„Wir brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben und wir sollten aufhören, wahllos irgendetwas zu tun“, schreibt Frank Böttcher, Vorsitzender der Deutsche Meteorologischen Gesellschaft, im Grußwort. Was auch ungefähr beschreibt, aus welcher Motivation heraus Ann-Sophie Henne, Robin Jüngling und Annika Le Large 2019 im Rahmen eines journalistischen Projekts an der Martin-Luther-Universität ihren Blog nachhaltig.kritisch starteten.

Mittlerweile arbeiten sie von Leipzig, vom Neustädter Markt aus und betreiben „kritischen Klimajournalismus“, wie sie es selbst bezeichnen. „Auf Instagram und allen gängigen Podcast-Plattformen gehen sie Klimathemen auf den Grund und hinterfragen den Status Quo der grünen Filterblase“, kann man auf ihrer Homepage lesen. Nach fünf Jahren wollten sie aus dem gesammelten Material gern ein Buch machen, merkten dann aber, dass Verlage in Deutschland ziemlich seltsame Geschöpfe sein können. Am Ende waren sie froh, bei Katapult offene Türen einzurennen.

Entstanden ist ein Buch mit 49 Kapiteln, kurz genug, um sie auch mal zwischendurch in der Bahn zu lesen. Und sie gehen nicht nur auf die Entstehung der beiden größten heutigen Krisen ein – der Klimaerhitzung und des weltweiten Artensterbens. Sie haben sich auch damit beschäftigt, was diese globalen Krisen mit uns machen.

Denn dass die meisten Menschen sich wünschen, dass etwas gegen die Klimaerhitzung getan wird, kommt ja nicht von ungefähr. Die dramatischen Veränderungen lassen sich nicht leugnen. Nur: Was kann man da tun? Kann man überhaupt noch was tun?

Ohnmacht und Hoffnung

Fragen, die sich auch in Gefühle verwandeln, die viele Menschen am Handeln hindern: Abwehr, Angst, Schuld, Trauer, Wut. Dazu gibt es ebenfalls einzelne Kapitel. Das gehört einfach dazu. Jeder reagiert anders auf die scheinbar völlig unaufhaltsamen Veränderungen. Und es gibt genug Zeitgenossen, die darauf mit lauter Märchen und Ausreden reagieren: „Technologieoffenheit“ (obwohl wir längst alle nötigen Technologien besitzen), „Zurück in die Steinzeit“, „Aber China!“, „Windräder sind Vogelkiller“.

Und was der Ausreden mehr sind, mit denen auch durchaus interessierte Akteure all denen, die bereit sind, etwas zu tun, den Mut und die Hoffnung nehmen wollen. Oder ihnen einreden wollen, alles wäre gar nicht so schlimm („Klimawandel gab es schon immer“) oder irgendeine Supertechnologie würde uns noch knapp vorm Burnout den Hintern retten („CO₂-Sauger“).

Es sammelt sich einiges an, wenn man fünf Jahre lang Blogs und Podcasts zu einem solchen Thema macht und regelmäßig mit Leuten spricht, die ihr Forschungsgebiet wirklich gut kennen. Dann kann man nämlich auch erzählen, wie viele machbare Ansätze es längst gibt, wirklich etwas dafür zu tun, die Klimaziele von Paris 2015 einzuhalten.

Die eh schon aufgeweicht sind, weil Politiker immer wieder vor aggressiv auftretenden Lobbygruppen einknicken, Lobbygruppen, die von Konzernen und Superreichen mit gewaltigen Geldmengen ausgestattet sind, um weiter die für eine fossile und umweltzerstörende Wirtschaftsweise nötigen politischen Rahmenbedingungen zu erhalten. Es wird getrickst, vernebelt, gelogen. Es wird mit falschen Argumenten hantiert.

Und selbst auf den schmutzigsten Produkten klebt ein Öko-Siegel. Logisch, dass die Bürger zutiefst verunsichert sind und zunehmend ratlos der Tatsache gegenüber stehen, dass die Krisen vor sich hin glühen, aber die gewählten Regierungen nicht bereit scheinen, das Ruder tatsächlich herumzuwerfen.

Und wenn sie es versuchen, fängt in allen Gazetten das große Gezeter an. Dann werden ausgerechnet die Maßnahmen zur Bewältigung der Krise zur Krise erklärt, wird Brachial-Wahlkampf betrieben, nur um zu verhindern, dass sich tatsächlich etwas zum Besseren ändert.

Das kann schon entmutigen und frustrieren. Oder völlig hilflos machen.

Kolonialismus und Patriarchat

Im Kapitel „Ungleichheit“ erklären Henne, Jüngling und Le Large dann, was das alles mit dem Auseinanderklaffen von Arm und Reich zu tun hat (und der Rücksichtslosigkeit des Lebensstils der Reichen und Superreichen), mit Kolonialismus und Postkolonialismus, einer manifesten Ungerechtigkeit, die gerade die am stärksten Betroffenen ohne Mittel zur Hilfe dastehen lässt, mit dem Profitdenken der Aktionäre und dem manifesten Patriarchat, in dem das Machtungleichgewicht verankert ist, das Lösungen für globale Probleme fast unmöglich macht.

Und dann?

Natürlich kann man trotzdem etwas tun. Darum geht es ja letztendlich. Man muss sich kein schlechtes Gewissen machen lassen, schon gar nicht von rotzfrechen Fossil-Konzernen, die einem mit dem CO₂-Fußabdruck einreden wollen, dass man durch sein eigenes Konsumverhalten am steigenden Ausstoß von klimaschädlichen Gasen schuld ist. Denn meistens haben genau diese Konzerne dafür gesorgt, dass wir von diesen klimaschädlichen Rahmenbedingungen abhängig sind.

