2022 wurde Josephine Mark durch ihren zweiten Comic „Trip mit Tropf“ bekannt. 2021 hatte sie bereits ihr erstes Buch „Murr“ veröffentlicht, davor lange Jahre Cartoons für die Moritzbastei und seit 2004 unter ihrem eigenen Label „puvo productions“ veröffentlicht. Obwohl ihre Bücher unter dem Kinderbuch-Label laufen, sind sie „All-Ager“, also für Menschen allen Alters spannend. Wie schreibt man für eine so große Spanne von Altersgruppen? Wie spinnt man Themen und Geschichten? Wie lässt sich mit Klischees spielen und sie immer wieder brechen? Im Gespräch mit der Leipziger Zeitung (LZ) beantwortet Josephine Mark all diese Fragen.
Wie kam es dazu, dass Du vor allem Kinder- und Jugendbücher machst?
Da bin ich ein bisschen reingeschlittert. Eigentlich denke ich überhaupt nicht über die Zielgruppe nach, wenn ich Bücher mache, sondern dass ich tatsächlich „nur“ eine Geschichte erzähle. Das ist ja das Schöne, dass man da als Autorin die Gedanken um diese ganze Marketingsache, die die Zielgruppendefinition so wichtig macht, außen vor lassen kann.
Mein letztes Buch „Trip mit Tropf“ ist bei Kibitz erschienen, einem Verlag, der sich auf Comics für Kinder spezialisiert hat. Eigentlich ist das Buch ein All-Ager. Durch den Verlag wird es aber als Kinderbuch wahrgenommen. Beim „Bärbeiss“ ist es auch so – eine Comicadaption einer Kinderbuchreihe von Annette Pehnt und Jutta Bauer. Das ist ein Projekt, das ich extra für den Verlag gemacht habe und wo die Zielgruppe stärker auf Kinder oder jüngere Lesende gesetzt ist.
Das nächste Projekt ist wieder komplett mein eigenes. Es ist ein Krimi, ein bisschen niedlich und traurig und komisch, aber eine Zielgruppe kann ich da nicht definieren.
Das heißt, es macht für Dich keinen Unterschied, ob Du eher für Kinder oder eher für Erwachsene schreibst?
Beim Schreiben gar nicht. Ich nehme mir einfach die Freiheit, darüber nicht nachzudenken. Deshalb sind beim „Bärbeiss“ sicherlich einige Situationen drin, über die nur die Erwachsenen schmunzeln werden. Ich vergleiche es immer mit den Pixar-Filmen: Man schreibt nie nur für die Kinder, sondern auch immer für die Eltern.
Mir macht es einfach Spaß, weil ich selbst gern Bücher lese, die nicht so pädagogisch oder kindlich daherkommen und die auch mal schwierige Themen behandeln und sich ein bisschen Spannung und Tragik erlauben. Das ist im Comicbuch-Bereich angenehmer als beim reinen Kinderbuch. Es ist etwas anarchischer. Kinderbücher müssen heute oft diesen pädagogischen Anspruch haben. Aber Comics arbeiten sich noch ein bisschen an den Eltern und Erwachsenen vorbei, deshalb traut man sich auch als Verlag vielleicht noch mehr.
Du machst viele unterschiedliche Sachen: Du denkst Dir die Geschichten aus, zeichnest, manchmal illustrierst Du auch nur bestehende Bücher, Du zeichnest Cartoons, machst Lesungen. Was macht Dir am meisten Spaß?
Das Comic-Machen! Da bin ich in den letzten drei Jahren so reingewachsen und habe gemerkt, dass das mein Medium ist. Ich nehme im Augenblick auch gar keine neuen Illustrationsaufträge mehr an, einfach weil mein Fokus jetzt so auf meinen eigenen Geschichten und der Visualisierung liegt und ich noch so viele Buchideen in der Schublade hab. Es vereint alles, was ich gern mache: einerseits die Texte, aber auch die Zeichnungen und die ganze Inszenierung. Ich weiß gerade gar nicht, wie ich jemals wieder in die klassische Illustration zurückfinden soll.
Da wird einem dann wahrscheinlich viel vorgeschrieben, oder?
