Es ist ja noch immer so, dass deutsche Kommentatoren zu den anstehenden Präsidentenwahlen in den USA so tun, als sei ein möglicher Wahlsieg für Donald Trump nur ein Unfall, irgendwie der Theatererfolg eines völlig abgedrifteten Kandidaten. Und dann müsse man nur vier weitere Jahre mit einem irrlichternden Präsidenten im Weißen Haus überstehen. Doch dass Trump überhaupt zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner werden konnte, erzählt von einer ganz anderen, viel bedrohlicheren Entwicklung.

Einer Entwicklung, die vor 60 Jahren begann, mit Leuten wie William F. Buckley und Barry Goldwater, die Töne in den Wahlkampf brachten, die damals noch als inakzeptabel galten. Doch diese Töne waren kein Zufall. Und es war auch kein Zufall, dass sich die Republikanische Partei bei ihrem Kampf um die Macht immer weiter radikalisierte und damit etwas in die amerikanische Politik hineintrug, was letztlich nur noch eins bedeuten kann: die totale Zerstörung der Demokratie.

Denn wenn es selbst eine Minderheit in Senat und Kongress darauf anlegt, politische Kompromisse unmöglich zu machen, dann wird aus der Grundidee der Demokratie ihr Shutdown. Dann torpediert eine zunehmend radikale Fraktion jeden Ausgleich.

Dann wird Politik nicht mehr als gemeinsame Suche nach dem Möglichen verstanden, sondern als ein Schlachtfeld, auf dem es nur noch um Sieg oder Niederlage geht. Und man ist verblüfft, wie sehr die Radikalisierung der Republikaner in den USA der Radikalisierung rechter Parteien in Europa gleicht. Aber es ist kein Zufall, denn sie schöpfen alle aus demselben Reservoir, können auf die jahrzehntelangen Vorarbeiten von Think-Tanks zurückgreifen und auf schwerreiche Investoren, die Politik als dreckiges Geschäft betreiben.

Radikalisiertes Machtdenken

Man kann es nicht ausblenden, auch wenn die Journalistin Annika Brockschmidt auf die Geldgeber im Hintergrund nur punktuell eingeht. Denn bei Politik geht es um Macht und Einfluss. Wenn man das so sehen will. Und Hardliner sehen es so.

Im Grunde ist die Radikalisierung der Republikaner, die einmal die Partei eines Abraham Lincoln gewesen waren, ein Beispiel dafür, wie man die Idee der Demokratie systematisch zerstört und einer Minderheit die Möglichkeiten verschafft, die Macht auch dann an sich zu reißen, wenn sie die Mehrheit der Wähler nicht hinter sich hat. Und vor allem die Institutionen der Demokratie dann so umzubauen, dass diese Minderheit die Macht auch nicht wieder aus den Händen geben muss.

Und daran haben einige Leute seit über 60 Jahren systematisch gearbeitet und die Grenze des Sagbaren und Machbaren immer weiter verschoben. Sodass die Republikaner von heute mit der Partei der 1950er Jahre nicht mehr viel zu tun haben.

Und geradezu akribisch zeigt Annika Brockschmidt in diesem Buch, wie diese Verschiebungen stattfanden, Schritt für Schritt, Tabubruch um Tabubruch. Bis hin zum radikalen Bruch mit der allerwichtigsten Grundlage jeder Demokratie in der Zeit eines Newt Gingrich, der von 1995 bis 1999 Sprecher des Repräsentantenhauses war, der ein Memo an die Kongressabgeordneten der Republikaner verschickte, in dem er eine lange Liste von Vokabeln vorgab, mit denen der politische Gegner zu attackieren, abzuwerten, zu verunglimpfen wäre.

„Repulikaner sollten lernen, ‚wie Newt zu sprechen‘. Das bedeutete vor allem, rhetorisch aggressiv zu sein“, schreibt Brockschmidt. „Demokraten sollten ausschließlich negativ besetzt werden.“

Wenn Politik zum Krieg wird

So etwas hat Folgen. Denn mit Worten fängt es an, mit Haltungen geht es weiter. Schon 1995 und 1996 hatte Gingrich begonnen, mit den Stimmen der Republikaner im Kongress den damaligen demokratischen Präsidenten Bill Clinton zu erpressen, indem er damit drohte, die Anhebung der Schuldenobergrenze zu verweigern. Erpressung als politisches Druckmittel?

