In den drei ostdeutschen Landtagswahlen im September spielte der Krieg in der Ukraine eine wahlentscheidende Rolle. Reihenweise plakatierten die Parteien ihre Forderung nach Frieden, auch wenn das überhaupt nicht in die Zuständigkeit der Länder fällt. Und es erst recht keinen Sinn ergibt, wenn kleine deutsche Landesregierungen auf einmal nach Moskau und Kiew fahren, um dort für einen Waffenstillstand zu werben. Der Weg zu einem Frieden ist viel komplizierter, wie Jan van Aken in seinem Buch ausführlich schildert.

Er kennt sich – anders als die meisten Politiker/-innen, die immerfort von Waffenstillstand und Friedensverhandlungen reden, aus in dieser Materie. Der promovierte Biologe ist einer der bekanntesten Friedensaktivisten Deutschlands, von 2004 bis 2006 war er Biowaffeninspekteur der Vereinten Nationen, von 2009 bis 2017 Abgeordneter der Linken im Bundestag und dabei immer wieder auch bei Delegationen in Krisengebieten unterwegs. Bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung arbeitet er zu internationalen Konflikten.

Und natürlich beschäftigt ihn die Frage, wie man von kriegerischen Auseinandersetzungen auf den Weg zu Frieden kommt. Der kein Zustand ist, wie viele Leute sich einbilden, sondern ein Prozess. Und zwar ein nervenzehrender, arbeitsaufwändiger und langer.

Denn Konflikte haben immer tiefer liegende Ursachen – oft genug ökonomische. Aber schon früh in seinem Buch benennt von Aken den entscheidenden Punkt, ohne den es zu keinen Friedensverhandlungen kommt: „Hier liegt eines der größten Probleme für eine friedliche Beendigung von Kriegen: die nicht vorhandene Gleichzeitigkeit des Friedenswillens. Denn nur selten gibt es einen ‚Klügeren‘, der nachgibt.

Eine Kriegspartei wird nicht verhandeln, solange sie glaubt, noch etwas gewinnen zu können. Oder sich wenigstens zu einer besseren Verhandlungsposition schießen zu können.“

Wann enden Kriege wirklich?

Jan van Aken schrieb sein Buch im Schatten von gleich zwei Kriegen, zu denen er sich am Ende auch noch konkret äußert – dem Krieg Russlands in der Ukraine und dem Krieg, den Israel gegen die Hamas führt nach dem Terrorüberfall vom 7. Oktober 2023.

Ein Überfall, der endgültig aus jahrzehntelangen Verhandlungen um eine Lösung des Israel-Palästina-Konflikts einen Scherbenhaufen machte. Auch das muss man immer mitbedenken: Dass mindestens eine Seite überhaupt kein Interesse an einer Friedenslösung hat und sogar noch davon profitiert, wenn sich ein Krieg immer mehr in die Länge zieht.

Das kann das Motiv einer schwer bewaffneten Terrorgruppe sein, aber auch das eines Autokraten, der einen jahrelangen Zermürbungskrieg in Kauf nimmt, um das überfallene Land an den Rand des Zusammenbruchs zu bomben. Und dann? Was passiert, wenn z.B. die Weltgemeinschaft die Ukraine dazu bringen sollte, die Waffen zu strecken? Dann hört der Krieg nicht auf, auch wenn sich das alle möglichen „Friedens“-Parteien in den Landtagswahlkämpfen so ausgemalt und den Leuten versprochen haben.

Denn das bestätigt nur den russischen Feldherrn in seiner Strategie. Und er wird immer weiter machen, um die Ukraine gänzlich zu annektieren. Erst recht, wenn sich ein Putin mit seinen „Friedensvorschlägen“ durchsetzt, die Ukraine gänzlich zu entwaffnen. Van Aken geht auch auf die zwei Momente ein, die in der Frühzeit des Ukraine-Krieges möglicherweise Ansätze für Verhandlungen geboten hätten. Zum Beispiel, als es Russland und der Ukraine im ersten Kriegsjahr gelang, ein Getreideabkommen zu schließen.

Doch solche Punkte sind immer nur Ansatzpunkte für Verhandlungen. Und trotzdem elementar, wie van Aken feststellt. Denn solche Verhandlungen öffnen die Türen für spätere, wirkliche Friedensverhandlungen. Mehrfach betont er, dass er sich durch und durch als Pazifist versteht. Aber eben nicht als Radikalpazifisten, für den es zwischen Krieg und Frieden nichts gibt.

Aus beendeten Kriegen lernen

Aber wenn man sein Buch liest, lernt man, dass die Radikalvorstellung von Krieg oder Frieden die eigentliche Illusion ist. Und dass – das zeigen so ziemlich alle Kriege des vergangenen Jahrhunderts – nur die allerwenigsten Kriege tatsächlich mit militärischen Mitteln beendet wurden. Die meisten endeten durch Verhandlungen – Verhandlungen, die anfangs meist völlig abseits der Öffentlichkeit passieren.

