Wir leben in einer Zeit, in der Unsinn, Blödsinn, Lügen und Quatsch Politik machen. Millionen Wähler wählen Parteien und Politiker, die ganz offensichtlich Unfug erzählen und mit Falschdarstellungen Wut und Hass erzeugen. Die großen Plattformen sind geschwemmt mit Bullshit. Aber der Bullshit wirkt, schafft falsche Wirklichkeiten und immer mehr Leute scheinen die Lügen auch noch für bare Münze zu nehmen. Was tun? Was läuft da falsch? Ein Thema, das dem Journalisten Thilo Baum am Herzen liegt.

Auch in seinen Seminaren, in denen er den Teilnehmern klare Kommunikation vermittelt und was das eigentlich ist. Denn das lernen die Meisten eben nicht in der Schule.

Schon wieder auf die Schule schimpfen? Wenn es eine so offensichtliche Fehlstelle gibt, sollte man es wenigstens einmal deutlich sagen: Vor lauter Auswendiglernen wird auch in deutschen Schulen die einmalige Gelegenheit verpasst, den jungen Menschen das kritische Denken beizubringen. Und dabei ist das eigentlich die zentrale Errungenschaft der Aufklärung, auf den Punkt gebracht in Kants Satz: „Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“

Wobei sich Kant nur zu bewusst war, dass viele Menschen das kritische Denken auch deshalb nicht lernen, weil sie gelernt haben, dass das unkritische Denken bequemer ist. Es spart Zeit, Mühe und Nerven. Und mündet eben allzu oft in die Überzeugung, der Mensch wisse eh alles, wisse alles besser und sei sowieso – im Unterschied zu den Leuten, die sich mit Daten und Fakten beschäftigen – der bessere Denker (der Dunning-Kruger-Effekt schlägt zu.).

Auf neudeutsch: Querdenker. Obwohl Querdenker seltsamerweise dadurch auffallen, dass sie nur den Stuss andere Leute nachplappern und das ernsthaft für eigenständiges Denken halten.

Warum Journalisten solche Skeptiker sind

Aber worum geht es? Warum lassen sich so viele Leute von Emotionen treiben und halten Meinungen für Wissen? Eigentlich hat sich Kant damit schon ausführlich genug beschäftigt. Doch auch Kant wusste, dass es immer auch Leute gibt, die ein großes Interesse daran haben, das sich die Menschen eben nicht ihres eigenen Verstandes bedienen, sondern verführen, belügen, manipulieren und damit letztlich beherrschen lassen.

Natürlich ist das im Menschen angelegt. Die Evolution hat jede Menge Verhaltensweisen hervorgebracht, die uns das Leben leichter machen. Wir glauben nur zu gern, was Freunde und Verwandte sagen, wir übernehmen die Meinungen unseres Umfeldes, denn wir suchen ja Bestätigung. Wir glauben nur zu gern, was plausibel klingt. Und wenn unsere Gefühle sagen, es könnte stimmen, erlischt jedes kritische Nachfragen.

Aber gerade, weil das so ist, entwickelten ganze Wissenschaftlergenerationen ein Instrumentarium, dass diese ganz menschlichen Denkfallen ausschließen soll – das wissenschaftliche Denken, ohne das man zu keinen gesicherten Erkenntnissen gelangen kann. Die Wissenschaft weltweit arbeitet nach diesen Prinzipien, die Baum auch verständlich erklärt.

Auch weil es im Grunde die gleichen Prinzipien sind, nach denen auch Journalisten arbeiten (sollten). Was sie berichten, muss überprüfbar sein, sie müssen Belege und Quellen anführen. Aus Munkeln und Hörensagen kann man keinen journalistischen Text machen.

Das lernt man als angehender Journalist schon im Studium und spätestens im Volontariat. Zumindest, wenn man von Profis betreut wird, die einem von Anfang an beibringen, allen Informationen erst einmal zu misstrauen. Nichts ist gesichert, wenn man es nicht beweisen kann.

Was übrigens auch für die Justiz gilt, die Baum ebenfalls anführt: Eine beweisorientierte Justiz gehört neben dem wissenschaflichen Denken und fundiertem Journalismus zu den drei zentralen Errungenschaften der Aufklärung. Sie schaffen erst jene Welt, in der nicht irgendjemand einfach irgendetwas behaupten kann und dann sei das für bare Münze zu nehmen. Sie verkörpern das kritische Denken, das erst die Basis einer aufgeklärten Gesellschaft bietet.