Auch das war nur der Anfang, wie Brockschmidt schreibt, die auch mit mehreren ehemaligen Republikanern sprach, welche, aufgeschreckt durch die zunehmende Radikalisierung, der Grand Old Party (GOP) den Rücken kehrten.

Was mit Gingrich Einzug hielt, liest sich so: „Für Gingrich und seine GOP war Politik keine Diskussion zwischen Konkurrenten, kein Wettstreit der Ideen, sondern schlicht Krieg. (…) Die Folgen von Gingrichs Methoden waren dramatisch, und sie reichen bis in die Gegenwart. (…) Die Taktik der verbrannten Erde, mit der Ginrich und seine Mitstreiter*innen gegen moderate Republikaner in den eigenen Reihen vorgingen, machte Schule und veränderte die Zusammensetzung der Partei dauerhaft.“

Und damit auch das Bild von Politik, das öffentlich sichtbar wurde. Wozu auch ein radikaler Radiomoderator wie Rush Limbaugh beitrug und ab den 1990er Jahren auch der jegliche journalistische Standards ignorierende Sender Fox News, der selbst praktisch zum politischen Akteur wurde, indem er den radikalsten Sprechern eine Bühne bot und damit das konservative Establishment unter Druck setzte und zu immer weiteren Zugeständnissen an immer radikalere Gruppen zwang.

Ein Prozess, der vor den Augen der Leser abläuft wie ein Film, bei dem man von einem Entsetzen ins nächste stolpert. Die Geister, die man gerufen hatte, um mit ihnen Stimmen in Wahlkämpfen einzusammeln – evangelikale Christen, Tea-Party-Akteure, Identitäre, Rassisten, am Ende auch waschechte Rechtsradikale, wollten nicht nur Stimmen bringen, sondern mitregieren. Sie gaben der Partei immer mehr den Ton und die Agenda vor.

White Supremacy

Und sie spalteten das Land. Und zwar ganz bewusst. Denn sie vertreten eine Sicht auf Demokratie, die mit unseren Vorstellungen von Demokratie nicht mehr viel zu tun hat. Weshalb Identität und Rassismus längst zentrale Bausteine der „republikanischen“ Selbstsicht sind. Längst haben Leute das Sagen übernommen, die White Supremacy, die weiße Vorherrschaft, als Kern der amerikanischen Republik betrachten, also eine Herrschaft der weißen Elite. Und finanziell dick ausgepolsterte Institute wie die Heritage Foundation liefern längst das theoretische Grundgerüst für die dauerhafte Etablierung der „weißen Macht“.

Oder wie Annika Brockschmidt schreibt: „Das wohl größte Warnsignal, das dafür spricht, dass der autoritäre Geist Trumps in der Partei überdauern wird, kommt jedoch von der Heritage Foundation: Die veröffentlichte in Zusammenarbeit mit 50 anderen konservativen Organisationen im April 2023 ihr ‚Project 2025‘, eine Handlungsanleitung für den ‚nächsten republikanischen Präsidenten‘: Das Dokument soll in Tradition ihrer Empfehlungen an Präsident Reagan stehen – doch es ist der weitreichendste programmatische Aufschlag, den ich bisher aus der Feder einer rechten Denkfabrik gesehen habe. Das ‚Project 2025‘sieht vor, den administrativen Staat massiv zu beschneiden und die Macht des Präsidenten extrem auszubauen.“

Was dann die Entmachtung des Kongresses bedeuten würde, die Abschaffung der Gewaltenteilung (Judikative, Exekutive, Legislative) und damit letztlich die Diktatur, von der ein Donald Trump träumt. Und eben nicht nur er. Diese Agenda ist längst Seele der heutigen republikanischen Partei. Wenn man da von Seele sprechen kann, wo es nur noch um puren Rassismus, religiösen Fundamentalismus und die Zerstörung der Demokratie geht.

Der Geist des Neoliberalismus

Dass dahinter auch radikalisierte wirtschaftliche Interessen stehen, spricht Brockschmidt im Kapitel zu Ronald Reagan an, der in seiner Regierungszeit die windigen Ökonomie-Theorien des Neoliberalismus zur Staatsdoktrin gemacht hat. Stichwort: Reagonomics. „Reagans innenpolitische Prioritäten waren eindeutig: Ihm ging es um Deregulierung und um eine Politik, die gegen den New Deal und gegen die Gewerkschaften gerichtet war.“

Nicht zu vergessen seine massiven Steuersenkungen für die Reichen. Das Versprechen dieser neoliberalen Rezepte, dass danach die Wirtschaft geradezu aufdreht, hat sich unter Reagan genauso wenig erfüllt wie unter seinen Nachbetern in Deutschland, wo ab 1989 Deregulierung, Steuersenkung und Privatisierung genauso zu Schlagworten wurden – mit fatalen Folgen, die die aktuelle Ampelregierung geradezu handlungsunfähig machen.

