Man kann ihn besuchen, diesen Leipziger Nobelpreisträger der Chemie, der von 1887 bis 1905 an der Universität Leipzig lehrte und forschte, bevor er im Zwist seine Professur aufgab und sich lieber auf sein Landgut bei Großbothen zurückzog. Dieses Refugium von Wilhelm Ostwald kann man noch heute besuchen. Im Wilhelm-Ostwald-Park wird sein Vermächtnis gepflegt. Und darunter befinden sich auch über 1.000 Landschaftsbilder. Denn zeitlebens malte Ostwald gern.

Womit er nicht allein war. Es war ja geradezu eine Hochzeit der Landschaftsmalerei, worauf in diesem Band Anke Fröhlich-Schauseil eingeht, die den kunsthistorischen Kontext beschreibt, innerhalb dessen sich Ostwalds Malerei verortet, auch wenn der Wissenschaftler nicht wirklich zu einem professionellen Maler wurde. Auch wenn er es sich das wünschte und auch entsprechende Ausstellungen veranstaltete. Aber einige Bildbeispiele im Text zeigen, dass er das Niveau der ausgebildeten Maler seiner Zeit nicht erreichte. Und das war hoch, wie Fröhlich Schauseil berichten kann. Nicht nur durch die Franzosen, die mit ihrer Schule von Barbizon die Freiluftmalerei auf neue Höhen trieben.

Auch durch deutsche Maler wie Emil Laube oder Paul Müller-Kaempf, zu denen der Sax-Verlag ja auch gerade Bildbände vorgelegt hat. Aber erst recht durch die namhaften Vertreter ihres Faches – von den Romantikern um Caspar David Friedrich bis zu Ostwalds Zeitgenossen Hans am Ende, Otto Modersohn oder Max Liebermann.

Sie überhöhten und mystifizierten die Natur nicht mehr, versuchten aber ihre Dramatik möglichst authentisch zu erfassen. Und in gewisser Weise ist ihr aufmerksamer Blick für die Gewalt und die Schönheit der Natur auch Ostwalds Blick. Ein beinahe wissenschaftlicher, der sich bei Ostwald auch direkt mit dessen Farbenlehre verbindet. Wenn man das weiß, wird auch deutlicher, was er eigentlich suchte, wenn er sich mit seinem Hocker und seinem Malkasten in die freie Landschaft setzte. Anfangs noch mit Wasserfarben, bis er lernte, dass das unter freiem Himmel keine so gute Idee war. Dann mit Ölfarben.

Die Faszination des Lichts

Und auch wenn da und dort einmal eine Burg oder verschlafene Dörfer am Horizont auftauchen, merkt man, dass es Ostwald ganz und gar nicht um die schönen Postkartenmotive ging. Egal, ob noch daheim an der Ostseeküste, wo er zu malen begann, oder im Grimmaer Land, in Amerika oder in Skandinavien. Tatsächlich reizte ihn ganz offensichtlich genau das, was auch die Maler seiner Zeit reizte: die unendlichen Spielarten des Lichts in der Landschaft, auf dem Wasser, in Spiegelungen. Ganz offensichtlich versuchte er mit jedem seiner kleinformatigen Bilder einen besonderen Eindruck einzufangen. Und wenn ihm der eilige Zug der Wolken einen Strich durch die Rechnung machte, drehte er das Papier eben um und malte das Motiv noch einmal neu.

Ralf Gottschlich, der Leiter des Wilhelm-Ostwald-Parks erzählt im Vorspann, was man über Ostwalds „Hobby“ weiß, über dessen Arbeitsweise und dessen Bezug zur Landschaft. Dabei staunte selbst, dass überhaupt noch 1.100 Bilder aus Ostwalds Schaffen in Großbothen überdauert haben. Denn Ostwald war bekannt dafür, dass er die fertigen Kleingemälde nur zu gern an Freunde und Bekannte verschenkte. Das heißt: Da draußen in der Welt müssen noch etliche Ostwaldsche Landschaftsbilder existieren, wahrscheinlich liebevoll aufbewahrt in Erinnerung an einen eigensinnigen Wissenschaftler, der seine Zeitgenossen auch mit eigensinnigen Weltsichten beschäftigte.

Die Natur sehen lernen

Der aber eben auch sehr viel Aufmerksamkeit auf das Sehen lenkte. Auch damit den professionellen Landschaftsmalern seiner Zeit verwandt. Denn natürlich zeichnet sich gute Wissenschaft eben auch dadurch aus, dass der Forscher genau hinzuschauen gelernt hat, selbst den Details der Umgebung seine Aufmerksamkeit widmet. Und natürlich dem Licht. Denn „Stimmung“, wie man sie so gern in deutschen Landschaftsbildern sucht, entsteht durch Licht und Schatten. Ohne das ist eine Landschaft grau und tot. Ein Wintertag hat ein völlig anderes Licht als ein Herbsttag im Zschopautal oder ein Nebeltag in den Alpen.

