Am 27. Januar 2020 wurde die erste Infektion mit Covid-19 in Deutschland bestätigt. Es folgten die Ereignisse in Heinsberg und in Leipzig, die scheinbar wochenlange Debatte darüber, ob die Buchmesse eigentlich stattfinden könnte. Sie fand dann nicht statt. Da ging es der Messeleitung wie tausenden anderen Entscheidungsgremien in Deutschland: Niemand wusste wirklich, wie man mit einer derartigen Pandemie umgehen soll.

Das sorgte für Unsicherheiten, die bis heute Fragen aufwerfen. Georg Mascolo und Christian Drosten versuchen, sie zu beleuchten. Nicht zu klären, auch wenn der Journalist Georg Mascolo an etlichen Stellen immer wieder nachgreift, weil er aus dem bekanntesten Virologen der Republik Antworten herauskitzeln will, die Eindeutigkeiten schaffen, wo keine sind.

Die Medien als Problemfall kommen natürlich auch vor in dem langen und intensiven Gespräch, das die beiden geführt haben. Medien, die mit offenen Fragen nicht umgehen können, die Klarheit wollen, wo es keine Klarheit gibt, eindeutige Forschungsbefunde, wo die Forscher selbst noch unter gewaltigem Druck herauszufinden versuchen, wie ein neuartiges Virus wirkt und welche Schäden es anrichtet. Und Mascolo demonstriert so nebenbei, dass auch er davon nicht frei ist.

Doch geduldig antwortet im Christian Drosten auch auf sein Insistieren, das auch eine Menge mit den aktuell immer wieder erhobenen Forderungen zu tun hat, es solle doch endlich aufgearbeitet werden, was in der Corona-Pandemie alles falsch gelaufen ist. Eine Forderung, die insbesondere aus Parteien kommt, die schon während der Pandemie gegen die ergriffenen Schutzmaßnahmen wetterten und finstere Verschwörungen mutmaßten.

Man sollte was lernen aus dieser Pandemie

Auch das ist ein Ergebnis dieses in Buchformat geratenen Gesprächs: Dass eine faktenbasierte Aufarbeitung tatsächlich nötig ist – aber nicht in dem von einigen Medien verlangten Sinn einer Bestrafung der Schuldigen, sondern um aus dem, wie die Bundesrepublik die Pandemie bewältigt hat, zu lernen. Nämlich für die nächste Pandemie, von der Drosten aus all seiner wissenschaftlichen Erfahrung weiß, dass sie kommen wird. Unklar ist nur, welches Virus es dann sein wird, das die Welt in Schrecken versetzen wird. Aktuell der medial auffälligste Kandidat: das Vogelgrippevirus H5N1.

Und bei einer Aufklärung sollten auch die Erfahrungen anderer Länder ausgewertet werden. Denn die Reaktionen der verschiedenen Regierungen, die Bevölkerung zu schützen und die Todesfälle durch COVID-19 niedrig zu halten, unterschieden sich ja von Land zu Land. Wenn man weiß, welche Maßnahmen am besten funktionierten, kann man sie für künftige Pandemien zum Standard machen. Auch wenn unklar ist, wie ansteckend und wie tödlich das nächste Virus sein wird, das den Sprung aus einer Wildtierpopulation auf den Menschen schafft.

Dass genau das, was die lautstarken Populisten im Land als Eingriff in ihre so kostbare Freiheit verstanden und wogegen sie in wilden Demonstrationen anagitierten, tatsächlich die besten Maßnahmen waren, die am meisten dazu beitrugen, die Ansteckungsrate zu senken – und damit die Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern – ist längst in belastbaren Studien (vor allem aus Großbritannien) nachgewiesen. Auch darauf kommen die beiden zu sprechen.

Ein Virologe wird berühmt

Für den Erlass von Maßnahmen zur Bewältigung einer Pandemie ist zwar die Politik – allen voran die Bundesregierung – zuständig. Das muss auch immer wieder betont werden. Aber wenn es um Fakten, Datengrundlagen und fundierte Beratung geht, braucht man die Wissenschaftler – vor allem in beratender Funktion.

Aber: Sie sind nicht für die verhängten Maßnahmen verantwortlich, auch wenn diverse Medien und etliche politische Leichtgewichte sich schon früh auf Wissenschaftler wie Christian Drosten eingeschossen haben und ihn regelrecht zum Buhmann der Nation machten.

Dabei kam der Berliner Virologe zu seiner Bekanntheit wie die Mutter zum Kinde. Denn als einer der ersten Wissenschaftler in Deutschland begriff er, was da in China geschah und dass das Virus diesmal – anders als bei einem früheren SARS-Vorfall – nicht am Ort der ersten Infektionen eingefangen werden konnte, sondern sich ab Anfang 2020 auf die Reise um den Erdball gemacht hatte.

