Wir sind mittendrin in der Klimaerhitzung, die uns – wenn sich nicht schnell etwas ändert – eine Aufheizung der Atmosphäre um bis zu 3 Grad bringen wird. Das ist dann nicht einfach nur wärmer oder gar vorübergehend: Das ist so heiß, dass es die heutigen Existenzgrundlagen der Menschheit zerstört. Konservative Politiker machen Panik damit, dass sie den Bürgern einreden, die Klimawende sei wirtschaftlich gar nicht zu stemmen. Aber die Wahrheit ist: Alle können etwas tun. Und viele tun es längst.
Denn die Art der fossilen und klimazerstörenden Wirtschaft, die wir heute (noch) haben, ist weder gottgegeben noch zwangsläufig. Sie ist die Folge eines Denkens, mit dem über 150 Jahre lang gedankenlos das in fossilen Brennstoffen gespeicherte CO2 in die Luft geblasen wurde. Das war einfach. Und steckt als Vorstellung von „normal“ in den Köpfen vieler Manager, Ingenieure und Politiker.
Doch wir haben längst die Technologien und Möglichkeiten, dieses weltzerstörende Wirtschaften und Konsumieren zu beenden. Natürlich ist das ein Technologiewechsel und ein Mentalitätswechsel. Das Unbequeme dabei ist, das man wirklich alte Gewohnheiten ablegen muss. Aber wer behauptet, das ginge nicht, hat den Überlebenserfolg der Menschheit nicht begriffen. Der redet den Leuten ein, sie seien einfach zu doof, auf eine akute Gefahr mit einer klugen Verhaltensänderung zu reagieren.
Wer nicht losgeht, verändert nichts
Eigentlich gibt es auch schon diverse Bücher, die dabei helfen, für sich selbst und sein eigenes tägliches Verhalten Alternativen zu finden und damit tatsächlich etwas zu verändern. Was übrigens auch Wirkung zeigt, wenn immer mehr mitmachen. Auch die fossilen Konzerne mit ihren klimaschädlichen Statussymbolen setzen ja au die große Zahl. Skalieren nennt man das im Managerdeutsch. Wenn die Leute anfangen, die fossilen Produkte nicht mehr zu kaufen, geraten die alten Branchen in die Krise. Und siehe da: Man darf überbezahlten Managern bei Jammern zuschauen.
Die MDR-Wetterfee Michaela Koschak hat so ein hilfreiches Buch geschrieben, das den Leserinnen und Lesern zeigt, dass der Wandel mit ganz kleine Schritten beginnt. Veränderungen beginnen immer mit dem ersten tastenden Schritt.
Peter Blenke und Christian Reisinger beraten schon seit ein paar Jahren Unternehmen dabei, ihr Geschäftsfeld klimafreundlicher zu machen. Denn natürlich geht es Unternehmern – egal welcher Größe – genauso: Wie kann man anfangen, ohne dass es gleich das ganze Geschäft gefährdet? Oder kann man mit neuen, klimafreundlichen Geschäftsideen gar neue Kundenkreise erschließen? Denn der Wechsel muss ja alle Bereiche der Gesellschaft erfassen, wenn Deutschland seine Klimaziele erreichen will.
Und die Frage ist – anders, als es konservative Politiker behaupten – eben nicht, ob wir das schaffen, sondern: Wie schnell? Die Bundesrepublik hat ganz klare Ausbauziele, auch wenn diese natürlich noch nicht reichen, das Land wirklich klimafreundlich zu machen. Aber sie sind allesamt erreichbar.
Nicht auf den Staat warten
Blenke und Reisinger haben sich die fünf großen Felder einzeln vorgenommen, auf denen in Deutschland Energie genutzt wird und die im deutschen Klimaschutzplan auch mit eigenen Sektorenzielen versehen sind. Das torpedieren zwar auch einige Minister der Ampel-Regierung – wie Bundesverkehrsminister Volker Wissing, der ausgerechnet im energiefressenden Bereich Verkehr die Klimaschutzziele regelrecht aushebelt.