Warum Rechtspopulisten die Medien, die Wissenschaft und die Justiz angreifen

Was Thilo Baum gar nicht extra betonen muss: Wer diese drei Instanzen angreift – und unsere modernen Populisten tun es mit allen Mitteln der Verdrehung, Verleumdung und Anprangerung – der will die aufgeklärte Gesellschaft zerstören. Gern mit Argumenten, die so klingen, als ginge es ihnen um Freiheit, Meinungsfreiheit zum Beispiel. Motto: „Das muss man doch noch sagen dürfen.“

Darf man durchaus, stellt Baum immer wieder fest – wenn es sich wirklich nur um eine Meinungsäußerung handelt und nicht um eine Tatsachenbehauptung. Es ist ein anspruchsvolles Feld: Wie unterscheidet man eigentlich Meinungen und Tatsachenbehauptungen? Wann hat man es mit falschen Tatsachenbehauptungen zu tun und wann sind das dann echte Lügen? (Spoiler: Wenn der Sprecher weiß, dass er etwas Falsches behauptet.)

Und wie geht man mit Aussagen um, die irgendwie halb wahr und halb falsch klingen, mit geraunten Andeutungen, Unterstellungen, komischen Framings? Man denke nur an all die geheimen Verschwörungen, die die Rechtspopulisten immer wieder herbeifabulieren. Reagiert unser Kopf da nicht mit der Vermutung: Da könnte doch was dran sein?

Dieses „könnte ja sein“ immer wieder!

Aber da hilft tatsächlich das ganz simple journalistische Denken. Denn wenn man den Fallstricken von Mutmaßungen und Echokammern entkommen will, dann gilt – wie oben angeführt: Wer etwas behauptet, muss es beweisen können.

Mit echten, belastbaren Beweisen. Oder mit den Worten von Thilo Baum ausgedrückt, die er schon früh anführt, bevor er seine Leser mitnimmt in die Welten von Mythen, Desinformation und Demagogie, die die Menschen an der Nase herumführen: „Wie nun können wir klären, ob stimmt, was wir glauben? Damit wir nicht an Unsinn glauben, brauchen wir eine Sicherheitsschleife namens Verifikation. Was wir selbst erlebt haben, müssen wir – zumindest für unsere eigene Erkenntnis – nicht verifizieren, denn wir haben es ja erlebt. Allerdings sollten wir es möglicherweise belegen, wenn wir die Information weitergeben. In jedem Fall sollten wir verifizierten, was wir indirekt erfahren.“

Wer behauptet, muss beweisen können

Die Sache mit dem Belegen exerziert er fröhlich mit den angestochenen Reifen seines Autos durch, wofür er den Nachbarn verdächtigt. Aber er kann es nicht beweisen, nur vermuten. Und viele Menschen geben sich eben leider mit Vermutungen zufrieden, sie glauben etwas, ohne es tatsächlich gesehen zu haben. Ergo: Sie wissen es nicht.

Da sollte man dann mit Verdächtigungen und Behauptungen sehr vorsichtig sein.

Genau das lernt man im Journalismus ganz früh, weil man mit falschen Verdächtigungen eine Menge Schaden anrichten kann. Also wird nach Belegen gesucht, nach Augenzeugen, nach Aussagen verschiedener Quellen, deren Seriosität man abklopfen kann. Die auch real existieren und mit Name und Anschrift benennbar sind. Irgendwelche Bubbles im Internet, wo eine anonyme Quelle auf die andere verweist, sind keine handfesten Belege. Was man spätestens merkt, wenn man das Impressum sucht und keines findet.

Seriöse Quellen arbeiten mit offenem Visier, haben ein ordentliches Impressum, einen Namen, eine echte Anschrift und eine Telefonnummer, die man anrufen kann. Was zumindest ein Teil der Vergewisserung ist. Da auch der Bursche, den man anruft, vielleicht nicht ganz die Wahrheit sagt, gibt es das Prinzip, unterschiedliche Quellen zu kontaktieren, die Sache also aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten. Wenn mehrere unabhängige Quellen den Fakt bestätigen, kommt man dem, was geschehen ist, tatsächlich recht nah. Die Geschichte fußt dann auf belegbaren Tatsachen.

