Schon die Titelgrafik spricht Bände. Oder mit den Worten des Klappentextes: „Das Weltbild der Rechtspopulisten und ihrer Anhänger ist zugleich absurd einfach und entsetzlich kompliziert …“ In einem Buch voller Torten- und Balkendiagramme macht Katja Berlin, die als Kolumnistin für die „Zeit“ schreibt, hier sichtbar, wie schizophren die Welt der AfD-Anhänger ist. Oder wie verlogen. Es kommt aufs selbe raus.

Wobei man sich beim Blättern trotzdem immer wieder fragt: Wie verknotet ist eigentlich das Denken der Leute, die diesen Unfug glauben und auch noch wählen? Psychologen werden darauf bestimmt viele Antworten haben. Menschen sind in der Lage, den allergrößten Blödsinn zu glauben, wenn das in ihrer Blase die vorherrschende Meinung ist und niemand widerspricht. Und gerade die großen Internet-Plattformen, wo Menschen geradezu automatisch in Meinungsblasen landen, haben das in den vergangenen Jahren geradezu befeuert. Da wird gewütet und gehöhnt und gleichzeitig behauptet, man dürfe ja gar nichts mehr sagen.

Natürlich gibt es auch diese Grafik im Buch. Nebst einer schönen Grafik zu den von Populisten immer wieder behaupteten Denkverbote. Dumm nur, dass es nirgendwo solche Verbote gibt. Katja Berlin liebt diese Ironie, die einfach schon dadurch entsteht, dass sie die vielen wilden Behauptungen aus der rechtsextremen Denkblase mit den Tatsachen aus der Realität vergleicht. Was natürlich eine riesige Tragik beinhaltet, denn mit ihrem Gelärme und Gezeter besetzen die Rechtspopulisten ja auch immer größere Räume der öffentlichen Wahrnehmung. Mit dem Ergebnis, dass selbst die demokratische Mehrheit über die Schein-Probleme der Populisten redet und die wirklichen Probleme, die wir haben, in der politischen Debatte kaum eine Rolle spielen.

Scheinheilige Empörung

Sichtbar etwa wird das, wenn Katja Berlin zeigt, „wann sich Rechtspopulisten um Kinder sorgen“. Das tun sie eben nicht, wenn die Kinder die Klimakatastrophe ausbaden müssen (Klimawandelleugnen gehört ja zum rechtsradikalen Grundgeschirr) oder einer Pandemie ausgesetzt sind (Pandemie-Leugnen gehört ja auch dazu). Aber wenn sie in der Schule Sexualkundeunterricht bekommen, dann stehen die Rechtspopulisten voller Empörung auf der Matte.

Ist das scheinheilig? Es ist scheinheilig. Aber es bestimmt Diskurse, denn Medien greifen die rechte Empörung nur zu gern auf. Und schaffen dadurch noch mehr Resonanz, als wenn dieses Gewüte wichtig wäre. Ergebnis: Ein herrliches Tortendiagramm, das anschaulich zeigt, auf welche Minderheiten ständig Rücksicht genommen wird. Und darin gibt es nur ein paar ganz dünne Segmente für Muslime, LGBTQ und Geflüchtete – aber ein dominierendes Riesenstück für die AfD-Wähler, die immerzu plärren, auf ihr Interessen nehme niemand Rücksicht.

Und so besteht der größte Teil der rechtspopulistischen Selbstwahrnehmung aus Jammern. Vor allem darüber, dass die Anderen (die „Mehrheitsparteien“ und die „Mainstream-Medien“) ihnen immerfort etwas zumuten. Im Populismus-Sprech: „linke Meinungsvorherrschaft“. Womit eigentlich nur gemeint ist, dass rechte Populisten für das, was sie sagen, auch kritisiert werden. Da werden sie weinerlich. Und holen die Opfer-Karte raus. Warum heißt diese Partei eigentlich nicht OfD? Das wäre doch schließlich nur konsequent.

Abschieben, wie es die Rechten wünschen

Besonders gern beklagen diese Rechtspopulisten ja immer wieder, dass es in Deutschland keine Meinungsfreiheit gibt – und das regelmäßig, nachdem sie mal wieder für diskriminierende Äußerungen kritisiert wurden.

Und leider hat das Folgen. Denn während die Rechtspopulisten von einem linken Mainstream schwadronieren, wanzen sich Politiker konservativer Parteien nur zu gern an rechte Meinungsmache an und das Ergebnis ist, dass bürgerliche Politiker, wenn viele Menschen Rechtsextreme wählen, nicht über Präventionsprojekte reden (die werden eher gekürzt), nicht über Jugendarbeit (ebenfalls unter Kürzungsvorbehalt) oder Bildungsarbeit (von Kürzungen stets bedroht), sondern über Abschiebungen, Abschiebungen, Abschiebungen. Als wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt. Und das sehr erfolgreich.