Ja, und man arbeitet viel mehr mit dem Material anderer Leute. Es geht natürlich auch schneller. Das Comic-Machen dauert länger. Da sitzt man ein, zwei Jahre an einem Projekt, das muss man sich allein finanziell leisten können. Es kann schon sein, dass ich ein kleines Projekt dazwischenschiebe, allein schon, um mal etwas anderes zu machen.
Wie läuft es für Dich finanziell als selbstständige Autorin?
Ich bin da langsam reingewachsen. Lange habe ich in der Moritzbastei in Teilzeit gearbeitet und parallel die Selbständigkeit aufgebaut. Das war hilfreich, denn so konnte ich finanzielle Durststrecken immer mit dem Job ausgleichen. Ich habe dann aber gemerkt, dass ich mich selbstständig machen muss, um meinen Fokus auf das Comic-Machen verschieben zu können.
Da ist das Sicherheitsnetz erstmal weggefallen. Das war am Anfang hart, gerade im ersten Jahr. Ich habe viel parallel Weiterbildungen gemacht und wirklich jeden Job angenommen. Da sind ganz seltsame Projekte entstanden, die auch öffentlich gar nicht mit mir verknüpft sind. Es war aber auch eine gute Lernphase.
Durch den Erfolg von „Trip mit Tropf“ hatte ich im letzten Jahr zum ersten Mal ein vernünftiges Einkommen. Das ist krass, da bin ich Anfang vierzig und kann zum ersten Mal von meinem Einkommen gut leben. Ich kann mir einfach ohne Nachzudenken neue Technik für meine Arbeit kaufen, das ist schon toll.
Das ist aber nur einem Buch zu verdanken. Deshalb verlasse ich mich auch nicht darauf, so etwas kann schnell wieder vorbeigehen. Mit den Dingen, die ich kann, kann ich mir aber immer etwas nebenher verdienen, gerade mit den Lesungen und den Workshops, die ich gebe.
Du bist nicht auf ganz geradem Weg Illustratorin geworden. Was hast Du zuerst gemacht?
Direkt nach der Schule habe ich mich hier in Leipzig an der HGB (Hochschule für Grafik und Buchkunst Anm. d. Red.) beworben. Da war ich etwas blauäugig, es hat nicht geklappt. Deshalb wollte ich dann ein Jahr lang irgendetwas machen, um ein Jahr zu überbrücken und mich dann nochmal zu bewerben.
Also habe ich etwas studiert, von dem ich wusste, dass ich niemals in dem Bereich arbeiten will: Medientechnik an der HTWK (Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur, Anm. d. Red.). Das ist viel Elektrotechnik und Physik und es hat mir wirklich viele Schmerzen bereitet. Ich habe einfach nicht das Gehirn für Mathematik und musste richtig viel lernen, obwohl ich das ja eigentlich gar nicht studieren wollte.
Es ging in dem Studium aber unter anderem auch ums Filmemachen. Da habe ich festgestellt, dass ich mich an der HGB gar nicht nochmal bewerben will, weil ich gar nicht so sehr in die Kunstrichtung gehen möchte. Ich wollte lieber etwas Praktischeres machen. Durch Zufall habe ich das Studium für Kultur- und Medienpädagogik in Merseburg gefunden und dort meinen Abschluss gemacht. Danach habe ich in Leipzig ein Übersetzer-Studium begonnen für Spanisch und Portugiesisch, einfach weil ich gern Sprachen lernen wollte.
Übersetzt Du selbst aktiv?
Nein. Aber wenn ich nicht zu dem Zeitpunkt schon in der Moritzbastei gearbeitet hätte, dann wäre ich mit dem Übersetzen sehr glücklich geworden. Es gibt mir aber einen anderen Blick darauf, wie meine eigenen Bücher übersetzt werden. Zum Beispiel werden Namen, Liedtexte und so weiter geändert, um es in dem jeweiligen Land zu lokalisieren.
Was hast Du dann in der Moritzbastei gearbeitet?
Ich habe als Praktikantin angefangen. Ich bin dann in dem Grafik-Bereich gelandet und habe mir im Selbststudium alles beigebracht, habe Flyer und Plakate gestaltet. Manchmal habe ich auch selbst Veranstaltungen betreut, das heißt ich kenne beide Seiten: die Künstler*innensicht und die Organisator*innensicht.
In der Moritzbastei habe ich mit den Cartoons angefangen. Es gab eine Diskothekenreihe namens „All you can dance“. Da musste jede Woche ein Plakat gestaltet werden. Ich habe einfach angefangen, die mit Cartoons zu versehen, einfach damit sie etwas ansprechender werden. Das habe ich dann fünfzehn Jahre lang gemacht.