Auch das so eine Schieflage der deutschen Berichterstattung, die immer wieder so tat, als hätte man es allein mit einer deutschen Pandemie zu tun und deutschen Politikern, die in den Augen der Besserwisser (und eben auch vieler fachlich eher nicht informierter Journalisten) versagten.

Doch Drosten und Mascolo machen noch einmal deutlich, wie sehr all das, was im Frühjahr 2020 in Deutschland geschah, auch eine Suche nach dem bestmöglichen Weg war, die Ausbreitung des Virus irgendwie zu bremsen. Mit dem bis heute vielen in Erinnerung gebliebenen ersten Lockdown, der tatsächlich auch die erste Corona-Welle brach. Auch das wird so gern vergessen. Überhaupt scheint Vergesslichkeit bei etlichen Leuten, gerade was das Gebiet der Epidemien betrifft, eher die Regel zu sein.

Denn dass es in Deutschland auch im 20. Jahrhundert sehr heftige Grippewellen mit vielen Toten gab, bei denen der Staat gravierend in die Freiheitsrechte der Menschen eingreifen musste, war in den meisten öffentlichen Debatten nicht mehr zu hören.

Und auch der Vergleich mit der Spanischen Grippe, die fast genau 100 Jahr zuvor weltweit Millionen Todesopfer forderte, tauchte eher sporadisch auf. Auch wenn gerade Kommunen in den USA damals sehr wertvolle Erkenntnisse darüber sammelten, wie man die Ausbreitung der Infektionen eindämmen konnte. Worum es ja gerade im ersten Corona-Jahr auch in Deutschland ging.

Und Mascolo und Drosten diskutieren so gut wie jede der Maßnahmen, die damals ergriffen wurden. Aber auch das Versagen von Medien und Politik, als es zum Beispiel darum ging, die zweite Welle zu verhindern.

Hinter die Kulissen schauen

Sie gehen aber auch darauf ein, mit welch furiosem Tempo damals Impfstoffe entwickelt wurden und dass eine große Chance darin bestanden hätte, den Großteil der Bevölkerung zeitnah gegen Corona zu impfen.

Doch genau in dem Moment begann aus der populistischen Ecke die wilde Kampagne gegen die „Zwangsimpfung“, die die Gefahren der Impfung maßlos übertrieb und deren Nutzen regelrecht ausblendete. Eine gefährliche Haltung, denn diese Kampagnen richten sich auch gegen andere wichtige Impfungen wie die gegen Tbc und Pocken, sodass sich immer mehr Menschen nicht dagegen impfen lassen und die Ansteckungszahlen dieser gefährlichen Krankheiten in Deutschland seit Jahren wieder steigen.

Mascolo kann im Gespräch mit Drosten auch deshalb immer wieder fundiert nachhaken, weil er schon 2021 – als ein Ende der Pandemie noch längst nicht absehbar war – mit seiner Frau Katja Gloger zusammen ein Buch zur Pandemie veröffentlichte, das zum Bestseller wurde: „Ausbruch. Innenansichten einer Pandemie“.

Worin er schon demonstrierte, dass guter Journalismus sich nicht mit der Oberfläche oder den meist unfundierten Meinungen besonders lautstarker Leute zufriedengibt, sondern versucht, auch Informationen aus den Beratungs- und Entscheidungsgremien zu bekommen, Fachleute zu fragen, die sich mit Pandemievorsorge und Virologie auskennen, die aktuellen internationalen Diskussionen zu verfolgen und auch die Schwierigkeiten zu beleuchten, die es bei der Umsetzung dringend erforderlicher Maßnahmen gibt.

Denn Deutschland stand nicht gut da, was die Vorsorge betraf. Das entscheidende Steuerungsgremium hatte der Bundesinnenminister 2015 gerade erst abgeschafft. Wozu deutsche Politik ja gerne neigt, wenn es mal ein paar Jahre keine Katastrophe und keine Pandemie gab.

Es gab keine Lager mit der nötigen Menge an Schutzausrüstungen und Masken, weshalb es dann ja zu den wilden Hamsterkäufen des Bundesgesundheitsministers kam. Und so mussten etliche Strukturen im Hauruck-Verfahren wieder etabliert werden. Doch nicht Lothar Wieler, der damalige Präsident des Robert Koch-Instituts, das die Regierung bei der Eindämmung der Pandemie beriet, wurde zum bekanntesten Gesicht der Corona-Zeit, sondern Christian Drosten.

