Anstrengung, sich damit auseinanderzusetzen. Nur weil es ganze Generationen gedankenlos so gesagt haben, heißt das nicht, das wir es einfach weitervererben sollten. Denn damit geben wir rassistische Vorurteile weiter. Und falsche Menschenbilder. Die vielleicht historisch erklärbar sind, da ja nun gerade die Weißhäutigkeit in unseren Breitem über Jahrhunderte das erlebte Normale war.
Von Jahrtausenden darf man gar nicht sprechen, denn die frühen Europäer waren alle – durch die Bank – dunkelhäutig.
Natürlich passiert da was im Kopf, wenn man sich erst einmal damit auseinandersetzt, dass die in unserer Sprache verfestigte Norm nicht allgemeingültig ist. Und dass die ganzen Abwertungen anderer Menschen mit anderem Aussehen aufs engste mit dem europäischen Kolonialismus verbunden sind.
Der ja nicht nur 30 Jahre dauerte, sondern über 500. Und damit den vollen Zeitraum der Herausbildung der deutschen Normsprache seit Luther umfasst.
Diskriminierung und (unsichtbare) Privilegien
Aber die Welt hat sich verändert, ist weiter, globaler und offener geworden. Menschen aus anderen Ländern und Kulturen gehören längst zum normalen Alltag in Deutschland – auch wenn sich viele Bewohner in deutschen Provinzen bis heute schwertun. Gerade dann, wenn sie mit diesen Menschen gar nicht in Berührung kommen. Das Fremde ist meist besonders unheimlich, wenn man es nur vom Hörensagen kennt.
Und all die durch Sprache und tatsächliche Barrieren immer wieder diskriminierten Menschen kritisieren natürlich berechtigt das immer noch praktizierte rassistische und postkoloniale Sprechen. Sie insistieren richtigerweise darauf, genauso einschließlich genannt und behandelt zu werden wie die weißhäutige Mehrheitsgesellschaft.
Wobei Lucy Gasser und Anna von Rath wissen, dass auch das nicht so einfach ist, denn auch bei den Diskriminierungen geht es nicht nur um Schwarz und Weiß. Sie bemühen des Öfteren das Bild von der Kreuzung, an der sich Menschen auf verschiedensten Straßenseiten in unterschiedlicher Entfernung aufhalten und dabei erleben, dass etliche von ihnen sogar mehreren Diskriminierungen gleichzeitig ausgesetzt sind: Diskriminierung wegen der Hautfarbe überlappt sich dann beispielsweise mit gleichzeitiger Diskriminierung durch BeHindertwerden und/oder Diskriminierung wegen des Geschlechts.
Was dann auch noch einmal die ja nach wie vor bestehende Ungleichwertigkeit von Mann und Frau ins Bild rückt. Und dahinter lauert für sehr viele Menschen eine weitere Diskriminierung, die fast nie wirklich beim Namen genannt wird: Klassismus.
Da wir dann schon deutlicher, worum es bei all den Kämpfen marginalisierter Gruppen letztlich geht – nämlich darum, wie Macht sich tatsächlich in der Gesellschaft manifestiert: durch Privilegien. Und diejenigen, die über die Privilegien verfügen (und damit über mehr oder weniger Macht), versuchen natürlich (meist ohne überhaupt darüber nachzudenken), diese Privilegien zu verteidigen.
Eine Sprache der Privilegierten
Was natürlich auch zum Ergebnis hat, dass Diskussionen um ein inklusives und diskriminierungsfreies Sprechen jedes Mal ausarten in eine regelrechte Saalschlacht. Mit lauter Argumenten, die man immer wieder zu hören bekommt, die aber vor allem auf eins hinauslaufen: sich einem Nachdenken über ein aufmerksameres Sprechen zu verweigern. Auch wenn den Sprechern meist nicht einmal bewusst ist, dass es dabei um ihr Privilegiertsein geht, wie die beiden Autorinnen feststellen.
Das ist das größte Beharrungsmoment in unserer Gesellschaft. Auch und gerade weil die Inhaber der Privilegien in der Regel damit reagieren, diese Bevorrechtung zu dementieren und den Minderprivilegierten vorzuhalten, sie würden sich nur nicht genug anstrengen. Sie hätten wohl auch nicht die besonderen Talente, welche die Privilegierten an die Spitze gebracht hätten.
Dass sie dabei von Strukturen profitieren, die die Kinder von Privilegierten auch weiterhin privilegieren und in jeder Hinsicht bevorteilen, wird dabei völlig ignoriert. Oder man trampelt extra hochnäsig auf den „Erniedrigten und Beleidigten“ herum. Auch das gibt es leider. Das sind dann meistens Leute, die auch genau wissen, wie sie diskriminierende Sprache verwenden. Und warum.