Kein Freispiel für Mutmaßungen

Normalerweise müssen normale Mediennutzer so einen Aufwand nicht betreiben. Es gibt genug seriöse Medien, die in jahrzehntelanger Arbeit gezeigt haben, dass sie kritisch und tatsachenorientiert berichten. (Weshalb Schwurbler und Populisten keine Gelegenheit verstreichen lassen, gegen die „Mainstream“-Medien zu wettern und ihnen Einseitigkeit vorzuwerfen, wenn sie über Verschwörungsmythen und Falschbehauptungen nicht berichten. Aber die gehören nun einmal nicht in eine seriöse Berichterstattung.)

Aber das Geraune, Vermuten und Behaupten passiert ja auch im persönlichen Umfeld. Und man steht oft genug recht verwirrt vor diesen Leuten, die lauter Dinge von sich geben, von denen man eigentlich aus Erfahrung weiß, dass sie Blödsinn sind. Wenn man ihnen aber dann widerspricht, werden sie oft genug wütend, werfen mit lauter Zitaten und Quellen um sich, die sie irgendwo in den wilden Weiten des Internets gefunden haben, und verlangen dann meist noch, man solle sie widerlegen, beweisen, dass das nicht stimmt, was sie behaupten.

Aber selbst in diesem oft ganz gewöhnlichen Familien- und Stammtischalltag gilt, was Baum als grundlegend herausdestilliert: Wer etwas behauptet, muss es beweisen können. Es ist wie vor Gericht. Wer eine Behauptung in die Welt setzt, muss die Beweise dafür vorlegen. Kann er das nicht, kann er es auch nicht als Tatsache verkaufen. Bestenfalls ist es dann eine Vermutung.

Das geht natürlich manchmal auch gegen die gute Erziehung, die man genossen hat. Man sagt ja so ungern ansonsten ganz liebenswerten Menschen ins Gesicht, dass sie gerade ziemlichen Unfug erzählt haben. Und dass man sich auf dieser Basis mit ihnen nicht unterhalten möchte, auch wenn sie noch so sehr darauf drängen. Auch das ist so eine gar nicht beiläufige Erkenntnis: Wir müssen uns auf die Mutmaßungen unserer Mitmenschen nicht einlassen, wenn diese nicht belegbar sind und mit der Realität ganz offensichtlich nichts zu tun haben.

Denn mit solchen Diskussionen verliert man nicht nur gute Zeit und jede Menge Nerven. Am Ende steht man auch noch in einem Brei von lauter Vermutungen und lässt sich völlig unnötig auf die Verschwörungserzählungen von Leuten ein, die hinter allem und jedem finstere Mächte vermuten – nur dass sie nichts davon beweisen können. Ist ja alles geheim.

In der Bullshit-Blase

Normalerweise wäre das alles überschaubar, hätten nicht Populisten aller Art die unendlichen Weiten des Internets für sich entdeckt, das sie mit jeder Menge Leute und allen technische Finessen jeden Tag mit Bullshit fluten – eine Strategie, die nicht nur der Rechtspopulist Steve Bannon proklamiert, sondern auch autoritäre Regime wie Russland anwenden. Verwirrung durch Masse. Wenn den Nutzern über ihre Algorithmen nur noch Fakenews, Halbwahres, verdrehte oder übertriebene News auf ihren Newsfeed gespült werden, dann bekommen sie natürlich den Eindruck, dass das die Wirklichkeit sein müsste. Alles bestätigt sich gegenseitig.

Dass das freilich genau so gewollt ist und all die kognitiven Verzerrungen bedient, mit denen wir auf Täuschungen und falsche Plausibilitäten hereinfallen, macht diese Instrumente der Manipulation ja so wirksam. Gerade bei Menschen, die sich der eigenen Verzerrungen in der Weltwahrnehmung gar nicht bewusst sind – also auch nicht gelernt haben, Tatsachenbehauptungen zu hinterfragen, ob das so tatsächlich sein kann.

Das geht schon damit los, dass sich diverse Parteien und „Medien“ als „alternativ“ bezeichnen und damit suggerieren, alle anderen wären voreingenommen, fremdgesteuert und verschworen, nur sie allein würden den Menschen eine „alternative“ Weltsicht und Politik anbieten. Nur dass die „Alternative“ eben die Zerstörung der Gemeinschaft ist und einer belastbaren, weil überprüfbaren Sicht auf die Wirklichkeit. Ein Immer-wieder-Behaupten macht noch keine belastbare Tatsache.