Oft über Dritte, die mit den kriegführenden Parteien in irgendeiner Weise verbunden sind und deshalb Einfluss nehmen können, ohne dass Eigeninteressen die Verhandlungen belasten. Für die Ukraine könnte China so eine Rolle spielen, so van Aken, das den Ukraine-Krieg bislang aber nicht allzu ernst nimmt und als eine rein europäische Angelegenheit ansieht.

Aber er zeigt mit seinem Buch noch viel mehr, das weit über die wirklich naiven Forderungen nach einem sofortigen Waffenstillstand hinausgeht. Denn längst gibt es weltweite Initiativen, die sich um friedliche Konfliktlösungen bemühen. Und die voneinander lernen. Denn längst liegen – durch internationale Institute ausgewertet – auch Erfahrungen vor, wie man Kriege tatsächlich beenden kann, was funktioniert, und was nicht.

Das geht von UN-Friedensmissionen über Waffeninspektionen bis zur Kontrolle von Waffenexporten und gut gemachten Sanktionen. Und natürlich stimmt es: Waffen beenden keine Kriege. Im Gegenteil: Waffenexporte füttern Kriege in aller Welt.

Und es ist tatsächlich eine Zwickmühle, in der auch Deutschland steckt, das nach wie vor einer der größten Waffenexporteure der Welt ist. Stünde es Deutschland nicht eher an, statt dessen Friedensmissionen zu finanzieren und sich damit in der Weltgemeinschaft zu profilieren, fragt van Aken.

Und sieht natürlich auch das nächste Problem, das tief ins wirtschaftliche Fundament der Bundesrepublik eingreift: Deutschlands Abhängigkeit von billigen Rohstoffimporten. Und dazu gehörten bis 2022 nicht nur billiges Gas und billiges Erdöl aus Russland, sondern gehört bis heute auch der Zugriff auf Nickel für die deutsche Autoindustrie.

Und das sind nicht die einzigen Rohstoffe, nach denen die deutsche Wirtschaft süchtig ist und für die nicht nur die Bundesregierung beide Augen zudrückt, wenn diese Rohstoffe aus Kriegs- und Bürgerkriegsländern kommen oder ihr Raubbau gar die Ursache dafür ist, dass es in den Herkunftsländern zu Putschen und Bürgerkriegen kommt.

Der Krieg und die Lüge

Deutschland ist allein schon mit seiner rücksichtslosen Ressourcenausbeutung eben nicht unschuldig an vielen Konflikten in der Welt. Direkt oder indirekt über rücksichtsflose Konzerne.

Aber van Aken weiß auch, dass Kriege nicht aus dem Nichts kommen, sondern in den Köpfen entstehen. Und dass am Beginn jedes Krieges in der Regel eine faustdicke Lüge steht. Und wenn die Waffen erst einmal sprechen, wird erst recht gelogen, nicht nur in den Ländern, deren Bevölkerung den Krieg ihrer Machthaber unterstützen soll. Sondern auch in den Ländern, die auf der einen oder anderen Seite als Partner gefragt sind.

Und viel zu viele seriöse Medien lassen sich vor den Karren einzelnen Kriegsparteien spannen, stellt van Aken im Kapitel „Nachrichten machen Krieg“ fest. Manche lassen sämtliche journalistischen Tugenden fahren, überprüfen nicht einmal die Herkunft der ihnen „durchgestochenen“ Informationen. Andere lassen Experten zu Wort kommen, die vom Stoff entweder keine Ahnung haben oder selbst Partei sind.

Und am Beispiel von Schokolade zeigt er dann auch, dass wir alle irgendwie beteiligt sind, wenn es in anderen Ländern zu Konflikten kommt – auch wenn die eigentlichen Akteure oft genug anonym an der Börse zocken, weil die Deregulierung der Märkte eben auch dazu geführt hat, dass selbst Lebensmittel zum Spekulationsobjekt geworden sind. Es wird ziemlich deutlich, dass wir in einer Welt leben, in der eine Menge Leute mit dem Leben und dem Frieden der Menschen spielen. Fein vom sicheren Schreibtisch aus.

Man ahnt, was für eine verflixte Arbeit in dieser Gemengelage, in der Regierungen kein Interesse an fairem Handel und Exportkontrollen haben, die Arbeit am Frieden ist. Da muss man vom Schüren religiöser und rassistischer Konflikte gar nicht reden.

Es geht immer um Vertrauen

Aber Jan van Aken zeigt sich optimistisch. Gerade weil die Erfahrungen mit über 170 beendeten Kriegen im vergangenen Jahrhundert zeigt, dass sich Friedensarbeit lohnt. Eine Arbeit, die oft gar nicht in irgendwelchen Regierungskabinetten beginnt, sondern an der Wurzel, wo Menschen lernen, ihre oft über Generationen schwelenden Konflikte mit neuen, friedlichen Lösungen zu befrieden.