Aber es gibt auch die Anderen, auch Menschen in mehr oder weniger privilegierten Positionen wie etwa der akademischen Welt, in Politik und Medien, die sehr wohl gern diskriminierungsfrei sprechen und schreiben möchten. Im Grunde sind sie es, für die Lucy Gasser und Anna von Rath die App www.machtsprache.de entwickelt haben und immer weiter fortentwickeln, sehr wohl wissend, dass es keinen endgültigen Stand beim sensibleren Schreiben gibt. Denn viele der Sprachformen, mit denen marginalisierte Gruppen um mehr Sichtbarkeit ringen, sind im Fluss, sind selbst in den Gruppen der Betroffenen in der Diskussion. Worte, die einst als diskriminierend gemeint waren, wurden von den Betroffenengruppen beispielsweise okkupiert und in ihrem Sinne gedreht und mit eigenem Stolz aufgeladen. Was aber nicht bedeutet, das nun auch alle Nichtbetroffenen so sprechen dürfen.
Wer spricht hier eigentlich für wen?
Womit eine wesentliche Position beim Sprechen benannt ist: Ist man selbst betroffen? Oder eignet man sich etwas an, was einem nicht zusteht? Was natürlich auch all die heute immer noch heftig in Medien, wissenschaftlichen Arbeiten und Büchern geführten Debatten betrifft, in denen die Vertreter der unterschiedlichsten betroffenen Gruppen um die Sprache ringen. Und oft um das Wort, mit dem sie selbst sich tatsächlich erst mitgemeint und angesprochen fühlen.
Mit www.machtsprache.de geben Lucy Gasser und Anna von Rath allen Interessierten ein Werkzeug an die Hand, das beim Nachvollziehen eines diskriminierungsfreien Sprechens hilft. Ihnen ist aber auch bewusst, dass sich diese Landschaft trotzdem immer wieder verändert. Sprache ist im Fluss.
„Nicht alle kreativen Ansätze, Methoden und Wortneuschöpfungen sind für alle Konzepte und Positionierungen geeignet“, schreibt eine der beiden Autorinnen in einem abschließenden fiktiven Gespräch. „Einige sprachliche Interventionen wurden nicht für die sprachliche Existenz oder die Lobbyarbeit für die eigenen Rechte, die Repräsentation oder die Aufklärungsarbeit entwickelt.“
Es gibt also nicht den einen, diskriminierungsfreien Sprech-Standard. Aber mit ihrem Buch machen die beiden letztlich deutlich, dass es sich lohnt, sich Mühe zu geben, sich mit der Macht der in unserem Sprachgebrauch manifestierten Diskriminierungen, Abwertungen und Vorurteile zu beschäftigen. All das überhaupt erst einmal wahrzunehmen und sich dabei auch in die Rolle der Betroffenen zu versetzen. Wie wirkt eigentlich diskriminierendes oder schlichtweg ignorierendes Sprechen auf sie? Und wie kann man mit mehr Aufmerksamkeit auf das eigene Sprechen dazu kommen, sich neue Wege und Räume der Kommunikation zu öffnen?
Aufmerksamer Sprechen lernen
Denn das ist ja die Rückseite dieser Geschichte: Dass man sich selbst sprachlos macht gegenüber all den Gruppen der Anderen, die man mit seinem gedankenlosen Sprechen ausgrenzt und abwertet. Und zum Bewusstwerden gehört nun einmal auch, welche Macht Sprache ausübt, wenn sie Privilegien versteckt und Ungleichheit zur allzeit gültigen Normalität macht.
„Gesellschaftliche Sozialisierung“ trifft sich hier mit als normal empfundenem Sprechen. Und allein wenn so ein Buch schon ein bisschen Nachdenklichkeit darüber weckt, wie selbstverständlich wir beim Sprechen Ausgrenzungen und Abwertungen stärken, dann ist schon etwas gewonnen. Auch wenn das aufmerksamere Sprechen (anfangs) etwas Mühe macht: Die Aufmerksamkeit lohnt sich. Niemand muss dabei perfekt werden.
Und nicht alles, was in der akademischen Welt schon akzeptiert wird, wird zwangsläufig auch Bestandteil des normalen Sprachgebrauchs. Auch das wieder ein Punkt, an dem es um Macht geht – oder eben um die Macht, die niemand haben kann, weil letztlich alle Sprecher eine Sprache mitformen in der alltäglichen Weise, wie wir miteinander sprechen. Und eine Menge mehr Aufmerksamkeit und Rücksicht kann da keineswegs schaden.
Lucy Gasser, Anna von Rath „Macht Sprache. Ein Manifest für mehr Gerechtigkeit“, Ullstein Verlag, Berlin 2024, 21,99 Euro.
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