Aber viele Unternehmen sind längst viel weiter als die FDP mit ihren neoliberalen Vorstellungen vom Wirtschaften und verändern selbst ihre Mobilität und Logistik – auch wenn sie oft genug an den kaputtgesparten Verkehrsstrukturen des Bundes scheitern. Denn mit der Privatisierung der Bahn 1993 wurde das zentrale Rückgrat der Verkehrswende finanziell so ausgeblutet, dass es jetzt, wo eigentlich Millionen Tonnen an Gütern zusätzlich auf die Schiene müssten, diese zusätzlichen Transporte nicht leisten kann. Dasselbe gilt für den Schienennah- und -fernverkehr.
Aber gerade deshalb betrachten Blenke und Reisinger nicht nur den Staat, der eben leider immer wieder Spielball fossiler Akteure wird, die natürlich ihre lukrativen Geschäftsfelder nicht verlieren wollen. Sie schauen lieber genauer hin auf das, was Unternehmen leisten können. Denn da sind die Stellschrauben, an denen jedes Unternehmen schrauben kann, wenn es sich von der fossilen Wirtschaftsweise lösen will. Ob es einfach die Änderung der Strombestellung ist oder das eigene Ausrüsten mit alternativen Energieanlagen, ob es kluge Energieeinsparprogramme sind oder durchgehende Veränderungen in der Lieferkette, bei denen auf Energieeffizienz und kurze Transportwege geachtet wird – gibt jede Menge Stellschrauben, an denen jeder drehen kann.
Auch Privathaushalte. Die Tipps, was jeder sofort tun kann, sind nach jedem Kapitel schön übersichtlich aufgereiht.
In jedem Sektor sind wir handlungsfähig
Es gibt also ein großes Kapitel zur Energie selbst, eins zur Industrie, eins zu Gebäuden, eins zu Verkehr und eins zu Landwirtschaft und Ernährung. Und wer denkt: Das geht mich ja nichts an, findet in jedem Kapitel nicht nur die Tipps für Unternehmen aus der Branche, sondern auch zu den eigenen Möglichkeiten als Konsument, die Dinge zu ändern. Denn ein verändertes Konsumverhalten zwingt auch die Anbieter zur Veränderung – oder entzieht fossilen Unternehmen schlicht die Grundlage, während Unternehmen, die klimafreundliche Produkte anbieten, davon profitieren.
Deswegen stimmen 99 Prozent des offiziellen Wirtschaftsgejammers über die Krise einfach nicht. Die Umsatzanteile wandern nur ab zu Unternehmen, die in der traditionellen Deutschland AG nicht vertreten sind. Die dafür Produkte herstellen, die zum Beispiel komplett recycelbar sind, längere Lebenszyklen haben und auf undurchsichtige Lieferketten verzichten. Selbst ein Verzicht auf Produkte, die einem die Werbung schmachtend ans Herz legt, hilft, das eigene Konsumverhalten klimafreundlicher zu gestalten. Was dann übriges Freiräume eröffnet für die eigentliche Frage: Was macht mein Leben auf Erden wirklich reich?
Die stellen de beiden Autoren freilich nicht. Sie gehen die Sache ganz rational an und zeigen, was jetzt schon alles möglich ist und in welchen Schritten man selbst zu einem nachhaltigeren Leben kommen kann. Das kostet – das ist den beiden sehr bewusst – erst einmal ein bisschen Überwindung. Denn natürlich ist der angelernte Lebensstil bequem, die Routinen laufen fast automatisch ab. Umsteigen auf einen nachhaltigen Konsum ist erst einmal anspruchsvoller. Man muss sich Gedanken machen über das Was und das Wie, muss Anbieter finden, manchmal auch mehr Zeit investieren.
Obwohl …
Schon die Wortwahl verrät es ja: Wir gehen ja selbst mit unserem Leben und unserer Zeit um, als wären wir Unternehmen, die sich am Ende des Tages rechnen müssen. Als wäre Zeit kein Geschenk und ein bewusster gestaltetes Leben nicht ein Gewinn. Da geht es nicht um Investitionen, sondern um Wahrnehmen und Erleben. Wer seine Regionalmärkte kennt, weiß, wie sie den Alltag bereichern.