Denn so wie manche Kriege ganz unten beginnen, wo Konflikte um Land oder Wasser sich aufschaukeln, so können sie auch dort beendet werden, wenn die Menschen Wege finden, wieder ein leises Vertrauen zum jeweils Anderen aufzubauen. Und Wege zu finden, echte Konflikte mit Gesprächen zu benennen und zu lösen.

Das ist an der Wurzel genauso kräftezehrend wie auf der großen politischen Bühne, wo selbst vor den ersten Waffenstillstandsabkommen erst einmal die lange und unsichere Suche nach Gesprächsmöglichkeiten steht und die Suche nach einer Basis, auf der die beiden verfeindeten Seiten überhaupt erst einmal eine Art Vertrauen aufbauen, mit dem man verhandeln und nach Lösungen suchen kann.

Ein Frieden steht – wenn das überhaupt gelingt – erst am Ende eines regelrechten Verhandlungsmarathons, bei dem zuallererst ausgelotet werden muss, welche elementaren Interessen der kriegführenden Parteien überhaupt eine Rolle spielen. Denn was zur Militärpropaganda gehört, hat mit den elementaren Interessen der Kriegsparteien meist wenig zu tun.

Aber deutlich wird eben auch, dass auch die Staaten des Westens in den vergangenen Jahrzehnten die Tugenden von Friedenspolitik nicht wirklich praktiziert haben. Stattdessen dominierte auch hier viel zu oft das alte Dominanzgebaren und glaubten insbesondere die USA, „unbotmäßige“ Länder zum „Regime Change“ zwingen zu können – was bis heute für große Teile des Nahostkonflikts und schwere gesellschaftliche Verwerfungen in Südamerika verantwortlich ist.

Waffen bringen keinen Frieden

Im Grunde steckt in van Akens Buch eben auch eine große Aufforderung, viele Tugenden der Friedenspolitik wieder mit Leben zu erfüllen. Und sich nicht von Propaganda oder Marketinginteressen ins Bockshorn jagen zu lassen. Das ganze Gejammer über die „kaputtgesparte Bundeswehr“ findet er geradezu heuchlerisch, denn Deutschland hatte auch vor dem 100-Milliarden-Euro-Wumms einen der höchsten Militäretats der Welt.

Doch die Gelder flossen – anders als etwa in Schweden – nicht in die Ausrüstungen einer echten Verteidigungsarmee, sondern in milliardenschwere Auslandsmissionen, die allesamt bis heute höchst umstritten sind. Und die auch allesamt nichts geholfen haben, den Frieden zu bringen.

Denn diese Botschaft ist nach all den Erfahrungen mit beendeten Kriegen deutlich: Militärs bringen nur in ganz wenigen Ausnahmefällen den Frieden. In der großen Mehrheit sind es ausdauernde Verhandlungen mit vielen frustrierenden Rückschlägen, bei denen unentwegte Unterhändler es schaffen, die Kriegsparteien tatsächlich an den Tisch zu bekommen und mit ihnen den langen und dornigen Weg zum Frieden auszuloten.

Aber das funktioniert eben nur ergebnisoffen, wie van Aken auch nach vielen Gesprächen mit Friedensaktivist/-innen erzählen kann: Was am Ende im Friedensabkommen steht, weiß am Anfang dieses Marathons noch niemand. Und nichts ist so fatal für die Verhandlung, als wenn schon mit einem fertigen Ergebnis im Kopf losverhandelt wird, das unbedingt erreicht werden soll.

Und bei einem ist er sich sicher: Auch im Ukraine-Krieg steht genau so ein langer Marathon bevor. Van Aken beschreibt zwar die vielen Erfahrungen mit den Friedensinstrumenten, die gerade im 20. Jahrhundert nach und nach entwickelt wurden. Aber es gibt für die Beendigung von Kriegen keine Blaupause, stellt er fest. Sein Buch ist deshalb auch „kein Masterplan für die Beendigung des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine“. Aber es ist eine selbstbewusste Aufforderung, trotz allem Wege zu Gesprächen zu suchen, egal, wie aussichtslos eine nahe Lösung zu sein scheint.

Denn das lernt man nun einmal, wenn man sich durch sein kenntnisreiches Buch blättert: Dass Frieden nicht von Militärs geschaffen wird, sondern von zähen Verhandlungsführern, die sich auch schon über Millimeterfortschritte freuen. Hauptsache, man macht sich überhaupt auf den Weg, eine – gemeinsame – Friedenslösung zu finden. Und nichts ist dabei so störend wie Kraftmeierei und Ungeduld.

Jan van Aken„Worte statt Waffen“ Econ, Berlin 2024, 22,99 Euro.

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