Später wurden die Cartoons auch im Internet veröffentlicht, erst auf dem Moritzbastei-Blog und dann auf meiner eigenen Facebookseite. Da hat sich eine kleine Fangemeinde aufgebaut. So bin ich ins Cartoon und Comic-Machen reingerutscht.
In der Moritzbastei habe ich bis 2018 Teilzeit gearbeitet. Seit 2022 organisiere ich als freie Mitarbeiterin die Reihe „Moritzbastei Comic:Kunst“, bei der ich 4 bis 5 Mal im Jahr Comickünstler:Innen einlade für Comiclesung, Ausstellung und Werkstattgespräch. Eine tolle Gelegenheit, Comics sichtbarer zu machen! Ich bin sehr dankbar, dass die Moritzbastei diese Reihe so unterstützt.
Dein erster größerer Comic war „Murr“ im Jahr 2021. War es kompliziert, dafür einen Verlag zu finden?
Ich hatte das große Glück, dass mich sehr früh schon eine Agentin gefunden hat. Sie hat meine Cartoons gesehen und mich einfach angeschrieben und gefragt, ob ich als Illustratorin von ihr vertreten werden möchte. Das ist krass, denn normalerweise ist es schwieriger eine Agentur zu finden als einen Verlag. Ein Jackpot, auch menschlich. Wir arbeiten heute, fast zehn Jahre später, immer noch zusammen.
Die beiden Verleger vom Zwerchfell-Verlag, die „Murr“ zuerst herausgegeben haben, hatte ich mal hier in Leipzig auf einer Comicmesse getroffen. Die fanden meine Cartoons super und haben mir gesagt, dass ich mich melden soll, wenn ich mal einen Comic machen. Sie haben ihr Versprechen gehalten und dann tatsächlich „Murr“ herausgebracht.
Wie entsteht bei Dir ein Comic? Gibt es zuerst die Figuren, die Zeichnungen oder das Skript?
Ich schreibe immer zuerst den Text komplett. Das sieht dann ein bisschen aus wie ein Theater- oder Filmdrehbuch. Dann weiß ich erstmal, dass die Geschichte fertig ist und ihre Dynamik funktioniert. Dann zeichne ich das Storyboard, also die Grundkonzeption der Seiten.
Bei „Murr“ habe ich einen Board von 100 Seiten gemacht und bin dann erst ans richtige Zeichnen gegangen. Das war ziemlich stupide, man macht ein halbes Jahr immer nur das Gleiche. Bei „Trip mit Tropf“ habe ich dann in Blöcken von zehn bis zwanzig Seiten gearbeitet. Immer Skizze, Storyboard, Rein-Zeichnung, Kolorierung.
Für den „Bärbeiss“ habe ich es anders machen müssen, weil ich da viel mit dem Verlag in Rücksprache gestanden habe. Deshalb musste ich das Storyboard ordentlicher als sonst machen, damit nicht nur ich, sondern auch andere Menschen es verstehen können. Das war cool, weil ich viele Entscheidungen nicht erst beim Rein-Zeichnen getroffen habe. Bei meinem nächsten Buch werde ich das nochmal so versuchen.
Arbeitest Du mehr nach Bauchgefühl oder sind das aktive Entscheidungen im kreativen Prozess bei dir?
Beides. Den Spannungsbogen entwickle ich aktiv. Es gibt in der Literatur verschiedene Konzepte für den Aufbau von Geschichten, zum Beispiel nach drei oder nach fünf Akten, wo Höhepunkte sind und wo die Spannung wieder abfällt. Das habe ich auf jeden Fall immer im Hinterkopf. Auch bei der visuellen Umsetzung wähle ich bestimmte Farben oder Bildaufbauten, um Stimmung zu erzeugen.
Vieles, was Figurendynamik angeht, passiert spontan auf dem Blatt. Beim Comic hat man ja nicht nur den Text, sondern kann ganz viele Informationen ins Bild packen: Wie bewegen sich die Figuren, welche Mimik haben sie, wie stehen sie zueinander, welche Eigenheiten haben sie, vielleicht passiert im Hintergrund noch eine kleine zweite Geschichte. So etwas kann man gar nicht vorher planen. Das macht für mich aber auch den Comic als Medium aus.