Das bekannteste Gesicht der Corona-Zeit

Auch darüber sprechen Mascolo und Drosten. Über jenen Moment, als Drosten als Experte für die Corona-Viren der Erste war, der vor der Gefahr der heranrollenden Pandemie warnte. Was dann der Anlass für den NDR war, mit ihm eine Podcast-Reihe „Das Coronavirus-Update“ zu starten, in der der Wissenschaftler fachlich einschätzte, was mit dem Virus gerade passierte und welche Folgen das für dessen Ausbreitung und die notwendigen Pandemie-Maßnahmen haben könnte.

Für Millionen Bürger war der Podcast eine Orientierung in einer Medienwelt, die manchmal regelrecht hyperventilierte und von einem Extrem ins andere fiel. Und damit natürlich auch Ängste schürte, wo sachliche Informationen allen mehr geholfen hätten.

Aber zur Mediendebatte gehört eben auch der Blick auf die asozialen Medien, die längst zur Hauptinformationsquelle der meisten Menschen geworden sind, wo gerade die Radikalisierung ins Extrem der Normalzustand ist – und natürlich die Basis für Falschinformationen, Verschwörungsmythen und ganz persönliche Angriffe gegen Personen wie Christian Drosten.

Und dabei zeigt auch dieses Gespräch, dass es auch bei einer Virus-Pandemie kein Schwarz und kein Weiß gibt. So wie im ganzen menschlichen Leben nicht. Das wünschen sich zwar einige Leute und prügeln dann selbstgerecht auf andere ein. Aber bei einem Virus – das im Verlauf der entscheidenden zwei Jahre auch immer wieder mutierte – kann der Versuch eines Staates, die Folgen für die Bevölkerung (und es geht immer um alle, nicht nur um die paar Leute, die sich über jede Fliege aufregen) zu lindern, immer nur ein vorläufiger sein.

Und meist auch nur ein Kompromiss, wenn Parteien unterschiedliche Vorstellungen darüber haben, was den Bürgern zugemutet werden kann.

Wenn es an belastbaren Informationen fehlt

Und zur Wahrheit gehört auch – das stellen die beiden nach diesem nicht einfachen Gespräch ebenfalls fest – , dass Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern relativ glimpflich durch die Pandemie gekommen ist. Und sich in seinem Maßnahmenpaket durchaus mit anderen Ländern – wie z.B. Großbritannien – vergleichen kann. Auch Länder lernen voneinander, Wissenschaftler sowieso.

Denn die wissen genau, dass jeder Wissensstand immer nur ein vorläufiger ist. Und dass man manchmal nur die Evidenz eines Vorgangs einschätzen kann und keinen endgültigen Beweis hat, weil man einfach keine ausreichenden Daten und Informationen bekommt – etwa zum Ursprung des Virus in China. Diktaturen neigen nun einmal nicht zur Transparenz, erst recht nicht, wenn sie bei ihrem Handeln ein schlechtes Gewissen haben. Und so gibt es gerade aus den großen Diktaturen auch keine verlässlichen Zahlen zu Infizierten und Erkrankten.

Und trotzdem zeigt das – überfällige – Gespräch von Mascolo und Drosten, wie viel wir tatsächlich über die Pandemie und das Agieren der deutschen Politik in den Corona-Jahren wissen. Es ist eben nicht so, dass geheimnisvolle Mächte hinter den Kulissen agierten und der Bevölkerung nicht erklärten, was sie gerade taten. Im Gegenteil. Das meiste war bekannt. Und wer seriöse Medien und Podcasts verfolgte, war stets relativ gut darüber informiert, wie es um COVID19 in Deutschland gerade stand.

Und auch die wirklich wichtigen Debatten – etwa die um die radikalen Schulschließungen – wurden nicht vertuscht, sondern öffentlich geführt. Und im Nachhinein sind auch die Verantwortlichen klüger darüber, wie man die Schließung von Schulen künftig verhindern kann, die ja bekanntlich vor allem das seelische Befinden der Kinder dramatisch beeinträchtigten. Ganz zu schweigen von der Überlastung der Eltern.

Für manche Leser wird auch beruhigend sein, wie sachlich nüchtern Christian Drosten auf Mascolos Fragen eingeht. Oder beunruhigt, denn die Gefahr neuer Pandemien ist mit dem Abklingen der Corona-Pandemie keineswegs gebannt. Im Gegenteil: Wir tun gut daran, das Wichtigste im Umgang mit so einer Pandemie zu lernen und vorzusorgen für die nächste Pandemie, die mit Flugzeuggeschwindigkeit um die Erde rollt.

Christian Drosten, Georg Mascolo „Alles überstanden?“ Ullstein, Berlin 2024, 24,99 Euro.

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