Und Thilo Baum wird noch deutlicher. Denn bei vielen Menschen herrscht überhaupt keine Klarheit darüber, was eine Meinung („Ich finde, dass …“) von einer Tatsachenbehauptung unterscheidet. Meinungen sind tatsächlich durch das Grundgesetz gedeckt – falsche Tatsachenbehauptungen nicht.

Aber da sich die Verkünder dieser Behauptungen nur zu gern hinter ihrer Meinungsfreiheit verstecken und gern auch noch jammern „Das muss man doch noch sagen dürfen“, enden, so Baum, „zahlreiche Diskussionen, die eigentlich kontrovers sein könnten, in einer erstaunlichen Beliebigkeit.“ Die Schwurbler und Rauner behalten ihre Position. „Als Sieger gehen dann oft die Lügner und Scharlatane vom Platz, denen niemand widerspricht, weil wir doch alle unsere Meinung haben.“

Russells Teekanne

Besonders gern nennt Baum auch „Russells Teekanne“, eine von Bertrand Russell konstruierte Fiktion, die beispielhaft zeigt, was dabei herauskommt, wenn man es mit unbeweisbaren Geschichten zu tun bekommt, die zwar irgendwie möglich sind. Aber niemand hat darüber auch nur die geringste gesicherte Information. Wenn man gerade Zeit hat, sich einfach mal ein paar Stunden mit Blödsinn zu beschäftigen, ist das sicher ein ganz herrlicher Zeitvertreib.

Nur in der gesellschaftlichen Verständigung darüber, was wirklich Fakt ist und uns alle angeht, hat derlei Budenzauber keinen Platz. Im Gegenteil: Er verwandelt den gesellschaftlichen Diskurs in eine sinnlose Schaumschlägerei, in der dann meist diejenigen, die immer neue Unsinn-Geschichten auftischen, verlangen, man möge ihnen das Gegenteil beweisen.

Aber genau das muss man nicht. Die Beweispflicht liegt beim Erzähler. Nur kommt dann in der Regel nichts außer Hörensagen oder der Verweis auf anonyme Quellen. Was eben, wie Thilo Baum auch feststellt – fast immer auch Absicht ist: Wer falsche Narrative in die Welt setzt, will verwirren und manipulieren. Und das ist längst zu einer manifesten Strategie aller rechtspopulistischen Akteure geworden, denn damit unterminieren sie nicht nur die rational organisierte liberale Demokratie (und reden den Leuten auch noch ein, das sei eine Diktatur), sie zerstören auch die rationalen Grundlagen der Welterkenntnis, die uns überhaupt eine realistische Einschätzung der Wirklichkeit ermöglichen.

Denn wenn man sich über die Wirklichkeit unserer Gesellschaft nicht mehr verständigen kann (was man nun einmal nur auf Basis belegbarer Tatsachen kann), dann verwandelt sich die Gesellschaft in ein wildes Gemutmaße, bei dem immer mehr Leute an wilde Verschwörungen glauben (die meist auch noch antisemitisch aufgeladen sind), aber die realen Probleme nicht mehr wahrnehmen und auch nicht mehr den Weg sehen, die Probleme zu lösen. Dann da irgendwo im Dunkeln …

Genau dieses Spiel müssen wir alle nicht mitspielen. Stück für Stück gibt Baum seinen Lesern eine Handreichung, wie sie mit all den Märchen, Framings, Desinformationen umgehen können, wenn sie darüber stolpern und damit konfrontiert werden. Und manchee wird erleichtert sein, dass er in solchen Situationen nicht anfangen muss, dem Märchenerzähler mit einer riesigen Recherche zu beweisen, dass er Unrecht hat.

Umgekehrt: Der Märchenerzähler muss beweisen, dass es stimmt, was er erzählt. Wenn er es nicht kann, ist das Thema erledigt. Dann kann man das Gespräch freundlich und bestimmt beenden. Denn nichts und niemand kann uns zutrauen, dass wir Geschwurbel und Gemutmaße als ein ernsthaftes Gesprächsangebot betrachten.

Thilo Baum „Immun gegen Unsinn“ Gabal Verlag, Offenbach 2024, 19,90 Euro.

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Keine Kommentare bisher

Na dann am besten zweimal das Buch lesen, das hilft. Übrigens die Tendenz in Deutschland geht zum Zweitbuch

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