Wir können handeln
Worum es dabei geht, machen die Autoren deutlich, wenn sie zu jedem Kapitel schildern, wo wir gerade stehen – und natürlich auch, wo wir eigentlich hinwollen. Damit wird der Weg überschaubar. Auch da, wo das Land nach 16 Jahren Trödelei – noch deutlich hinterher hinkt. Denn ganz offensichtlich ist der Kampf gegen die alten Fossilien zäh, immer wieder von Rückschlägen gekennzeichnet, weil sich die alten Branchen mit vielen Milliarden Euro wehren gegen die Veränderung. Es war doch so schön?!
Den größten Einfluss haben die fossilen Akteure natürlich auf den Staat. Hier ziehen sie alle Register – bis hin zu medialen Kampagnen gegen ein neues Heizungsgesetz. Aber ihr Beharren erzählt auch von völliger Verantwortungslosigkeit, denn mit den Folgen müssen sich unsere Kinder und Enkel herumschlagen. Und sie werden verzweifeln über die miserablen Bedingungen, die wir ihnen hinterlassen, obwohl wir um die Folgen alle wussten. Und handeln konnten.
Also handeln können. Jetzt. Schritt um Schritt. Ob das die Änderung unseres Mobilitätsverhaltens ist oder Unterstützung für eine wirklich natur- und bodenschützende Landwirtschaft.
Und am Ende ziehen die beiden den Lesern auch noch den Zahn, in der letzten Minute könnte ja vielleicht noch jemand die rettende Idee haben, wie wir das ganze überzählige CO2 wieder aus der Luft bekommen. Dafür gibt es Technologien, das stimmt. Aber sämtliche angepriesenen Technologien sind bestenfalls im Erprobungsstatus und werden enorme Energiemengen verschlingen. Wo sollen die herkommen? Es sind alles technologische Versprechen, die wieder einen enormen technologischen Aufwand betreiben, wo simple Dinge wie Energiesparen, Energieeffizienz und das Umsteigen auf alternative Energien viel schneller viel größere Effekte bringen. Denn zuallererst müssen wir runter von den enormen Mengen emittierter klimaschädlicher Gase.
Erst dann können wir den Anstieg der Erderwärmung bremsen.
Wir brauchen wieder echte CO2-Senken
Und tatsächlich gibt es auch echte CO2-Senken. Doch das sind nicht all die teuren Geräte, mit denen Konzerne versprechen, CO2 aus der Luft zu filtern. Die echten CO2-Senken heißen Wald, Moor und Boden. Wälder gelten schon lange als CO2-Senken, aber in der jüngeren Forschung wurde erst richtig klar, wie viel CO2 Moore, Steppen und auch Agrarböden speichern. Wenn man sie zu Speichen werden lässt. Weshalb sich unsere bodenzerstörende Landwirtschaft ebenfalls dringend ändern muss.
Aber auch da weiß man längst, wie es geht. Die Instrumente sind alle vorhanden, und das Meiste haben wir sogar in der Hand – angefangen vom Verzicht auf die Unmengen Fleisch, die jedes Jahr in Deutschland gegessen, aber auch exportiert werden. Wenn man um den riesigen CO2- und Methan-Rucksack von Fleisch, Käse und Milch weiß, kann man seine eigene Ernährung ganz bewusst klimafreundlicher gestalten. Im Buch gibt es noch mehr Tipps, wie man aktiv werden kann, das Land ein Stück weit klimafreundlicher zu machen.
Alles ist mit großen, übersichtliche Grafiken gespickt, so dass man das Wesentliche auf einen Blick hat. Und vielleicht sieht das Buch auch nicht grundlos aus wie ein Heimatkundebuch für die Schule: Man kann es sich irgendwo griffbereit hinstellen und immer wieder hineinschauen, wenn man gerade mal nicht weiter weiß. Vielleicht findet man ja genau den hilfreichen Tipp, der einen klüger macht und aus der Entmutigung holt, es ändere ja doch alles nichts. Denn dass wir entmutigt werden, das wollen ja die Nutznießer der fossilen Welt. Deswegen reden sie uns auch ein, dass eine andere, klimafreundliche Welt nicht zu haben sei.
Doch genau das ist sie. Dafür müssen aber alle mitmachen, denen die Zukunft der menschlichen Welt am Herzen liegt.
Peter Blenke, Christian Reisinger „Klimakurve kriegen“, Oekom Verlag, München 2023, 20 Euro
Keine Kommentare bisher