Was zeichnest Du denn am liebsten?
Auf jeden Fall Tiere. Ich habe fünfzehn Jahre lang Tiercartoons gemacht, deshalb fällt mir das auch sehr leicht. Was ich schwierig finde, ist Architektur, Gebäude, sowohl von innen als auch von außen. Das habe ich mit meinem Stil noch nicht zusammenbringen können, wie viel perspektivische Korrektheit es da braucht oder nicht. Das wird beim nächsten Projekt spannend, weil das in einer Stadt spielen wird.
Wie wählst Du die Themen für deine Bücher aus?
Man muss sich mit ganz vielen Eindrücken füllen, bei allem aufmerksam sein, auch mal interessenfremde Sachen konsumieren. Zum Beispiel sich Dokus anschauen über Dinge, mit denen man eigentlich nicht so viel anfangen kann, mal über den eigenen Tellerrand schauen. Wenn ich nach so einer Phase dann Zeit habe, alles sacken zu lassen, kommen die Ideen ganz von selbst.
Ich arbeite oft themenbezogen. Das Thema steht zuerst und dann überlege ich, wie ich es in einen vielleicht unerwarteten Kontext bringen kann. Bei „Murr“ sind es zum Beispiel die Themen Loslassen und Vergänglichkeit in Kombination mit einem Western-Genre. Bei „Trip mit Tropf“ Krankheit mit einem Road-Trip.
Du hast vorhin über Pädagogik in Kinderbüchern gesprochen und darüber, sich auch in Kinderbüchern an schwere Themen ranzutrauen. Hast Du selbst Lieblings-Kinderbücher oder Bücher, an denen Du dich orientierst?
Ich hab erst seit ich selbst Kinderbücher mache, mit diesem ganzen Bereich zu tun. Es gibt ganz viele tolle Autor*innen, auch hier in Leipzig. Ich bin im Netzwerk von Kinder- und Jugendbuchautor*innen Leipzig (https://www.kjl-leipzig.de/) aktiv. Wir versuchen in der Stadt präsenter zu werden. Durch meine Kolleg*innen lerne ich viele neue Bücher kennen.
Ich mag zum Beispiel Maja Konrad, die „Henry Kolonko und die Sache mit dem Finden“ geschrieben hat, sehr gerne und natürlich Tanja Esch, eine liebe Kibitz-Kollegin und die Autorin von „Boris, Babette und lauter Skelette“.
Ich denke, dass viele Verlage sich grundsätzlich gerade mehr öffnen, auch für schwierige Themen. Die Figuren werden immer diverser, man erlaubt sich auch mal Hauptfiguren, die nicht dem mitteleuropäischen oder deutschen Standard entsprechen.
Dadurch, dass ich viel mit Tieren arbeite, habe ich dieses Problem schonmal nicht. Tiere eignen sich für ganz unterschiedliche Lesarten. Ich war in Bologna auf einer Kinderbuchmesse. Dort habe ich Kinder gefragt, wie sie zwei Figuren aus „Trip mit Tropf“, den Wolf und das Kaninchen lesen. In Deutschland wird das Kaninchen ganz oft als Mädchen gelesen, einfach weil es schwach und krank ist. Für die italienischen Kinder ist es aber ein Junge, weil das Kaninchen auf Italienisch „il coniglio“ ein männliches Wort ist.
Ich fand es cool, dass die Figur beide Lesarten zulässt. Ich selbst hatte das Kaninchen ganz neutral gelesen und gar nicht detailliert geplant. Unbewusst beschäftige ich mich also mit solchen Themen, weil es mir wichtig ist, Geschichten zu machen, die über Alters- und Themengrenzen hinweg funktionieren und die nicht mit dem Holzhammer daherkommen.
Ich glaube, dass das ein Problem bei vielen Verlagen ist, die sagen, sie wollen jetzt ein Buch über Diversität machen. Aber dann wird die Geschichte vielleicht total schlecht.
Also stehen für Dich vor allem Geschichten und Figuren im Vordergrund und kein pädagogischer Anspruch?