Auch das hat eben damit zu tun, dass nicht über das debattiert wird, was wirklich wichtig ist, sondern über die Befindlichkeiten der Rechtsextremen. Dabei zeigt die Grafik „Was uns davon abhält, uns um wirklich wichtige Probleme zu kümmern“, warum viele Probleme nicht ernst genommen werden: Weil jahrelang mit Rechtspopulisten debattiert wird über ihre jämmerlichen Probleme und falschen Lösungsvorschläge.

Und so nebenbei macht Katja Berlin auch sichtbar, wie der rechte Populistenhaufen tatsächlich tickt. Denn tatsächlich ist es eine Partei der Reichen und Steuervermeider. Sie schürt den Hass gegen die Armen, Migranten und Arbeitslosen. Und will trotzdem die Steuern der Reichen kürzen und findet Auswanderung von Steuervermeidern prima.

Absurde Debatten

Wer leider das Pech hatte, im wilden Orkus rechtspopulistischer Blasen gelandet zu sein, wird beim Umblättern garantiert Kopfschmerzen bekommen. Denn so einfach die Grafiken sind, so verblüffend sind sie oft. Manchmal zeigen sie schlicht die ganzen Leerstellen in den Behauptungen der Rechtspopulisten, die eben leider auch Leerstellen in der öffentlichen Diskussion geworden sind. Beispielhaft sichtbar an einem Tortendiagramm „Worum es in deutschen Integrationsdebatten geht“. Da geht es eben leider nur selten um Integration oder Debatte, aber zu 90 Prozent um die wilde Behauptung „Aber wir können doch nicht die ganze Welt aufnehmen!“

So führt man Debatten natürlich ad absurdem. Was ja auch Sinn populistischer Behauptungen ist. Je wilder und unbewiesener, umso wirksamer. Denn im entfesselten populistischen Diskurs zählen keine Daten, Statistiken und Studien. Da braucht es nur einen Herrn Müller in Hintertupfingen, der das auch seinem X-Kanal gepostet hat. Wenn der das behauptet, muss es ja stimmen.

Und so ist eine Grafik geradezu ein mahnendes Fazit, das Katja Berlin zieht, wenn sie ein Tortendiagramm zur Frage malt „Wem es nutzt, wenn sich konservative Politiker rechtspopulistisch äußern“. Denn das nutzt weder ihrem Wahlergebnis (schöne Grüße nach München und Dresden), noch der Demokratie, dem gesellschaftlichen Zusammenhalt oder zur Problemlösung. Es nutzt nur den Rechtspopulisten, weil es ihre Behauptungen bestärkt und mehrheitsfähig macht.

Geschürte Emotionen

Und das geht noch weiter (mit herzlichen Grüßen an mehrere entflammte Innenminister). Denn welche Protestformen lösen eigentlich in Deutschland wütende Reaktionen aus? Zu 100 Prozent natürlich „auf der Straße sitzen“ und „Farbe auskippen“. Aber fast gar nicht, wenn Leute unbekümmert eigener Verstandesnutzung Rechtsextreme wählen. Natürlich aus Protest, wie sie so gern behaupten.

Das ist ernst. Stimmt. Aber ihren Spaß hat Katja Berlin natürlich auch dabei gehabt, etwa in einer schönen Grafik „Woran Rechte glauben“. An die Wissenschaft eher nicht, auch eher nicht an Gott. Aber dafür: „An wirklich jeden Scheiß, der auf Telegram steht“.

Ein Buch, das richtig Spaß macht und ganz bestimmt auch hilft, wenn man mal wieder mit einer Wüterei aus rechten Blasen konfrontiert wurde. Eine Wüterei, die eigentlich nur noch anödet, weil sich an den Phrasen und Behauptungen nichts geändert hat. Es sind immer wieder dieselben – egal zu welchem Thema, egal in welcher Situation. Ganz zu schweigen von den vielen Behauptungen, dass Deutschland längst zusammengebrochen sein müsste. Dass die Rechten von Ökonomie, Gesellschaft und Problemlösung keine Ahnung haben – man könnte fast sagen: geschenkt. Aber das wäre leichtfertig. Denn mit ihren Zielen meinen es diese Typen ernst, auch dann, wenn sie von Wohlstand, Freiheit und Frieden reden. Denn das meinen sie nur für sich. Nicht für die anderen. Der Hauptwunsch, wie in jedem Wahlprogramm der AfD zu lesen ist, ist tatsächlich, dass es Anderen schlechter gehen soll.

Katja Berlin „Was Rechtspopulisten fordern“, Yes Publishing, München 2024, 14 Euro

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