Dass auch andere Amateure zu dieser Zeit das Malen in der freien Natur pflegten, gehört natürlich dazu. Es war ja eigentlich auch eine Epoche, die das Faszinosum einer nicht vom Menschen beherrschten freien Natur überhaupt erst entdeckte. Es war die Zeit der qualmenden Schornsteine, die damals auch Leipzig in eine Smogwolke hüllten. Kein Wunder, dass die Stadtbewohner, die es sich leisten konnten, rausfuhren in die Berge oder ans Meer. Der Kontrast muss noch viel überwältigender gewesen sein als heute.

Und man nahm die Eindrücke quasi mit, wenn man sich malend an den Stand setzte oder an den Hang der Schlucht. Die damalige Fotografie konnte mit dieser farblichen Erfassung der wilden Natur noch nicht mithalten. Und natürlich überlegen Gottschlich und Fröhlich-Schauseil, wo man diesen Hobby-Maler Ostwald nun einordnet. War das wirklich nur Freizeitvergnügen, eine beruhigende Beschäftigung, bei der sich der Wissenschaftler von der anstrengenden Forschung erholte? Also einfach nur ein bisschen Amateurmalerei? Oder nimmt er einen ernsthaften Platz ein in der Landschaftsmalerei seiner Zeit?

Eine wahrscheinlich kaum beantwortbare Frage, weil Wilhelm Ostwald mit seinen Bildern kein Geld verdienen musste. Und trotzdem ein Leben lang mit seinem Malkasten loszog, weil ihn das Lichterspiel in der freien Natur ungemein faszinierte. Man lernt seinen Blick auf die Welt mit den in diesem Buch versammelten Bildern (die nur eine kleine Auswahl sein können) nicht nur kennen. Die Bildmotive regen auch an, selbst so auf die lichtdurchflutete Welt zu schauen. Genau hinzuschauen und nicht oberflächlich immer nur auf das Postkartenmotiv zu warten, vor dem sich ein Selfie so schön macht.

Die Gewalt der Elemente

Denn wenn wir nur die Postkarten-Momente sehen, bekommen wir nichts mit vom Spiel der Elemente, dem Ostwald immer wieder nachgespürt hat. Für ihn war ja alles Energie. Das ist zwar die physikalische Sicht. Aber wie sieht ein Physiker das Wirken der Elemente in der Welt außerhalb seines Labors? Sieht er da noch die Kräfte, die er im Versuchsaufbau zu bändigen versuchte?

Ein nicht unwichtiger Aspekt, der ja die Landschaftsmalerei dieser Zeit auch für ein zunehmend naturwissenschaftlich gebildetes Publikum interessant gemacht hat. Landschaft war auf einmal eben nicht nur schön und romantisch, heimelig gar. Sondern ein Ort, an dem die Elemente tobten, der Mensch der Gewalt der freien Natur begegnete. Und bei den meisten Malern – und auch bei Ostwald – eben nicht mit der fest im Zeitgeist verankerten Attitüde, die Natur unbedingt bezwingen und beherrschen zu wollen. Im Gegenteil.

Und so wirken Ostwalds Bilder auch heute noch ansprechend. Und es ist wahrscheinlich nur folgerichtig, dass Ostwald das ach so mächtige Bezwingen der Natur durch menschliche Eingriffe lieber nicht malte. Selbst die Kugeldächer der Lick Sternwarte in Kalifornien bettete Ostwald nur ein in einen großen Panorama-Blick, bei dem ihm das Licht über dem Pazifik viel wichtiger war. Viel spannender fand er die wandelbaren Lichtverhältnisse an den Niagara-Fällen, die er gleich mehrfach malte.

Während man irgendwelche Motive aus der rußigen Stadt Leipzig in diesem Band vergeblich sucht. Das reizte den Wissenschaftler also nicht, während er seine Reisen in die Alpen oder nach Italien nur zu gern nutzte, sich an besonders eindrucksvollen Plätzen hinzusetzen mit seinem aufklappbaren Stühlchen und das, was er sah, in Öl zu bannen.

Selbst für Kenner der Ostwald-Biografie dürfte dieses Bändchen eine kleine Entdeckung sein. Und eine Einladung, einmal nach Großbothen zu fahren, um sich die Bilder im Original anzuschauen.

Ralf Gottschlich (Hrsg.) „Wilhelm Ostwald. Wissenschaftler und Landschaftsmaler“, Sax-Verlag, Beucha und Markkleeberg 2023, 18 Euro

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