Zu 100 Prozent. Im Hinterkopf spielt es natürlich immer mit. Ich bin in den 80ern im Osten groß geworden. Da spielt eine bestimmte Prägung mit, die vielleicht nicht mehr das ist, was man heute lesen möchte. Ich denke heute auch ganz anders über Dinge als noch vor zehn Jahren. Zum Beispiel beim Gendern. Das habe ich anfangs gar nicht verstanden, weil es mir auch schlecht erklärt worden ist. Heute begreife ich das einfach als freundliche Geste. Ich habe Respekt davor, Sachen falsch zu machen, aber das ist nicht schlimm.
Ich wohne mittlerweile in einem kleinen Dorf. Sowas wie Gendern könnte man da gar nicht anbringen. Wenn ich mich dort unterhalte, verkneife ich mir das Gendern.
Oder auch die Darstellung von weiblichen Charakteren in Filmen oder Bücher: Ich ertrage es kaum noch, mir die Inszenierung von Frauen von vor zehn Jahren anzuschauen. Da passe ich auch bei meinen Büchern in Zukunft auf. Ich möchte Bücher schreiben, die auch in zwanzig Jahren noch niemanden verletzen. Ich möchte, dass die Geschichte im Vordergrund steht und man sich nicht über bestimmte Klischee-Darstellungen ärgern muss.
Hast Du Dir vor Deinem ersten Buch „Murr“ überlegt, wie die Leser*innen auf das Buch reagieren werden?
„Murr“ ist da ein super Beispiel. Es arbeitet mit so vielen Stereotypen. Der Protagonist ist einfach ein klassisch frauenfeindlicher, unangenehmer Typ, zumindest am Anfang. Es war mir auch wichtig, dass das so ist. Er verändert sich auf überraschende Art und Weise, weil er dem Tod begegnet.
Es gibt nur zwei Frauenrollen bei „Murr“: Das eine ist die Mutter und das andere die Geliebte. In einer anderen Geschichte würde ich das so niemals machen. Aber dort war es so, weil es eben in diesem 70er und 80er Jahre Western-Genre spielt. Ob ich eine Geschichte auf diese Art und Weise aber so nochmal erzählen würde … Ich würde mehr Ironie reinbringen, die sichtbar macht, wie daneben diese Verhältnisse eigentlich sind.
Ich begreife das als Prozess und hoffe, dass es gesellschaftlich okay ist, da ständig im Prozess zu sein, auch wenn es bei manchen etwas länger dauert. Ich hoffe, dass wir irgendwann wirklich irritiert über die Rollenbilder in den alten Büchern und Filmen sein können. Bei manchen Filmen bin ich aber auch wirklich beeindruckt, wie progressiv sie damals schon waren und wie sie auch über Dekaden hinaus noch funktionieren. Da will ich auch selbst hinkommen.
Im „Bärbeiss“ gibt es da auch ein gutes Beispiel: Ursprünglich nennen die Bewohner ihr Dorf, in dem die Geschichte spielt, Timbuktu. Weil sie selbst nicht genau wissen, wo es überhaupt ist und das bei uns ja ein Synonym ist für einen weit entfernten Ort irgendwo im Nirgendwo. Aber Timbuktu ist ja eigentlich eine richtige Stadt, wo Menschen leben. Ich hab das dann gegoogelt, Timbuktu ist seit 1988 Weltkulturerbe und war 2006 Welthauptstadt der islamischen Kultur. Es ist eine sehr bekannte Stadt mit einer langen, wechselvollen Geschichte, nur eben nicht bei uns. Deshalb heißt das Dorf in meiner Version nicht Timbuktu.
Gerade das Spielen mit Klischees macht für mich Comics auf eine Art total aus. Gleichzeitig muss man sie auch früher oder später aufbrechen, sonst wird es ja langweilig. Ich habe den Eindruck, dass Du gerade das Aufbrechen von Klischees total gut machst.
Ja, das ist mir auch wichtig. Das ist sicher auch die Cartoon-Schule gewesen, denn so funktioniert ja Humor: Man setzt eine Situation, tut etwas Unerwartetes und sorgt so für Irritation und im besten Fall ein Lachen.
Auch in meinen Büchern ist es mir wichtig, mit Erwartungshaltungen der Leser*innen zu brechen, also dass sich zum Beispiel Figuren anders entwickeln, als man es gedacht hätte. Ich will auch die Figuren nicht auserzählen, also nicht jede kleine Entwicklung der Figuren erklären. Ich habe zu jeder Figur eine Vorgeschichte, aber die kommt nicht unbedingt ins Buch, sondern spielt nur untergründig mit. Ich hoffe, dass man den Figuren aber anmerkt, dass sie dadurch eine gewisse Tiefe haben.
