Sophia Fritz beschreibt selbst, wie schwierig dieser Begriff ist: toxische Weiblichkeit. Und das in einer Welt, in der toxische Männlichkeit überall für Unheil sorgt. Aber sie stellt sich auch die Fragen, die sich auch schon andere Frauen gestellt haben. Denn inzwischen wird sehr ernsthaft über toxische Weiblichkeit diskutiert. Denn Fakt ist eben leider auch: Wenn Frauen sich das toxische Verhalten von Männern nicht gefallen lassen würden, würde das Patriarchat so nicht funktionieren.

Aber Frauen wachsen natürlich – genauso wie Männer – hinein in das Patriarchat. Und hier lernen sie schon als Kind, sich anzupassen, zu überleben als das sogenannte „schwächere Geschlecht“. Und das hat Folgen, wie Sophia Fritz auch anhand eigener Erfahrungen erzählt.

Denn Mädchen lernen so nicht nur Überlebensstrategien in einer von Gewalt und Unterordnung geprägten Welt, sondern auch eigene Strategien der Macht – auch über Männer. Oder mal so formuliert: Wenn sich Feminismus nur gegen dominierende Männer richtet, verfehlt er sein Ziel. Er verkennt, dass toxische Verhaltensweisen von Frauen das Patriarchat stabilisieren.

Von dem – das merkt Sophia Fritz an entscheidender Stelle auch an – nicht alle Männer profitieren. Auch nicht alle, die sich die männlichen toxischen Verhaltensmuster angeeignet haben, gewalttätig, gefühlsarm und herrschsüchtig sind. Vom Patriarchat profitiert nur eine kleine Elite von Männern ganz oben in der Hierarchie.

Gutes Mädchen, Mutti, Powerfrau

Und das vielleicht Erschütterndste aus weiblicher Perspektive: Es sind gerade die als besonders weiblich gepriesenen Eigenschaften, die Sophie Fritz als besonders toxisch identifiziert.

„Nicht die fehlende Solidarität zwischen Frauen ist das Symptom toxischer Weiblichkeit, sondern evasive Verhaltensweisen wie Überangepasstheit, Gefälligkeit und die Übernahme fremder Gefühle – lauter Aspekte, die wir anerzogen bekommen haben und für die wir aus patriarchaler Perspektive gepriesen werden“, schreibt Fritz.

„Emanzipation ist also nicht nur die Befreiung von der institutionellen Dominanz der Männer, sondern auch die Befreiung von Weiblichkeit als patriarchaler Wunschvorstellung.“

Und so durchleuchtet sie nacheinander gerade die aus Männersicht gefeierten Frauenbilder des „guten Mädchens“, der Powerfrau, der Mutti und des Opfers. Rollen, wie sie sich Patriarchen immer wieder wünschen. Auch die Powerfrau, die heute politisch immer noch gefeiert wird, obwohl sie nichts anderes ist als die konsequente Inanspruchnahme der Frau für die radikale Verwertung ihrer Leistungsfähigkeit.

Gern mit Familie, Kindern und Fulltime-Job. Dafür erntet sie Bewunderung von Kerlen, die sich um Care- und Homework keine Platte machen, die sich längst etabliert haben in einem System, in dem sie „unbezahlte“ Arbeit immerfort an andere delegieren. Insbesondere an Frauen.

Genauso wie sie Frauen für ihre Gefühlslagen verantwortlich machen, sich bemuttern lassen, wenn ihnen danach ist, mal gerade kein harter Kerl zu sein, der im Job Bäume ausreißt. Aber dann spricht der Macher natürlich auch nicht über seine Gefühle.

Das hat er nämlich so gelernt. Um Gefühle kümmern sich die Frauen. Das haben sie auch so gelernt. Sie fühlen sich ein, haben Verständnis, machen alles gut. Sie kümmern sich um das Gefühlsleben ihrer ganzen Umgebung. Was Gründe hat. Sophia Fritz weiß das nur zu gut. Denn damit schaffen sie auch Räume der Sicherheit. Oder zumindest welche, in denen sie sich sicherer fühlen.

Weibliche Körper unter Zensur

Denn Sicherheit hängt auch mit dem Wissen darüber zusammen, wie der Andere gerade tickt. Wenn er austickt, ist es zu spät. Auch das wissen Frauen. Deswegen bleibt die Analyse der Autorin auch nicht auf der Ebene ihrer eigenen Partnerschaften, in denen sie durchaus seltsame Erfahrungen mit ihren Männern gemacht hat. Auch die Ebene der Eltern kommt ins Licht.