Unser Strom wird noch immer zu großen Teilen in fossilen Kraftwerken erzeugt. Der ÖPNV in Deutschland wurde in den vergangenen 30 Jahren kaputtgespart, statt ihn auszubauen. Viele Gemeinden sind längst abgehängt. Wer mobil bleiben will, ist geradezu aufs Auto angewiesen. Bei den meisten Produkten im Supermarkt ist überhaupt nicht herauszufinden, woher die Zutaten kommen und welche Klimabelastung bei der Produktion entstand.

Was eben auch zum Ergebnis hat, dass klimaschonend hergestellte Produkte sogar teurer sind als solche, bei denen Urwälder zerstört, Wasserreservoire geplündert oder ganze Agrarstrukturen vergiftet werden.

Zeit zum Einmischen

Da steht man dann als armer Tor, wird regelrecht belogen mit bunten Labels, die ein Produkt greenwashen, das die Umweltzerstörungen bei der Produktion einfach nicht eingepreist hat. Was nicht heißt, dass wir als Konsumenten wehrlos sind. Wir alle können unseren Konsum umstellen und beginnen, wieder auf die Qualität der Waren zu achten, ihre Herkunft und – so weit erfahrbar – ihre Produktionsbedingungen.

Wir können auch wieder lernen, dass uns das wilde Konsumieren von Billigprodukten, bei denen Natur und Arbeitskräfte ausgeplündert wurden, ganz gewiss nicht glücklich macht. Dass wir also wieder die Dinge zu unserem Lebensinhalt machen können, die uns wirklich reich und glücklich machen.

Und wir können uns alle einmischen. Genau dafür ist Politik da. Angefangen auf der untersten Ebene – in der eigenen Stadt. Denn die Städte müssen sich wandeln. Sie waren bislang immer nur Treiber der Klimaerhitzung – und sind längst selbst Opfer der Hitzewellen. Also können wir mitmachen, unsere Städte resilienter zu machen, grüner, umweltfreundlicher. Und wir können die Politik dazu ermuntern, dabei nicht müde zu werden. Und wir können protestieren.

Auf vielfältigste Art. Oder – wem das Protestieren nicht liegt, der kann sich organisieren. Überall gibt es Umweltverbände, die mit Sachkenntnis gegen Biodiversitätsverlust und Umweltzerstörung ankämpfen, sich zu Wort melden und der Politik Vorlagen liefern.

Im Kapitel „Gesellschaft“ gehen Henne, Jüngling und Le Large auch auf die Kipppunkte ein, die es auch in Gesellschaften gibt. Bis jetzt haben die Klimawandelleugner und Verteidiger des fossilen Weiterso die lautesten Stimmen, dominieren den Diskurs und bremsen scheinbar jede Veränderung zum Besseren. Sie haben das große Geld hinter sich und die Think-Tanks der Fossilwirtschaft.

Aber wenn sich immer mehr Menschen für den gesellschaftlichen Wandel einsetzen, damit unser Land tatsächlich klimaneutral wird, dann kann sich da ändern.

Der Wandel ist möglich

„Ein Wandel ist möglich, auch wenn es aktuell nicht danach aussehen mag“, schreiben die drei. „Doch als Teil eine Gruppe können wir das Gefühl von Ermächtigung zurückbekommen. Wenn wir klar vor Augen haben, welche Zukunft wir wollen und was auf dem Spiel steht, dann können wir gemeinsam eine Transformation unseres wirtschaftlichen, sozialen und politischen Systems erwirken.“

Und auf einmal ist es wirklich unsere eigene Entscheidung, welche Richtung wir einschlagen. Es ist tatsächlich so: Die Wahl liegt bei uns. „Entweder wir wählen den Weg des gemeinschaftlichen Zusammenhalts und stehen gemeinsam gegen Ungerechtigkeiten ein. Oder wir verdrängen, machen weiter so, schotten uns ab, solange, bis die Katastrophe uns einholt.“

Denn eins dürfte nach den 49 Kapiteln klar sein: Dass die Klimakatastrophe unausweichlich zuschlägt, wenn wir jetzt nicht das Ruder herumwerfen und auch unsere Art des „Wachstums“ gründlich hinterfragen. Und derzeit sind wir weder auf 1.5-Grad-Kurs, noch können wir derzeit die 2-Grad-Grenze einhalten. Noch wirtschaften die fossilen Gesellschaften weltweit so, dass eher 3 Grad und mehr drohen. Und das wird eine wirklich katastrophale Welt, die die menschliche Zivilisation noch nie erlebt hat.

Mit dem Büchlein in der Hand weiß man, mit welchen Lügen einem die Veränderung meistens für unmöglich erklärt wird. Aber auch, was man selbst tun kann. Und zwar jederzeit, ohne darauf warten zu müssen, dass sich gekaufte Politiker endlich auskäsen. Und wenn man das auch noch mit anderen gemeinsam tut, ist das der Anfang von Veränderungen, die – das zeigen alle Umfragen – die meisten Menschen wollen.

Zu Politik wird es erst, wenn genug Leute tatsächlich mitmachen und aufhören sich einreden zu lassen, dass es nichts bringt.

Ann-Sophie Henne, Robin Jüngling, Annika Le Large „Miese Krise. Alles, was du über den Klimawandel wissen musst“ Katapult Verlag, Greifswald 2024, 22 Euro.

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