Der „Bärbeiss“ hat mir in der ursprünglichen Geschichten fast schon etwas Leid getan. Er wird in dieses Dorf reingeworfen und alle kommen da mit ihrer übergriffigen Fröhlichkeit.
Ein bisschen wie beim Grinch.
Ja. Ich bin an solchen Figuren ganz nah dran, weil ich sehr mitfühlen kann, wenn man nicht so reinpasst. Wenn man diese Fröhlichkeit zum Beispiel nur ganz schwer ertragen kann. Ich habe dann in meiner Version versucht, ihn da mehr gegenhalten zu lassen. Er sagt ein paarmal Sachen wie „Ihr wisst ja gar nicht, wie ich bin“. Gleich im ersten Kapitel, wo er eine Party ertragen muss, die spontan für ihn gehalten wird und die er wirklich gar nicht ertragen kann, sagt er „Ihr wisst ja gar nicht, wie man Besuch behandelt“.
Das ist fast schon eine Frage von Integration: Wie viel von sich muss man aufgeben, um in einer Gesellschaft zu funktionieren und wie sehr muss eine Gesellschaft es ertragen, wenn jemand so total quer steht. Das ist eine große Frage, die man kindgerecht aufarbeiten muss, aber auch nicht zu sehr mit dem Holzhammer. Also wenn man es möchte, kann man da bestimmt ganz viele Sachen rauslesen, aber man kann es auch einfach nur als lustige Geschichte wahrnehmen und sich daran freuen, wenn das ganze Dorf in einem Schlammbad sitzt.
So etwas überlasse ich gern einfach den Leser*innen. Wenn ich ein Buch veröffentlicht habe, dann gehört es denen, die es lesen.
Das heißt, dass Du auch zu vielleicht schwerer zugänglichen Figuren eine Beziehung und Empathie entwickelst?
Ich muss jede Figur in irgendeiner Weise mögen, auch wenn sie nicht auf den ersten Blick sympathisch sind. Aber es gibt immer etwas an ihnen, wo ich sie verstehe. Also auch der Pinguin, der ja ein bisschen der Gegenspieler vom Bärbeiss ist und der immer alles besser weiß, der kann aber auch über sich selbst lachen und versorgt alle mit selbstgemachten Eiskreationen. Das mag ich an ihm.
Suchst Du Dir manchmal auch reale Personen als Vorlage für Deine Figuren?
Viele Erlebnisse und Situationen fließen auf jeden Fall in meine Bücher ein. Wenn ich zum Beispiel finde, dass eine Person in einer Situation echt cool reagiert hat, nehme ich das mit. Ich reflektiere viel die Haltung von Menschen und wie sie miteinander umgehen und versuche, dies den Figuren in meinen Geschichten angedeihen zu lassen.
Das ist aber generell in dieser Branche so, dass man ganz viel von außen aufsaugt.
„Der Bärbeiss“ ist jetzt draußen – Was steht als nächstes Projekt an?
Ich werde erstmal viel mit der Veröffentlichung, Lesungen und Workshops zu tun haben. Ich hoffe, dass ich Ende des Jahres zur Arbeit an meinem Comic-Krimi zurückkehren kann. Der Text ist seit über zwei Jahren fertig, aber ich bin bisher nicht dazu gekommen weiterzumachen.
Es geht um eine alte Dame, die ein Verbrechen, das weit in der Vergangenheit liegt, aufklären will. Ihr zur Seite steht ein dreibeiniger Hund mit erhöhtem Redebedarf. Alles wieder etwas absurd und tragisch-komisch, da freue ich mich wirklich sehr drauf.
Termine/Lesungen mit Josephine Mark in der Moritzbastei:
Moritzbastei Comic:Kunst
Comiclesung, Vernissage, Werkstattgespräch
Beginn jeweils 20 Uhr
19.09. Wiebke Bolduan „Viktoria Aal“ https://wiebkebolduan.myportfolio.com/
„Interview mit der Autorin und Illustratorin Josephine Mark: „Ich möchte Erwartungshaltungen brechen““ erschien erstmals im am 03.05.2024 fertiggestellten ePaper LZ 124 der LEIPZIGER ZEITUNG.
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