Dort lernt man nämlich seine Strategien fürs Leben – die Mädchen von ihren Müttern, die Jungen von ihren Vätern oder auch später von den Jungscliquen, in denen sie um Anerkennung ringen müssen. Anerkennung, die man nur bekommt, wenn man sich hart und durchsetzungsstark zeigt. Das ist in der Schulhofbande genauso wie in der Burschenschaft.

Und immer geht es um Macht, um Ungleichwertigkeiten. Und das kennen auch Mädchen. Auch wenn sie lernen, mit anderen Strategien diese Ausgrenzungen und Verletzungen Anderer zu praktizieren. Die Seite, die Sophie Fritz natürlich bestens kennt. Manchmal aber auch erst im Nachhinein erkennt und versteht.

Denn in einer derart hierarchischen Gesellschaft wie der des Patriarchats herrscht immerfort ein Wettbewerb um Status und Anerkennung. Auch unter Frauen. Dort vielleicht sogar noch erbitterter, wie Sophia Fritz feststellt, wird weibliche Anerkennung doch immer wieder durch ihr Äußeres generiert, ihren Sex-Appeal und ihre Perfektion. Der männliche, patriarchalische Blick verwandelt sich zum weiblichen Blick auf andere Frauen: Sind diese eine Konkurrenz und Gefahr im Kampf um die dominanten Männchen?

Dass das schon in der Kindheit beginnt und mit Müttern zu tun hat, die diese Sicht auf Weiblichkeit verinnerlicht haben, kann Sophia Fritz aus eigener Erfahrung berichten. Genauso wie das auch Männern nur zu vertraute Gefühl der Narzissmus, des Hin-und-Her-Gerissenseins zwischen Grandiosität und Minderwertigkeit.

Auch das gehört zum Kampf um Status und Anerkennung einer völlig aufs Äußere fixierten Gesellschaft: Jeder versucht etwas „darzustellen“ – doch die wirklich sensiblen Menschen geraten dabei nur zu schnell ins Hochstapler-Syndrom, quälen sich mit Fragen, ob sie den Job tatsächlich ausfüllen, den Status tatsächlich verdient haben. Ihre Unsicherheit wird ihnen oft zum Verhängnis.

Unter diesem System leiden auch die Männer

Während die gefühllosen Narzissten sich keine Platte machen und selbst dann, wenn sie keine Ahnung haben von dem, was sie tun, mit aller Eitelkeit davon ausgehen, dass genau sie die Position verdient haben. Auch wenn das Sophia Fritz so nicht beabsichtigt hat, ist ihr Blick in die Welt der toxischen Weiblichkeit auch einer in die der toxischen Männlichkeit.

Und so nebenbei auch in die politische Welt, in der ausgerechnet die toxischen Modelle des Narzissmus auch die Wählerinnen und Wähler faszinieren. Eine Welt, in der Frauen in der Regel nur Erfolg haben, wenn sie sich genauso hart und rücksichtslos benehmen wie Männer. Und nicht nur Shit-Stürme ernten, wenn sie einmal menschliche Regungen zeigen. Solche Regungen sind meist ihr Karriereende.

Gerade aus der weiblichen Perspektive wird so sichtbar, dass es beim Thema Patriarchat nicht gegen „die Männer“ geht, sondern gegen Machtstrukturen. Mit Verweis auf bell hooks (Wiki) schreibt Sophia Fritz: „Es geht ihr darum, ein System zu erkennen, unter dem wir alle leiden und das unter anderem auch die emotionale Verkümmerung von Männern in Kauf nimmt.“

Was soll man da sagen? Es ist auch ein Buch, das nicht nur Frauen lesen sollten, sondern auch Männer. Auch sie werden sich in den destruktiven Mustern wiederfinden, die Sophia Fritz hier aus weiblicher Perspektive beschreibt.

Wenige Seiten weiter wird Fritz noch deutlicher: „Manche Männer leiden weniger unter dem Patriarchat, weil sie gelernt haben, weniger zu fühlen. Aber dieses Weniger muss als beklagenswerter Mangel anerkannt werden. Ein Leben nur halb mitzubekommen, nie in der Tiefe Intimität zu erleben, zu lieben, zu trauern – ist das beneidenswert?“

Die Antwort gibt Fritz dann gleich selbst: „Ich möchte mich nicht über Männer erheben, sondern deutlich machen, dass das System, in dem wir leben , auf den einzelnen Mann genauso scheißt wie auf Frauen.“

Lohnt sich der Kampf?