Das ist der fette rosarote Elefant, der im Raum steht. Und von dem abgelenkt wird mit einer Dog-Whistle-Politik, welche die Republikaner in den vergangenen 40 Jahren perfektioniert haben. Denn wen man über Identitäten, weiße Vorrechte und „kriminelle Ausländer“ schwadroniert, muss man nicht über eine falsche Steuerpolitik, kaputt gesparte Staatsunternehmen, Steuerhinterziehung und Lobbyismus reden.

Wenn Gewalt kein Tabu mehr ist

Und es bleibt ja nicht bei Worten, wie Brockschmidt feststellt: „Gewalt gegen den politischen Gegner ist längst kein Tabuthema mehr. Witze darüber sind längst zum Bestandteil Republikanischer Reden geworden …“ Und dass Leute wie Trump auch vor dem Staatsstreich nicht zurückscheuen, zeigte der „Sturm auf das Kapitol“ 2021, bei dem die ebenfalls schon seit Jahren geübte Behauptung der Republikaner von der „gestohlenen Wahl“ eine ganz zentrale Rolle spielte

. Denn wenn man in öffentlichen Verlautbarungen immer wieder die Behauptung schürt, der politische Gegner würde den Republikanern die Wahlen stehlen, dann frisst sich das fest in den Köpfen.

Im Grunde erzählt Brockschmidts Buch auch davon, wie man mit der „richtigen“ Sprache und der sprachlichen Markierung des Gegners die Wähler manipuliert und aufstachelt. Und selbst Menschen, die von der so verkauften Politik überhaupt nicht profitieren, zu aggressiven Anhänger macht.

Das Gesamtbild ist lehrreich, denn es zeigt, wie aus einer einst ganz normalen konservativen Partei durch die Öffnung zu zuvor kleinen radikalen Splittergruppen im Lauf von gerade einmal 60 Jahren eine zutiefst rassistische Partei mit ausgeprägten rechtsradikalen Tendenzen wurde.

Ein mahnendes Beispiel

Und man denkt die ganze Zeit an Europa, wo ja mit der Etablierung des Neoliberalismus etwas ganz Ähnliches ins Rollen kam, auch wenn sich der rechtsextreme Populismus hier in eigenen Parteigründungen manifestierte. Aber mit ihrer Radikalisierung haben sie eben auch deutliche Verschiebungen im Agieren der anderen Parteien geschafft. Man hört auch hier die Hunde pfeifen, die immer dann schriller werden, wenn mal wieder eine der neoliberalen Reformen und ihre Folgen drohen öffentlich diskutiert zu werden.

Aber das nur am Rande. Denn was passiert, wenn Trump die nächste Wahl gewinnt? Und welchen Unterschied macht das, wenn ein anderer „republikanischer“ Bewerber an seine Stelle treten würde?

Annika Brockschmidt zeigt mit einer zuweilen bedrückenden Klarheit, dass das nichts ändern würde, dass radikale Politik gegen die Demokratie längst tief im Kern der Republikaner wurzelt. Jede der kommenden Präsidentschaftswahlen wird also zu einer Entscheidungswahl für die amerikanische Demokratie.

Ein bisschen Hoffnung äußert Brockschmidt trotzdem: „Es wäre aber auch ein Fehler, den Weg, den die Republikanische Partei eingeschlagen hat, zu rechtfertigen oder gar als unvermeidbar zu bezeichnen. Es gibt zahllose Möglichkeiten für die Grand Old Party und ihr politisches Establishment, sich den extremen Kräften, die ihre Partei über Jahrzehnte Schritt für Schritt übernommen haben, entgegenzustellen.“

Das ist zumindest die Hoffnung auf Konservative mit Rückgrat. „Doch der heutige Zustand der Republikanischen Partei muss für europäische Konservative als mahnendes Beispiel dafür dienen, was passiert, wenn man sich mit Extremisten einlässt“, schreibt Brockschmidt ganz am Ende. Man sollte die Warnung ernst nehmen.

Annika Brockschmidt„Die Brandstifter. Wie Extremisten die Republikanische Partei übernahmen“ Rowohlt, Hamburg 2024, 24 Euro.

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