Da lohnt sich der Perspektivwechsel, der auch zeigt, wie sehr männliche Strategien, sich zu schützen, dieselbe Funktion haben wie die Strategie der Frauen, sich mit teils toxischen Verhaltensweisen eine gewisse Kontrolle über ihr Umfeld zu verschaffen.

Und manche dieser weiblichen Strategien kennen auch Männer – gerade die, die es sich trauen, sich nicht der aggressiven Meute anzuschließen, die ihre Selbstständigkeit behaupten und ihre eigene Emotionalität. Auch sie erleben toxische Hierarchien, in denen sie gedisst, gemobbt, benachteiligt und ausgegrenzt werden.

Und sie erleben einen Staatsapparat, der das patriarchale Männerbild zutiefst verinnerlicht hat. Und der immer wieder beweist, dass er – ob in Polizei oder Justiz – wenig Verständnis hat für Schwächere, die Gewalt erlebt haben. Das Misstrauen von Frauen gegenüber dem Staatsapparat ist wohl nur zu berechtigt, stellt Sophia Fritz fest.

Wie sollte es auch sein in einer Gesellschaft, die ihre eigenen patriarchalen Muster nicht sieht und nicht sehen will?

Aber wie kommt man da raus? Hat man jetzt nicht ein halbes Jahrhundert kämpferischen Feminismus erlebt und an den Strukturen des Patriarchats hat sich gar nichts geändert? Lohnt sich der Kampf überhaupt?

Die Macht und die Scham

Am Ende gibt Sophia Fritz ein bisschen Zuversicht, denn aus eigener Erfahrung weiß sie, dass sich auch Frauen nicht in der angepassten Rolle des „guten Mädchens“ verstecken müssen, auch wenn das „gute Mädchen“ regelrecht gefeiert wird in Filmen, in der Werbung, bei Influencerinnen, auf dem Laufsteg und in der Familienpolitik.

Dort überall steht eher die „Bitch“ als angefeindetes Gegenbild im Raum. Aber der Blick gerade in die Musikwelt zeigt, dass erfolgreiche Künstlerinnen sogar bewusst die Rolle der Bitch annehmen und die männlichen Erwartungen an das brave Mädchen konterkarieren. Dafür deutlich machen, dass sie ihre eigenen Gefühle, Ansichten und Erwartungen haben. Auch an Männer, die sich immer noch wie Patriarchen verhalten.

Das heißt: Eine Gesellschaft kann sich auch durch Selbstermutigung verändern. Und durch das eigene Wahrnehmen eigener toxischer Verhaltensweisen, die natürlich unter der Wahrnehmungsschwelle laufen, weil sie in dieser Gesellschaft als „normal“ gelten und weil wir sie schon als Kinder mitbekommen haben, oft genauso unbewusst, wie unsere Eltern sie praktiziert haben. Frauen wie Männer.

Die Gesellschaft könnte sich radikal verändern, wenn wir stattdessen Menschen um uns hätten, die gelernt haben, sich selbstsicher zu benehmen, „ohne andere zu beschämen“. Denn Machtstrukturen funktionieren immer über Beschämung. Scham ist ihre schärfste Waffe. „Beschämung wird immer Scham produzieren.“ Und Scham soll wehrlos machen.

Wut, Stolz und Kühnheit könnten – so Fritz – die Eigenschaften sein, mit denen sich Frauen wagen, der „patriarchalen und heteronormativen Welt mutig“ entgegenzustellen. Und sich so von den Fesseln falscher Bilder von Weiblichkeit zu befreien. Und damit Männer eben nicht nur herauszufordern, sondern ihnen auch die Chance zu geben, den eigenen, anerzogenen Panzer zu öffnen.

Ein Panzer, der genauso überlebensnotwendig ist, so lange eine von Macht und Gier besessene Gesellschaft ihre patriarchalen Strukturen nicht überwindet.

Sophie Fritz „Toxische Weiblichkeit“ Hanser Berlin, Berlin 2024, 22 Euro.

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Das mit der toxischen Weiblichkeit und ihrem Verfrimmeltsein mit dem Patriarchat erinnert mich historisch an die Tatsache, dass vor gut 100 Jahren viele Gegner des Frauenwahlrechts Frauen waren. Aber das nur am geschichtlichen Rande.

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